Digital
Wissen

The Human Project – einzigartige Big-Data-Projekt in New York

Die Stadt New York, respektive ihre Bewohner, unter dem Mikroskop.
Die Stadt New York, respektive ihre Bewohner, unter dem Mikroskop.screenshot: vimeo

Bei «The Human Project» lassen 10'000 Smartphone-User die Hose runter

Der Gläserne Mensch im Dienste der Wissenschaft: Das musst du über die einzigartige Big-Data-Studie wissen, die bald in New York startet.
10.07.2017, 07:1310.07.2017, 09:51
Mehr «Digital»
«Anstatt die Daten gratis Konzernen zu überlassen, lasst uns unsere Daten in die Gemeinschaft einbringen.»
Paul Glimcher, Studienleiter

Eine Karte des sichtbaren Weltraums dient als Vorbild. Bald soll mit einer ähnlichen riesigen Datensammlung ein tiefer Blick in das Leben des Menschen möglich werden: In New York startet «The Human Project».

Wer bekommt Diabetes, Krebs oder Alzheimer? Und wie wirken sich Wohnblock, Sozialkontakte oder Schulwahl auf den Lebensweg aus?

Antworten auf diese und viele andere Fragen wollen US-Forscher mit Hilfe einer bislang einzigartigen Studie finden: Für «The Human Project» sollen 10'000 New Yorker über Jahrzehnte hinweg Unmengen von Daten liefern – vor allem über eine Smartphone-App, die zahlreiche Informationen weitergibt.

Was wird erfasst?

Kreditkartendaten, Gehaltsschecks, Intelligenz-Tests, Arztakten, Werte aus Blut- und Urinproben und vieles mehr werden einfliessen in den Big Data-Strom streng anonymisierter und zugleich gläserner Menschen.

Aber auch soziale Kontakte, online verbrachte Zeit, Umzüge, Schulkarrieren, berufliche Entwicklungen sollen aus den Daten nachvollzogen werden – über mindestens zwei Dekaden hinweg.

Zugleich sammelt «The Human Project» genetische Daten und Infos zur Darmbakterien-Kultur der Teilnehmer.

250 Gigabyte Daten pro Jahr und Teilnehmer.

Welcher Ansatz steckt dahinter?

Glimcher ist der Kopf hinter dem ambitionierten Projekt, das von der Non-Profit-Wissenschaftsstiftung Kavli mit 15 Millionen US-Dollar finanziert wird und nach mehrjähriger Vorbereitung in diesem Herbst starten soll – mit der Rekrutierung von 4000 freiwilligen Familien aus allen Stadtteilen, Alters- und Einkommensgruppen.

Viele Studien aus den Sozialwissenschaften haben das Problem, dass sie an kleinen, selektiven Gruppen durchgeführt wurden und die Ergebnisse oft nicht reproduzierbar sind. Der Neuroökonom und Psychologe Paul Glimcher von der New York University Glimcher und seine Kollegen setzen hingegen auf einen Datensammel-Ansatz aus der Astronomie: Think big (Denke gross).

Bild
screenshot: thehumanproject.org

«Wenn Astronomen in den 1990er Jahren sich für Quasare interessierten, buchten sie für drei Nächte im Jahr ein Teleskop und fanden vielleicht zwei oder drei Quasare», erzählt der Studienleiter auf dem Portal Vox.com.

Dann habe der Princeton-Astronom James Gunn eine bessere Idee gehabt: Für den Sloan Digital Sky Survey liess er ein Teleskop langsam über den gesamten Sternenhimmel gleiten. Daraus entstand eine immense Datenbasis, mit der Forscher heute viele Zehntausend Quasare – das sind aktive Kerne von Galaxien – finden können, einfach vom Computer aus.

Warum ist New York ideal für einen solchen Versuch?

Der Mikro-Kosmos New York mit seiner Vielfalt an Lebensformen, Hautfarben und ökonomischen Lebensbedingungen erscheint als idealer Standort für ein ähnliches Projekt an Menschen – mit dem Smartphone als «Teleskop».

Da in den USA zudem meist selbst Kaugummis mit der Kreditkarte bezahlt werden, bekommen die Forscher einen genauen Einblick in das Konsumverhalten der Teilnehmer: 

  • Welche Lebensmittel werden wo gekauft?
  • Werden Fast-Food-Restaurants oder Salatbars bevorzugt?
  • Wird in der Freizeit Geld für Kinokarten oder für Besuche im Fitnessstudio ausgegeben?

Diese grosse Diversität biologischer, ökonomischer und soziologischer Informationen durchkämmen Computerprogramme dann nach individuellen Mustern und lesen – bestenfalls – allgemeine Algorithmen heraus.

«Unsere Antworten werden deutlich reicher, multivariabler sein als nur ‹Zucker verursacht Diabetes›.»
Paul Glimcher, Studienleiter

Wie steht's um den Datenschutz?

Um die wertvollen Daten und die Identität der Teilnehmer zu schützen, entsteht an der New York University in Brooklyn derzeit ein Hochsicherheitstrakt. Ins Innerste, den «roten Würfel», darf nur eine Handvoll Datenwärter, nach aufwendigem Sicherheitscheck und durch eine Schleuse.

Akkreditierte Forscher erhalten Zutritt in den «gelben Bereich» zum Sichten bestimmter aktueller Daten – allerdings ohne eigenen Laptop oder Datenstick. Für den Zugriff von Aussen können Wissenschaftler jeweils nur Mini-Datensets beantragen, aus denen sich keine Identitäten rekonstruieren lassen.

«Es wird die Weise, wie wir unser Leben leben, verändern.»
Neuroökonom und Psychologe Paul Glimcher, New York University

Wichtig ist ihm: Wer mitmachen möchte, wird genauestens aufgeklärt. «Die Weise, wie die Industrie dies bisher tut, ist beschämend, wenn nicht sogar ein Verbrechen», sagte Glimcher der «New York Times».

Was erhoffen sich die Forscher?

Im besten Fall, so hoffen die Forscher, wird das Projekt ab 2020 erste nuancierte Antworten geben können. Etwa darauf, wie Armut sich auf die Hirnentwicklung kleiner Kinder auswirkt oder welche Umwelteinflüsse zur Entstehung von Alzheimer und Krebs beitragen.

«Wir erstellen eine Landkarte. Und diese Landkarte wird für die Gesellschaft hilfreich sein – wobei jeder Einzelne entscheiden muss, ob er wissen möchte, wo er auf dieser Karte steht.»

Das Projekt werde sich mit fortschreitender Technologie und den sich daran anpassenden Menschen noch weiterentwickeln. «Die Wahrscheinlichkeit, dass ich sein Ende noch erlebe, ist ziemlich gering», sagt Glimcher.

Das Promo-Video zum Projekt

(dsc/sda/dpa)

Das könnte dich auch interessieren:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
3
Das steckt hinter den merkwürdigen Tonband-Anrufen, die Tausende Schweizer erhalten
Seit Wochen rollt eine neue Welle betrügerischer «Tonband»-Anrufe im Namen angeblicher Polizeibehörden über die Schweiz: Wie die Kriminellen vorgehen, was sie wollen und wie man sich davor schützt.

Schweizerinnen und Schweizer werden seit Monaten massenhaft mit Anrufen von Fake-Polizisten belästigt. Dabei ruft nicht mehr ein Mensch an, sondern eine «Maschine». Das erlaubt den Kriminellen, ihr betrügerisches Geschäftsmodell zu intensivieren. In den letzten Wochen hat die jüngste Angriffswelle alle Rekorde gebrochen, meldet das Bundesamt für Cybersicherheit.

Zur Story