Rockmusik war in der Schweiz lange eine Sache von Amateur- und Feierabendmusikern. Von Hobbyrockern.
Dann kam Polo Hofer. Er erkannte die Mechanismen des Musikgeschäfts, war Showman, gewiefter Geschäftsmann und PR-Manager in eigener Sache. Er hat bewiesen, dass man in der Schweiz von Rockmusik, sogar von Mundart-Rock, leben kann, wenn man es professionell aufgleist. «Ich war das erste betriebsfähige Modell des Schweizer Mundart-Rock», sagte er dazu.
Die Professionalisierung des Mundart-Genres war eines seiner grössten Verdienste. Eine ganze Reihe von Musikern und Bands folgten seinem Vorbild und gesellten sich zur Mundart-Familie: zuerst Züri West (1984 gegründet), Stiller Has (1989), dann Patent Ochsner (1990), Sina (1994). Es war die erste grosse Mundart-Welle. Mundart-Rock etablierte sich als professionelles, überlebensfähiges Genre. Übervater Polo war nicht mehr allein.
In einer zweiten Welle Ende der 90er-, Anfang der 00er-Jahre folgten Florian Ast, Gölä, Plüsch, Adrian Stern, Baschi und Bligg, der vom Hip-Hop ins Poplager wechselte. Sie alle waren ungemein erfolgreich und verstärkten die Mundart-Familie. Und heute? Wie präsentiert sich die Mundart-Szene nach dem Tod von Pionier Polo Hofer?
«Mundart hat eindeutig am meisten Potenzial», sagt Sylvie Widmer von Sound Service, «ich stelle einen Überdruss an englischen Songs fest. Es geht um Identität. Die Leute finden Zuflucht in der eigenen Sprache.»
Als Beweis nennt die Berner Plattenmanagerin die anhaltenden Erfolge von Züri West, Patent Ochsner und Stiller Has. Die Konzerte sind ausverkauft, und erstmals erreichte Endo Anaconda mit seinen neuen Hasen sogar Platz 1 der Schweizer Hitparade.
Die erste Generation hat ihre Vorherrschaft konsolidiert oder sogar ausgebaut. Sie sind zusammen mit Polos Weggefährten Hanery Amman und Span die würdigen Nachfolger von Polo Hofer.
Eine andere Sicht auf die Situation im Mundart-Genre hat Peter Stutz, Musikredaktor bei Radio Argovia. Das Privatradio der AZ Medien Gruppe hat unlängst beim deutschen Forschungs- und Beratungsunternehmen für Medienstrategien «Brandsupport» eine Umfrage in Auftrag gegeben. «Die Mundart-Songs sind dabei alle durchgefallen», sagt Stutz. Gespielt wurden Gassenhauer der letzten zwanzig Jahre, Hits von Bligg, Manillio, Adrian Stern, Lo & Leduc und anderen.
«Mundart war bei unseren Hörern immer umstritten, so drastisch war das Ergebnis noch nie. Es ist aber eindeutig: Mundart löst bei den Hörern einen Um- und Abschaltimpuls aus», sagt Stutz und spricht von einem neuen Phänomen, das Privatstationen wie Radio 24, Pilatus, FM1 St.Gallen auch festgestellt haben. Dagegen sind Englisch gesungene Songs von Schweizer Musikern vergleichsweise gut angekommen.
Auch Pascal Künzi, Verkaufsleiter bei Musikvertrieb, ortet bei Mundartmusik Probleme. «Mundart ist nicht völlig out, aber sie hat sich weg von Pop und Rock zum Volkstümlichen und zum Schlager verlagert», sagt Künzi und verweist auf die diesjährigen Swiss Music Awards, wo Trauffer und Schluneggers Heimweh die Abräumer waren.
«Mit englisch gesungenen Songs hat man heute dagegen viel mehr Möglichkeiten und einen potenziellen Markt über den Röstigraben und die Landesgrenzen hinaus», sagt Künzi weiter.
Fakt ist: Das Geschäftsmodell, das Polo Hofer und Co. ein Leben als Profimusiker erlaubte, funktioniert nicht mehr. Es war ein Geschäftsmodell, das auf zwei Beinen stand: auf den Einnahmen im Tonträgermarkt und jenen aus dem Live-Geschäft. Weil das Geschäft mit den Tonträgern eingebrochen ist, müssen sich Schweizer Musiker nach Alternativen umsehen, um die Einbussen zu kompensieren.
Der deutsche oder der englische Markt bietet sich an. Aktuell sind es Soulsänger Seven, Newcomer Faber und die Schlagerband Calimeros, die den deutschen Markt mit englischen und hochdeutschen Texten erobern.
Für Mundart-Musiker bleibt dieser Markt dagegen verschlossen. Sie bleiben auf den Deutschschweizer Markt beschränkt, der für die meisten zu klein ist, um ihnen ein Leben als Profimusiker zu ermöglichen. Sogar die Überflieger Lo & Leduc gehen einer sogenannt geregelten Arbeit nach. Auch die Musiker von Dabu Fantastic, die mit «Angelina» einen Hit landeten, haben einen Nebenerwerb.
Musiker der zweiten Generation wie Florian Ast, Ritschi von Plüsch, Adrian Stern, Fabienne Louves und Baschi haben Mühe, an ihre grossen Erfolge anzuknüpfen. Dodo schlägt sich geradeso durch, und Bligg hat sich eine Auszeit verschrieben. Andere wie Trauffer könnten von der Musik allein leben, wollen es aber nicht. Und Büezer-Rocker Gölä hat sowieso immer mit seinem Status als Hobby-Rocker kokettiert.
Immerhin versuchen es Leute wie Kunz und die Rapper Manillio und Nemo und setzen auf die Karte Mundartmusik. Ein schwieriges Unterfangen. «Niemand kann davon leben», sagt Sylvie Widmer. Selbst erfolgreiche Mundart-Rapper wie Baze oder Greis nicht.
Die aktuelle Situation bei den Streaming-Portalen verschärft die Situation. Englisch, Französisch und Hochdeutsch gesungene Songs können es zumindest versuchen, auf die begehrten Playlists zu kommen. Mundartsongs sind chancenlos.
Die Mundart-Szene präsentiert sich zerrissen und gibt kein einheitliches Bild. Die Marktbedingungen sind aber deutlich schwieriger geworden. Eine Re-Amateurisierung hat eingesetzt. Nach dem Tod von Polo Hofer droht die Mundart-Musik sich wieder zum Freizeit-Vertreib zu entwickeln. Zu einer Szene von Hobby-Rockern.