Der Hitzesommer 2022 traf ganz Europa mit voller Wucht. Allein zwischen dem 30. Mai und dem 4. September wurden mehr als 60'000 Todesfälle registriert, die direkt auf die Hitze zurückzuführen sind. Das weisen Forschende in «Nature Medicine» nach, einer der führenden Zeitschriften in Biomedizin. Die Schweiz verzeichnete in dieser Zeit gemäss der Universität Bern dreimal mehr Hitzetote als im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2017.
Für ältere Menschen sind die hohen Temperaturen besonders bedrohlich: Fast 90 Prozent der hitzebedingten Todesfälle betrafen Menschen über 65. Doch ausgerechnet in dieser Alterskategorie werden die gesundheitlichen Folgen am stärksten unterschätzt: Gemäss der CSS Gesundheitsstudie zeigen sich zwei Drittel der älteren Menschen unbeeindruckt von den Gefahren, die mit den zunehmenden Hitzetagen einhergehen. Anders bei den 18- bis 35-Jährigen, wo 54 Prozent besonders besorgt sind über Folgen für die Gesundheit. Die Forschungsstelle Sotomo, welche die Umfrage im Auftrag der CSS durchgeführt hat, erklärt diese Unterschiede damit, dass die jüngere Generation sensibilisierter ist für den Klimawandel.
Das Auseinanderklaffen zwischen Jung und Alt zeigt, dass der Aufklärungsbedarf enorm ist – zumal solche Hitzeperioden wie im Jahr 2022 nicht die Ausnahme bleiben werden. Die besagte Untersuchung der Universität Bern kommt zu einem alarmierenden Schluss: Mit den gegenwärtigen Erwärmungsraten wird der Hitzesommer 2022 bereits in den kommenden Jahrzehnten zur Normalität. «Die Gesundheitsbedrohung durch den Klimawandel ist real, und zwar nicht erst in Zukunft, sondern hier und jetzt», warnt die Epidemiologin Ana Maria Vicedo-Cabrera, Hauptautorin der Studie. Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass die Klimaerhitzung mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung einhergeht. Diese Kombination wird künftige Generationen besonders herausfordern.
Neben dem Alter beeinflusst auch der Wohnort die Hitzeverträglichkeit: Wer in der Stadt lebt, trägt ein höheres Gesundheitsrisiko. Das hat vor allem mit dem sogenannten Hitzeinseleffekt zu tun: Beton heizt sich auf und strahlt Wärme ab, die in Zentren kaum abfliessen kann. In der Folge kühlt es auch nachts nicht mehr richtig ab. Generell sind Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt, ein zusätzliches Gesundheitsrisiko, da sich der Körper kaum von der Hitzebelastung des Tages erholen kann. MeteoSchweiz hat 2021 sogar sein Schweizer Hitzewarnkonzept angepasst. Seither erfolgen die Hitzewarnungen des Bundes auf Basis der durchschnittlichen Temperatur über die letzten 24 Stunden hinweg. Dadurch werden nun auch die Temperaturen in der Nacht berücksichtigt.
Gemäss wissenschaftlichen Berechnungen haben die Tropennächte in der Schweiz zwischen 1970 und 2019 von 90 auf 2113 pro Jahrzehnt zugenommen. Gerade über die letzten beiden Jahrzehnte hinweg waren Lausanne, Genf, Basel, Lugano und Zürich überproportional stark betroffen. Klimaadaptionsmassnahmen sind also vor allem in den Städten vordringlich, zum Beispiel, indem Böden entsiegelt und zusätzliche Grün-, Schatten- und Wasserflächen geschaffen werden.
Da in der Schweiz der Hitzeschutz in die Kompetenz der Kantone fällt, gibt es grosse Unterschiede. Als Vorreiter gelten die Kantone Genf, Waadt und Tessin, zumal sie am stärksten von Hitzewellen betroffen sind. Dort wurden bereits nach dem Hitzesommer 2003 Hitzeaktionspläne erarbeitet. Sie umfassen unter anderem Sensibilisierungskampagnen und Verhaltensempfehlungen, dank denen nachweislich höhere hitzebedingte Sterblichkeitsrate verhindert werden.
Mittlerweile verfügen auch Freiburg, Wallis und Neuenburg über entsprechende Aktionspläne. In Basel und Zürich existiert noch keine systematische und umfassende Strategie des öffentlichen Gesundheitswesens, die entsprechende Massnahmen als Reaktion auf die Hitze vorsieht. Hilfestellung könnte hierbei die «Hitze-Massnahmen-Toolbox» des Bundesamtes für Gesundheit bieten – unter anderem die Stadt Bern orientiert sich daran. Epidemiologinnen wie Ana Maria Vicedo-Cabrera empfehlen allerdings ein übergeordnetes und umfassendes System auf nationaler Ebene, statt das Problem dem föderalistischen System zu überlassen.
Neben städtebaulichen Massnahmen geht es immer auch darum, die Risikogruppen und somit auch ältere Menschen zu informieren und sensibilisieren – im Kanton Waadt sind dafür sogar ehrenamtliche Helfer im Einsatz. Auch das Fachpersonal im Gesundheitswesen sollte über die von Hitzetagen und den bestmöglichen Umgang damit auf dem Laufenden gehalten werden. Die Stadt Bern informiert regelmässig unter anderem die Leitungen von Alters- und Pflegeheimen und von mobilen Pflegediensten. Personen über 74 Jahre werden von der Stadtverwaltung per Brief über den richtigen Umgang mit der Hitze informiert.
Wie vordringlich solche Aufklärungsmassnahmen sind, offenbart auch die aktuelle CSS Gesundheitsstudie. Gemäss dieser unterschätzen ausgerechnet ältere Menschen die mit der Hitze einhergehenden Gesundheitsgefahren.