In meinem Kopf staut sich gerade alles furchtbar grusig zusammen. Die Ideen, die Fakten, die Zusammenhänge zwischen beidem und die Zweifel, all das je zu entwirren und auf diese digitalen A4-Blätter zu klatschen, als hätt ich alles ganz locker aus der Tastatur geschüttelt.
Zum Glück hat das Parlament beschlossen, die Autobahnen für 5,3 Milliarden Franken auszubauen, damit es weniger Stau gibt. Das rettet mir mein Sitzleder. Laut meinem Blogprogramm sollte ich nämlich über fehlenden Regen und Abflüsse in der Landschaft schreiben. Doch nun sitz ich den dritten Tag an diesem Beitrag und ihr wisst, was jetzt kommt: nichts – es staut.
Um's gleich vorwegzunehmen: Ich will gar nicht gross über Autobahnen schreiben, sondern über den Rebound-Effekt oder Rückprall-Effekt. Der begegnet uns im Alltag ziemlich häufig und macht unsere Bemühungen für mehr Klima- und Umweltschutz oftmals zunichte.
Dafür müssen wir kurz über «induzierten Verkehr» sprechen. Im Wesentlichen bedeutet es, dass mehr Strasse einfach mehr Verkehr generiert. Das Phänomen ist seit Jahrzehnten bekannt. Wo Strassen (aus)gebaut werden, ist das Autofahren attraktiver und man kommt effizienter vorwärts. Man spart Fahrzeit oder kann in der gleichen Zeit mehr Strecke fahren und dadurch einen Job weiter weg annehmen oder aufs Land ziehen. Und der Auto-Ausflug am Wochenende wird auch wieder sexier.
In seiner Kurzstudie «Rebound-Effekte in der Mobilität» beschreibt es Willy Raimund so: «Wenn zusätzliche Fahrspuren angelegt werden oder Ampelschaltungen den Verkehrsfluss beschleunigen, dann werden Wege zeiteffizienter zurückgelegt und es kann zu Mehrverkehr kommen, der ohne den Ausbau nicht entstanden wäre. Damit beschreibt ‹induzierter Verkehr› direkte und indirekte Rebound-Effekte von infrastrukturellen Verbesserungen im gesamten Verkehrsnetz.»
Wenn wir also mehr Strassen in die Landschaft werfen, um den Verkehr effizienter zu gestalten, erzeugen wir ungewollt einen Rebound-Effekt.
Denn Fakt ist: Unsere tägliche Reisezeit bleibt seit Jahrhunderten relativ konstant bei durchschnittlich 70 bis 80 Minuten. Egal, ob wir im 18. Jahrhundert noch mit der Pferdekutsche unterwegs waren oder heute zu Fuss, mit dem Velo, dem SUV oder der S-Bahn. Die Strecke wurde über die Zeit einfach immer länger und die Fortbewegungsmittel effizienter, schneller und bequemer.
Der Rebound-Effekt kommt zum Zug, sobald etwas effizienter wird. Sparen wir dank neuer Technologien Energie, Zeit oder Geld, investieren wir das Gesparte gleich wieder. Das klingt dann etwa so: «Ich hab mir ein besonders sparsames Auto gekauft, jetzt kann ich es auch häufiger nutzen als den alten Benziner», oder weil Motoren effizienter werden, kauft man sich ein grösseres und leistungsstärkeres Auto. Der potenzielle Spareffekt löst sich quasi in Autos auf.
Tatsächlich begegnet uns der Rebound-Effekt ziemlich häufig im Alltag. Das Paradebeispiel ist die LED-Beleuchtung. Sie ist so effizient, dass wir einfach viel mehr Licht produzieren als mit den alten Glühbirnen. Oder der Fernseher: Er wurde immer energieeffizienter und die Produktion günstiger, wodurch er immer grösser wurde.
Indirekter Rebound-Effekt: Du hast ein super effizientes Auto und verbrauchst weniger Sprit oder du hast einen Stromer angeschafft. Das dadurch gesparte Geld gibst du dann beispielsweise für einen neuen, grösseren Fernseher aus oder eine Flugreise. Schliesslich hast du ja auch viel weniger Benzin und damit Treibhausgase verprasst.
Ganz ähnlich funktioniert unser persönliches moralisches Konto: «Ich esse kein Fleisch, dafür erlaube ich mir eine Flugreise pro Jahr.» Bei Letzterem erteilen wir uns quasi eine moralische Lizenz. Im dümmsten Fall strengen wir uns an, aber treten beim Klima- und Umweltschutz auf der Stelle oder machen es sogar noch schlimmer.
Sich diesen Effekt bewusst zu machen, ist bereits die halbe Miete. Die andere Hälfte kann darin bestehen, gespartes Geld in die Vorsorge zu investieren, weniger zu arbeiten oder ein Umweltschutzprojekt zu unterstützen. Wir könnten uns in der Freizeit sozial engagieren oder einfach öfter faulenzen. Oftmals stiftet das mehr Sinn und Erholung, als Geld und Zeit in Dinge zu investieren, die uns nur kurzfristig einen Glücksmoment verschaffen. Aber darüber habe ich ja bereits im Glücks-Blogbeitrag einiges geschrieben.
Das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich die Autobahn-News las: Oh Mann … (Den Rest darf ich hier aus Jugendschutzgründen nicht schreiben.) Aber ihr wisst es, ich bin für weniger Autos, wie ich kürzlich ausführlich berichtet habe.
Wie sich zeigt, bin ich nicht alleine: Vor gut zwei Jahren zeigte sich in einer schweizweiten Umfrage vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte, dass knapp zwei Drittel der Befragten (1500 Personen) die Reduktion des motorisierten privaten Individualverkehrs befürworten. Der Wille wäre also vorhanden. Aber nur gut ein Drittel hält grundlegende Fortschritte diesbezüglich für wahrscheinlich. Allerdings zeigt sich in einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo, dass etwas mehr als die Hälfte der befragten Personen den Ausbau der Autobahnen für eine höhere Kapazität befürwortet.
Ich wage mal zu behaupten, das liegt daran, dass mehr Strasse und Autobahn zu bauen im ersten Moment als die naheliegendste Lösung erscheint. Bei der Vorstellung, wie es anders laufen könnte, staut es wieder.
Uns bewusst zu machen, dass mehr Autobahn zu mehr Verkehr führt, was dann wieder mehr Strasse braucht und wieder mehr Verkehr generiert (auch in Dörfern, der Agglo und den Städten), ist bereits die halbe Miete.
Kurz gesagt: Mehr Strasse ist eine Sackgasse.
Denn wie die Sotomo-Umfrage auch zeigt, wollen wir eigentlich mehr autofreie Zonen in städtischen Zentren und in bebauten Gebieten, mehr Bäume und abgegrenzte Velowege, dafür weniger Parkplätze und Autospuren.
Die andere Hälfte (der Miete) kann darin bestehen, das ungenutzte Geld in Lösungen zu investieren, die nicht der Steigerungslogik folgen, sondern dem Klimaschutz. Einige spannende Beispiele und Ansätze hat der Verein Klimaschutz Schweiz zusammengetragen – und ein Faktenblatt dazu. Wer gerne stöbert, findet auf der Vernetzungsplattform Mobileservice Praxisbeispiel rund um die nachhaltige Mobilität.
Die zugrundeliegende Idee: Mit weniger Verkehr mehr Mobilität ermöglichen dank Entschleunigung.
Södelig. Ihr wisst, was jetzt kommt: Hebed üch Sorg, geht wählen und nehmt öfter mal das Velo. Ich werde jetzt erst mal ordentlich faulenzen. Bis bald!
Leider ist es nicht immer machbar, Arbeit und Zuhause ideal auszuwählen. Deshalb befürworte ich Homeoffice, wo immer möglich.
Den Reboundeffekt für Strassen kannte ich. Dass sich das auch auf anderes übertragen lässt, finde ich interessant und sehr spannend!