Darf die Ärztin mich über den Termin mit meinem Sohn informieren?
Einige Meilensteine in dem Leben eines Kindes sind gesetzlich fix festgelegt: Ab 10 Jahren ist es strafmündig, ab 14 darf es den Führerausweis für ein Motorfahrrad erwerben, ab 18 stehen der nunmehr erwachsenen Person, sofern sie den Schweizer Pass hat, die politischen Rechte auf Bundesebene zu, und so weiter und so fort.
Urteilsfähiges Kind darf selber über Behandlung bestimmen
Nichts Spezifisches sagt das Gesetz dazu, ab wann eine Person selber über eine medizinische Behandlung bestimmen darf. Entscheidend dafür ist, ob das Kind im konkreten Fall urteilsfähig ist. Falls ja, darf es dieses so genannte höchstpersönliche Recht selbst wahrnehmen. Versteht ein Kind also die Behandlung sowie deren Folgen und kann es sich eine eigenständige Meinung dazu bilden, darf es selbst darüber entscheiden und kann auch bestimmen, wer über die Behandlung Bescheid wissen darf und wer nicht.
Da sich bekanntlich nicht jedes Kind gleich schnell entwickelt, muss die Ärztin fallweise darüber entscheiden, wer über die Behandlung und damit auch über die Information darüber bestimmen darf. Einige Faustregeln gibt es dennoch. So darf sie in aller Regel davon ausgehen, dass ein siebenjähriges Kind die Folgen einer geringfügigen medizinischen Entscheidung verstehen kann. Will ein Kind nichts von einer schmerzlindernden Salbe auf einem Mückenstich wissen und wird diese Entscheidung keine gravierenden Folgen haben, darf bereits ein siebenjähriges Kind diese Behandlung ablehnen.
Ist ein Kind mindestens zwölf Jahre alt, geht es schon um mehr, denn dieses Kind darf bereits eigenständige Entscheidungen über einfachere Eingriffe fällen. So hat das Bundesgericht eine Disziplinarbusse gegen einen Osteopathen bestätigt, der im Auftrag der Mutter ein Mädchen gegen dessen ausdrücklichen Willen behandelt hatte. Nach dem vollendeten 16. Altersjahr kann eine jugendliche Person in aller Regel auch die Tragweite komplexerer Eingriffe nachvollziehen und entsprechend selber darüber entscheiden.
Berufsgeheimnis gilt auch bei minderjährigem Patienten
Ist nun das Kind im konkreten Fall urteilsfähig, darf die Ärztin Drittpersonen nur dann über die Behandlung informieren, wenn das Kind einverstanden ist. Als Drittpersonen gelten auch die Eltern. Dabei umfasst die Schweigepflicht nicht nur die Informationen über die Diagnose und die Behandlung, sondern bereits die Tatsache, dass sich das Kind oder der Jugendliche bei der Ärztin in Behandlung gegeben hat.
Informiert die Ärztin ohne Einwilligung ihres Patienten dessen Eltern, verletzt sie das konventions- und verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Privatsphäre. Und sie verstösst gegen eine erstaunlich lange Reihe von Gesetzen. So droht ihr strafrechtlich eine Geld- oder Freiheitsstrafe und datenschutzrechtlich eine Busse wegen Verletzung der beruflichen Schweigepflicht. Denkbar sind auch Disziplinarmassnahmen durch die kantonale Aufsichtsbehörde. Die ungerechtfertigte Weitergabe ist auch zivilrechtlich problematisch und der Patient kann sich gegen die Persönlichkeitsverletzung wehren. Schliesslich ist eine nicht abgesprochene Weitergabe vertragsrechtlich nicht zulässig und kann zu einer Schadenersatzpflicht der Ärztin führen. Der zivilrechtliche Geheimnisbegriff ist dabei sehr weit gefasst: Was immer der Patient geheim halten will, ist auch geheim.
Ärztin darf bei Gefährdung KESB informieren
Auch wenn die Ärztin der Ansicht ist, das Kind sei gefährdet, darf sie ohne Einwilligung des urteilsfähigen Kindes die Eltern nicht darüber informieren. Erhält sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit jedoch Informationen, welche sie eine Gefährdung der körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität des Kindes lassen, darf sie dies der Kindesschutzbehörde melden. Anders als im Erwachsenenschutzrecht muss sich die Ärztin hier nicht vorgängig vom Berufsgeheimnis entbinden lassen.
