Muss ich in meiner Stadtwohnung Lärm ertragen?
Egal, ob Kühe, Kirchen oder Menschen: Sie alle verursachen rechtlich gesehen Lärm. Lärm soll wie andere Immissionen «die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören». Lärm ist an der Quelle zu begrenzen, und zwar so weit, «als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist». Dies gilt auch für Gastrolärm und anderen stadttypischen Freizeitlärm, für diesen Alltagslärm gelten allerdings keine fixen Grenzwerte.
Anspruch auf Ruhe nicht nur während Nachtruhe
Die Nachtruhe ist nicht schweizweit geregelt, vielmehr bestimmt meist die lokale Polizeiverordnung, ab wann Ruhe sein muss. Meist gilt zwischen 22.00 und 6.00 Uhr Nachtruhe, in den Innenstädten dürfen Feiernde etwas länger draussen bleiben.
Zumindest theoretisch. Denn wie das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung festhält, darf «der durch die Kundschaft eines Betriebs verursachte Lärm während der Nacht grundsätzlich höchstens geringfügige Störung verursachen». Und hier kommen nun doch Grenzwerte ins Spiel, diese sind in der Vollzugshilfe der Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute verankert. Sie nennen sich «Richtwerte».
Diese sind zwar unverbindlich, aber werden von Gerichten regelmässig beigezogen. Die Richtwerte beziehen sich auf den Lärm im Innern der Wohnung des lärmgeplagten Bewohners, respektive in den lärmempfindlichen Räumen wie Schlaf- oder Wohnzimmer. Badezimmer und Küche gelten nicht als lärmempfindlich.
Die Richtwerte gelten ausdrücklich «unabhängig von anderen gesetzlich geregelten Zeiten». So kann eine Lärmklage eines Anwohners selbst dann erfolgreich sein, wenn sich der Lärm an die konkret geltende Nachtruhe hält.
Gericht beurteilt Einzelfall
Wer eine Wohnung mietet oder kauft und bei Vertragsabschluss schon wusste, dass es laut ist, hat zunächst einen schwierigen Stand, will er sich nachher gegen Alltagslärm wehren. Dies insbesondere dann, wenn sich der Betrieb an die für ihn geltende Bewilligung hält.
Die Erfolgsaussichten einer mietrechtlichen Mängelrüge oder einer nachbarrechtlichen Lärmklage sind jedoch nicht bei null, denn neben der Lärmvorbelastung fliessen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung noch weitere vier Kriterien in die Einzelfallbeurteilung ein: Charakter des Lärms, Zeitpunkt und Häufigkeit seines Auftretens sowie die Lärmempfindlichkeit der entsprechenden Zone.
Ein Betrieb mit grölenden, betrunkenen Gästen kann weniger mit Erleichterungen rechnen als ein Restaurant, in dem der gepflegten Konversation gefrönt wird, bei Lärm um 23.00 Uhr sind die Behörden kulanter als bei Lärm um 2.00 Uhr, die Beizenfasnacht ist von den Anwohnern eher hinzunehmen als eine Dauerparty, neben einem reinen Wohngebiet hat es eine Bar schwerer als in einer Mischzone Wohnen / Gewerbe. Für die Beurteilung, ob Lärm mehr als geringfügig stört, ist das objektive Empfinden entscheidend. Wer besonders empfindlich ist, wird das vor Gericht nicht erfolgreich als Argument anführen können.
Ist die Lärmbelastung objektiv zu gross, muss die Behörde nicht gleich die Schliessung des Lokals anordnen. Die oben erwähnte Vollzugshilfe listet eine ganze Menge an möglichen Massnahmen auf. Neben baulichen Massnahmen wie etwa Schutzwänden oder schallminimierenden Bodenbelägen sind auch eine Information der Gäste, dass die Anwohner ein Anrecht auf Nachtruhe haben oder organisatorische Massnahmen wie das Verschieben der Reinigung auf die Tageszeit denkbar.
Bei neuen, zu bewilligenden Anlagen sind die Lärmschutzvorschriften strenger. Hier muss die Behörde die Planungswerte des Bundes einhalten, welche unter den Immissionsgrenzwerten. Neue ortsfeste Anlagen sind nur zulässig, wenn sie diese Planungswerte einhalten, die Bewilligungsbehörde kann eine Lärmprognose verlangen. Erleichterungen sind möglich, sofern das öffentliche Interesse an der Anlage überwiegt und die Vorgaben unverhältnismässig wären.
