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Grüezi Frau Freitag. Meine Herausforderung ist es, jeden Morgen aufzustehen und mir einzureden, dass ich schön bin und dass es mir egal sein soll was andere über mich denken ... 

Als ob ein feineres Näsli alles richten würde.
Als ob ein feineres Näsli alles richten würde.Bild: Kafi Freitag
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Grüezi Frau Freitag. Meine Herausforderung ist es, jeden Morgen aufzustehen und mir einzureden, dass ich schön bin und dass es mir egal sein soll was andere über mich denken ... 

Doch wenn ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich eine Person, die mir nicht gefällt, eine hässliche Person ... Egal ob am Morgen, wenn ich aus dem Bett steige oder am Wochenende, wenn ich ausgehe! Ich fühle mich nicht schön und ich denke immer, dass alle anderen um mich herum viel besser sind als ich und dass ich sowieso alleine alt werde ... Komisch, das von einer 18-Jährigen zu hören, doch ich selber denke, dass der Ursprung in meiner früheren Schulzeit liegt, da ich 3 Jahre lang aufs Übelste gemobbt wurde ... Was soll ich tun, um diese negativen Gedanken wegzubringen und endlich wieder mal in den Spiegel schauen zu können und sagen : «Moll, du gfallsch mer!»? Bin es leid, jeden Tag so negativ zu sein ... Lina, 18
21.05.2014, 16:5023.06.2014, 17:31
Kafi Freitag
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Liebe Lina 

Als ich Ihre Frage erhalten habe, hätte ich Sie am liebsten sofort etwas in den Arm genommen und Ihnen ins Ohr geflüstert, dass alles gut ist. Sie machen sich so viele Gedanken über sich und schwimmen in einem See von Unsicherheit. Und das ist so vollkommen normal, glauben Sie mir.

Sie sind noch schampar jung, noch nicht mal ganz aus der Pubertät. Und möchten dennoch schon so selbstsicher und gestanden sein, wie eine Frau es mit 40 kaum ist. Was denken Sie, wie lange es gedauert hat, bis ich im Frieden mit mir selber war? Als ich wie Sie 18 war, habe ich mich auch nicht ausstehen können. Es war mir überhaupt nicht wohl in meiner Haut und es hat sich kein Junge für mich interessiert. Ich habe einiges an Zeit gebraucht, um mich und meinen Stil zu finden. Und auch heute stehe ich nicht jeden Tag auf und denke vor dem Spiegel: «Moll, du gfallsch mer!»

Sie haben sicher recht mir Ihrer Annahme, dass Ihr Selbstwertgefühl unter dem Gemobbe gelitten hat. Kinder können so grausam zueinander sein. Ich kenne das leider auch. Auch ich wurde fürchterlich geplagt und bin beinahe in den Mühlen der Kinderpsychiatrie gelandet, weil man mir nicht geglaubt hat, wenn ich erzählt habe, was man mit mir auf dem Schulweg angestellt hat. Mein grosses Glück war, dass der verantwortliche Schulpsychologe genau an jenem Schulweg gewohnt hat und selbst Zeuge der Gemeinheiten wurde. Auch ich habe jahrelang gebraucht, um diese Erlebnisse zu verdauen. Und manchmal kommen sie auch heute noch hoch. Gleichzeitig bin ich heute eine sehr eigenständige und mutige Person mit einem gesunden Selbstvertrauen. Ich bin die Summe aller Erfahrungen, die ich machen durfte und machen musste. Und manches, was mich früher geschwächt hat, machte mich im Nachhinein eher stärker. Sie müssen darauf vertrauen, dass Sie Ihren Weg finden und gehen werden. Irgendwann werden Sie nicht mehr das gemobbte Kind sein, sondern eine erwachsene Frau, die selber entscheidet, wer sie sein will.

Wir Frauen haben ein Rad ab, was unser Äusseres betrifft. Ich kenne kaum eine Frau, die wirklich mit sich im Reinen ist, was das betrifft. Und ich bin es auch nicht immer, obwohl ich wirklich fleissig daran arbeite. Wir wollen immer gefallen und möglichst gut aussehen und rennen unser halbes Leben Idealen hinterher, die wir vermutlich nie erreichen können. Aus meiner Zeit als Verkäuferin im Brautmodegeschäft weiss ich, dass selbst die allerschönsten Frauen etwas an sich herumzumäkeln haben. «Hoffentlich sieht man in diesem Kleid meine zu grossen / kleinen / schiefen Kniescheiben nicht, meine Ellenbogen sind so schrumpelig, meine Schultern sind zu breit / zu schmal ...» Ich kann Ihnen auch nicht genau sagen, was es ist, aber wir Frauen scheinen zuverlässig darauf programmiert zu sein, den Fokus auf unseren Makeln zu haben. Das geht Ihnen so. Und mir. Und allen anderen Frauen da draussen auch. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele unglaublich schöne Frauen ich kenne, die unter höchst tief verwurzelten Minderwertigkeitskomplexen leiden. Und wir alle bilden uns ein, die anderen wären besser, schöner, erfolgreicher. Weil wir nur einen kleinen Teil der Oberfläche sehen und wenig von dem, was dahinter ist, oder eben nicht ist. 

Haben Sie je eine Frau getroffen, die Locken hat und diese liebt? In der Regel bewundern Frauen mit Locken das glatte Haar von anderen Frauen. Diese wiederum wünschten sich nichts sehnlicher als einen Lockenkopf. Das gleiche mit Sommersprossen. Oder aber mit dem Busen. Vollbusige wären meistens gern flachbrüstiger, weil sie dann schlanker wirken würden. Flachbrüstige wünschen sich einen üppigen Busen, der Weiblichkeit wegen. 

Die eigene objektive Schönheit und die Beziehung, die man zu ihr hat, stehen demnach in keiner Relation. Nicht selten begegnen mir Frauen, die mit ihrem Äusseren ihr Geld verdienen und dennoch an sich herummäkeln und Komplexe haben bis zum Bach. Andere, die in keinster Weise den gängigen Schönheitsvorstellungen entsprechen, sind dagegen zuFRIEDEN und IM FRIEDEN mit sich selber.

Und ich glaube, dass genau dort der Schlüssel zum Glück für uns Frauen liegt. Wir sind alle unterschiedlich und haben dennoch mit den gleichen Unsicherheiten zu kämpfen. Wir sollten aufhören, uns mit Supermodels zu vergleichen, und stattdessen dankbar sein, einen gesunden Körper zu haben, der uns ein Leben lang beherbergen wird. 

Als Gewinnerin geht drum nicht die Schönste von uns hervor, sondern die, die sich am besten akzeptieren und gernhaben kann. Trotz allem. Das schreibe ich Ihnen, liebe Lina mit meinen 39 Jahren Lebenserfahrung. Vor zehn Jahren habe ich es selber noch nicht kapiert. Hören Sie darum sofort damit auf, es in Ihrem zarten Alter kapieren zu wollen. Seien Sie nachsichtiger mit sich und gestehen Sie sich Ihre Unsicherheit und Zweifel ein. Nur die Versöhnung mit sich selber mit all seinen Makeln und Unzulänglichkeiten führt in Richtung Selbstakzeptanz. Und das bedeutet eben auch, dass man es sich verzeihen kann, wenn man zwischendurch negativ über sich selber denkt.

Wenn Sie das nächste Mal vor dem Spiegel stehen, dann schenken Sie sich das schönste und breiteste Lächeln, dass Sie auf Lager haben. Und Sie werden sehen, dass es schon ein bisschen schwieriger fallen wird, negativ zu sein. Ein Lächeln im Gesicht macht jeden Menschen schöner. Auch die noch so schönste Frau hat null Ausstrahlung, wenn sie einen Grind reisst. Würde das bitte mal jemand der Frau Beckham ausrichten? Danke!

Mit einer lieben Umarmung zum Schluss. Und Kuss! Ihre Kafi.  

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Kafi Freitag (39) beantwortet auf ihrem Blog www.FragFrauFreitag.ch Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (www.FreitagCoaching.ch) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie ist verheiratet und Mutter eines neunjährigen Sohnes.



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