Als Gregor Kobel mit dem Fussballspielen beim FC Seefeld beginnt, ist sein Talent offenkundig. Die Koordination ist besser als jene seiner Gspändli im Fussballteam, der Wille grösser. Wenn er als Mittelstürmer der F-Junioren spielt, dann schiesst er Tor um Tor. Gerne mal drei oder vier in einem Spiel. Doch immer wieder weist Vater Peter den Trainer Marc Caprez hin: «Eigentlich sollte Gregor im Tor spielen.» Der Vater erkennt früh das Talent seines Sohnes. Auf dem Feld ist Gregor sehr gut, im Tor ist er noch besser.
Am Samstag steht dieser Gregor Kobel zwischen den Pfosten von Borussia Dortmund im Final der Champions League. Im Halbfinal gegen Paris St. Germain ist er gleich zweimal ohne Gegentor geblieben, hat den BVB ins Final der Königsklasse gehext. Mit 26 Jahren ist der Zürcher auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere angekommen.
Angefangen hat alles beim beschaulichen Zürcher Quartierklub FC Seefeld. Weil häufig der schwächste Fussballer ins Tor gestellt wird, kickt Gregor oft als Stürmer. «Ich war immer froh, wenn ich ihn auf dem Platz hatte», erinnert sich sein Juniorentrainer Marc Caprez. Kobel ist seinen Altersgenossen in jeglicher Hinsicht einen Schritt voraus.
Der Schritt zu GC mit acht Jahren ist ein logischer. Dort trifft er auf seinen ersten Goalietrainer Fred Zbinden. Er erinnert sich: «Greg war immer sehr fleissig. Er hatte einen ausgeprägten Lernwillen, wollte sich stetig verbessern.»
Ehrgeizig, perfektionistisch, willensstark, kritikfähig. Wer mit Leuten über den Werdegang von Kobel spricht, hört immer wieder dieselben Stichworte. Oft wird in diesem Zusammenhang auch der Name des Vaters, von Peter Kobel, genannt. Er war einst selber Profisportler, spielte Eishockey für den HC Davos und die ZSC Lions.
Als Gregor 1997 zur Welt kommt, ist Peter Kobels Trainer Arno Del Curto. Erst viele Jahre später lernt er Gregor Kobel als talentierten GC-Nachwuchsgoalie so richtig kennen. «Peter hat mir erzählt, wie der Karriereweg aussehen soll. Alles ist eingetroffen. Das ist für mich keine Überraschung – schliesslich kenne ich den Ehrgeiz des Vaters.» Vater Peter pusht seinen Sohn Gregor, geht mit ihm auch mal auf den Fussballplatz. «Aber», stellt Jugendtrainer Caprez fest, «die Freude am Fussball hat er nie verloren.»
Das zeigt auch die Szene, die Fred Zbinden erzählt. Einmal schneit es in Zürich, alle Teams sagen ihr Training ab. Zbinden setzt ein Goalietraining an. Im «pflotschigen» Schnee hechten die Nachwuchsgoalies nach dem Ball. Irgendwann ist alles durchnässt, alle (die) Torhüter schlottern. Zbinden sieht seinen Fehler ein und sagt: «Lasst uns das Training abbrechen.» Kobel schaut seinen Trainer an und sagt: «Aber Herr Zbinden, die Trainingszeit ist noch nicht vorbei.»
Im GC-Nachwuchs ist der Konkurrenzkampf gross, rasch ist aber zu sehen, dass Kobel neben seinem starken Willen einen Vorteil hat: seine Körpergrösse. Heute misst er 1,96 Meter. Doch im GC-Nachwuchs fehlt es an einem klaren Plan für den talentierten Kobel. Andere Torhüter werden ihm bevorzugt. «Mal spielte ich, mal sass ich wieder auf der Bank», erzählt er. Die Familie schaut sich deshalb nach einer anderen Option um.
Schliesslich hilft Patrick Foletti, der Goalietrainer des Nationalteams. Der damalige Hoffenheim-Torhütertrainer Michael Rechner sucht nach einem Talent mit Jahrgang 1997, Foletti empfiehlt Kobel. «Wir haben ihn länger gescoutet und gemerkt, dass er viel mitbringt», so Rechner, der heute die Torhüter von Bayern München trainiert.
Der 16-Jährige vollzieht den Wechsel nach Deutschland ohne grosses Nachdenken. «Natürlich war dieser Wechsel rückblickend ein grosser Schritt», sagt Kobel. «Aber damals ist mir das gar nicht so vorgekommen.» Aus dem Sportgymnasium wechselt er ins deutsche Fachabitur, setzt rasch alles auf die Karte Fussball.
Kobel fällt im Hoffenheimer Nachwuchs mit viel Fleiss auf. Manchmal, übertreibt er es. Weil er zu viel im Kraftraum trainiert, ist er im Training müde. Rechner rät ihm, mal Pausen zu machen. Kobels Reaktion? Nachdem sein Trainer nach Hause gefahren ist, trainiert er am späten Abend alleine im Kraftraum. «Sein Wille ist riesig», sagt Rechner, der heute für Manuel Neuer zuständig ist und feststellt: «Gregor hat Ähnlichkeiten mit Manuel. Beide wollen immer besser werden, arbeiten an den kleinsten Details.» So verbessert Kobel seinen linken Fuss weiter, die Spieleröffnung wird immer besser.
Kobel versteckt sich nicht, auch als er das erste Mal bei den Profis ist. In seinem ersten Trainingslager mit dem Bundesligateam heisst der Wortführer Sandro Wagner. Nach einem Gegentor im Training ruft Wagner über den Platz: «Gregor, du kannst auch mal einen Schuss halten.» Darauf gibt der 17-jährige Kobel dem damaligen deutschen Nationalspieler zurück: «Und du kannst mal ein Tor erzielen.» Nach dem Training sagt Wagner zu Rechner: «Sowas hat mir noch keiner gesagt. Gregor wird seinen Weg machen.»
Gianluca Di Domenico ist zu jener Zeit sein Berater. Er erinnert sich: «Gregor war schon sehr selbstbewusst und überzeugt von seinen Qualitäten. Es war beeindruckend zu sehen, wie zielstrebig und ehrgeizig er war.» Als es darum geht, einen Profivertrag auszuhandeln, muss Hoffenheim GC 138'000 Euro bezahlen. Heute ist Kobel 40 Millionen wert.
Der talentierte Goalie wird zur Nummer 2 in Hoffenheim, sitzt auf der Bank, während Stammtorhüter Oliver Baumann gesetzt bleibt. Kobel sagt Ende 2018 zu seinem neuen Berater Philipp Degen: «Ich bin besser im Training. Ich kann nicht mehr die Nummer 2 sein.»
Kobel will weg, eine Leihe nach Augsburg ist die Lösung. Beim Bundesligisten hatte sich nach dem Abgang des vorherigen Stammtorhüters Marwin Hitz ein Vakuum gebildet. «Für mich als junger Goalie war es das wichtigste, spielen zu können», sagt Kobel.
Er wird zum sicheren Rückhalt. Nach der erfolgreichen Rückrunde ist das Interesse an seiner Person gross. Doch Hoffenheim will nicht verkaufen und schliesst auch eine Leihe innerhalb der Liga aus. So findet sich die Lösung in Stuttgart, wo der VfB soeben in die zweite Liga abgestiegen ist. Der Aufstieg gelingt auch dank eines starken Rückhalts souverän. Danach kann Stuttgart den Goalie übernehmen.
Der nächste Schritt bringt Kobel in Richtung Weltspitze. Die Verhandlungen mit Borussia Dortmund beginnen schon im Herbst 2020, im Sommer 2021 gelingt der Transfer. «Mittlerweile zählt Gregor zu den besten Torhütern der Welt», stellt Rechner fest. Und im Champions-League-Final? «Das könnte sein Spiel werden», sagt Arno Del Curto. «Ich glaube, dass er Dortmund zum Sieg hexen kann.» Dann wäre Gregor Kobel ganz oben angekommen. (aargauerzeitung.ch)