Das Meer ist voller Plastik – mein Badezimmer auch. bild: jennifer zimmermann
«Die Nachhalterin» ist alles andere als perfekt. Sie hat und gibt sich Mühe – und das ist gut so. Der Drang nach Perfektion vermiest nur die lustvollen Seiten der Nachhaltigkeit und wer nicht perfekt ist, kann sich noch verbessern.
«Hey. Hey, du!»
« ... »
«Psst!»
«Oh, wer spricht da?»
«Ich bin's. Du weisst schon.»
«Nichts weiss ich.»
«Ich geb' dir einen Tipp: Ich bin dreckig.»
«... meine Gedanken?»
«Nein, du Witzbold. Dreckig und verschimmelt.»
«Mein Kellerabteil?»
«Nein! Ich bin's, dein Komposteimer. Hast du mich etwa vergessen?»
«Hm, ja ... da war doch was. Mein guter Vorsatz mit Kompostieren anzufangen.»
«Ja, und der ist mittlerweile gut drei Wochen her. Nun bin sogar *ich* im Eimer, nicht nur die Essensreste in mir drin. Mir stinkt's echt zum Himmel. Hilfst du mir?»
«Ja, klar. Sofort.»
(...)
«Hey! Was soll das?! Ich gehöre nicht in den Hausmüll. Was soll–»
Die Trennung zwischen mir und meinem Komposteimer war kein schöner. Ich ekelte mich zu sehr vor dem sabbrig-modrigen Brei, der sich über Wochen darin angesammelt hatte und beförderte Eimer samt Inhalt kurzum von meinem Balkon in den normalen Kehricht. So weit, so unnachhaltig.
Nachhaltigkeit. Das Schlagwort der Stunde und gefühlt der letzten paar Jahre. «Sustainable» hier, «klimafreundlich» da, «umweltschonend» dort. Jeder Salat im Supermarkt ist mit «vegan» angeschrieben, das Fahrrad erlebt nicht zuletzt dank des Coronavirus einen Boom und Flugreisen sind schon lange verpönt.
Je mehr ich über Nachhaltigkeit in meinem Leben nachdenke, merke ich: In jedem einzelnen Bereich spielt sie eine Rolle. Ob ich das nun will oder nicht. Am Leben zu sein, ist per se nicht nachhaltig. Eine Bilanz.
Klima schädigend: Ich lebe. Ich benutze täglich Wattepads. Ich dusche gerne lange. Mein Bad ist bevölkert von Dutzenden Plastikflaschen, -döschen und -tuben. Ich lebe alleine. Ich kompostiere nicht. Ich fliege oft. Ich esse zwar kaum mehr Fleisch, aber noch recht oft Fisch. Ich kaufe neue Kleidung, Schuhe, Haushaltsartikel. Ich rauche. Ich brauche Einwegrasierer. Mein Geld ist nicht nachhaltig angelegt. Ich kaufe Take-away-Essen mit viel Plastikverpackung. Die Liste meiner Klima-schädigenden Verhaltensweisen ist lang – und längst nicht abschliessend.
Ob meine nachhaltigen Handlungen das wohl aufwiegen können? Ich fahre oft Fahrrad oder gehe zu Fuss. Ich besitze kein Auto. Ich lebe in einer kleinen Wohnung. Ich recycle Glas, PET und Alu. Ich entsorge Papier und Karton meist fachgerecht (o. k., das korrekte Bündeln des Kartons ist mir manchmal wirklich zu doof). Ich trage viel Secondhand-Kleidung (danke an dieser Stelle an meine Freundinnen für all die kuscheligen Kaschmirpullis – auch wenn diese bekanntlich meist nicht besonders nachhaltig sein sollen). Ich trage eine wiederverwendbare Tragtasche mit mir, manchmal ebenso wiederverwendbares Besteck (wobei ich dann vergesse, dass ich es dabeihabe) und vieles mehr.
«Gratis zum Mitnehmen» – ich konnte natürlich nicht widerstehen. bild: jennifer zimmermann
Die Pro-Liste ist bewusst länger gehalten als diejenige für mein Klima-schädigendes Verhalten. Ich halte mich gerne für eine nachhaltige Person. Dass ich weit davon entfernt bin, perfekt zu sein, schreckt mich nicht ab. Im Gegenteil. Es gibt mir ein gutes Gefühl, im Kleinen mein Bestes zu geben und dabei Neues zu lernen.
Es kann sich nach einer überwältigend grossen und schier unmöglichen Aufgabe anfühlen: nachhaltig(er) leben. Ich kann gut nachvollziehen, wer bei all den nachhaltigen Angeboten den Überblick verliert, wem diese Lebensweise zu umständlich oder zu teuer scheint. Noch besser kann ich nachvollziehen, wer sich denkt:
Auch wenn ich nie mehr in ein Flugzeug steige, wird das die Welt nicht retten. Und wenn ich die Einzige bin, die das tut, schon gar nicht. Ja, die wirklichen Änderungen müssen in Politik und Wirtschaft auf globaler Ebene geschehen.
Als Konsumentinnen und Konsumenten, als Wählerinnen und Wähler, können wir aber dazu beitragen, dass die Welt ein kleines bisschen besser wird und auch künftig ein lebenswerter Ort ist. Nicht nur Abstimmen und Wählen ist politisch, auch unsere Kaufentscheide sind ein politisches Statement. Das gibt uns mehr Macht als wir vielleicht denken. Wie man auf Englisch so schön sagt: «Put your money where your mouth is.»
Und doch höre sie noch immer: die Mimimi-Jammernden, die Ja-aber-Seufzenden. Ihnen entgegne ich:
Es macht sogar oft sehr Spass, nachhaltiger zu leben. Ihr müsst nicht unfehlbar sein. Ihr müsst nicht Zero Waste anstreben, ihr müsst nicht gleich vegan werden. Aber ihr könnt zum Beispiel Geld sparen, indem ihr Bienenwachstücher statt Plastikfolie verwendet, ihr könnt einen geilen veganen Burger statt ein Rinderfilet essen, der weniger schwer im Magen liegt, ihr könnt euch einmal mehr aufs Fahrrad schwingen, statt mit Maske im ÖV eurem eigenen Mundgeruch ausgesetzt zu sein.
Mehr Liebe zum Klima statt «Mimi(mi)». bild: jennifer zimmermann
Nachhaltig muss nicht teuer, öde und mühsam sein. Niemand zwingt euch, diesem «Trend» zu folgen. Ich sehe es lieber als persönliche Challenge denn als Hype. Statt ohnmächtig die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und aufzugeben, versuche ich, mich auf das zu konzentrieren, was ich tatsächlich beeinflussen kann. Und auf diesem Weg motiviere ich hoffentlich auch mein Umfeld zu einem Klima-bewussteren Leben.
Woran denkt ihr, wenn ihr «Nachhaltigkeit» hört? Nervt euch euer Gewissen auch oder habt ihr es so weit in die Tiefen eures Unterbewusstseins verdrängt, wie Fleischessende ihre Tierliebe? Welche Tricks und Hacks habt ihr auf Lager, um das Klima zu schonen? Welche kulinarischen, kosmetischen und anderweitigen nachhaltigen Abenteuer wollt ihr mal wagen? Und welche soll ich für euch testen? Ab in die Kommentare damit!
Ich freue mich darauf, dem Namen «Nachhalterin» alle Ehre zu machen – oder es zumindest zu versuchen.
Video: srf/SDA SRF