Reisen per Autostopp ist weniger spektakulär, als viele vielleicht denken. Meine Fahrer sind meist ganz normale Leute: Sie haben ganz normale Jobs, ganz normale Familien und wir reden ganz normal über ganz normale Dinge.
Oder anders gesagt, weil ‹normal› ein sehr unspezifisches Wort ist: Unter den 136 Fahrern, die mich bis jetzt mitgenommen haben, befand sich (oh, Wunder!) kein einziger Serienkiller, Vergewaltiger oder sonstiger Psychopath. Unwohl fühlte ich mich höchstens, weil mir meine Fahrer unbedingt etwas zu essen oder zu trinken spendieren wollten, obwohl sie selbst kaum Geld hatten.
Auf dem Weg von Belgrad in die serbischen Berge hatte ich aber erstmals die Hosen voll. Wieso? Dazu später. Erst will ich meine drei Fahrer vorstellen:
Da ist Djordje, geschätzte 30. Er hat so viele Tattoos, dass er nicht einmal weiss, wie viele es sind. Er zeigt mir Aufnahmen, auf denen verschiedenste Gegenstände in das Schmuckkästchen seiner Ex-Freundin geschoben werden (unter anderem eine Dose und sein bestes Stück). Wirklich schocken kann er mich aber erst mit einem Video, auf dem er an einem Seil hängt – lediglich an zwei grossen Fischerhaken befestigt, die er in sein Rückenfleisch gerammt hat.
Seine Freundin Maya würde wohl nie zugeben, dass sie Fischerhaken im Rücken erstrebenswert findet. Gleichwohl fühlt sich die serbische Schönheit von diesem Bad-Boy-Getue offensichtlich angezogen. Zumal Djordje auch eine sanfte Seite hat: Auf seinem Handy sind ganz viele herzige Bilder von ihm und seiner vierjährigen Tochter zu finden, die aus einer Blitzehe hervorgegangen ist.
Bleibt Djordjes Jugendfreund Aleks, den wir nach zwei Stunden Fahrt aufladen. Kaum eingestiegen, fragt mich der ganz in schwarz gekleidete junge Mann, ob ich Drogen nehme – und streckt mir eine Pille entgegen. Ich lehne ab, er schmeisst sie selbst ein. Dann sagt er mir, dass er schon dreimal versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Zum Beweis zeigt er mir Schnittwunden an seinem Hals und unter seinen kurzgeschorenen, blond gefärbten Haaren.
Diese Äusserlichkeiten sind aber nicht der Grund, wieso ich mich bei den Dreien im Auto plötzlich unwohl fühle. Es ist ihre Grosszügigkeit, die mich misstrauisch macht: Sie bieten mir an, mich bis an meinen Zielort Zlatibor zu fahren, 80 kurvenreiche Kilometer von ihrem eigenen Zielort entfernt.
Als die Strassen immer verlassener werden, wir in einen Wald fahren, nur um in eine Sackgasse zu gelangen, fängt das Paranoia-Rädchen in meinem Kopf an zu drehen: Wo fahren die mit mir hin? Wollen die mir wirklich nur helfen? Haben sie es auf meine Kamera abgesehen? Oder wollen sie mich gar unter Drogen setzen?
Nach einem Halt bei einem kleinen Fluss, wo Djordje splitterfasernackt ein Bad nimmt, kehren wir auf die normale Strasse zurück. Das GPS meines iPhones zeigt mir an, dass wir wieder Richtung Zlatibor fahren. Mein Puls bleibt aber hoch, denn jetzt sitzt Aleks am Steuer: Und er rast, als ob ihm sein Leben nichts wert ist, riskiert ein halsbrecherisches Überholmanöver nach dem anderen, betrachtet doppelte Sicherheitslinien nur als Strassenverzierung.
Dank dem Schutzengel-Teddy, den mir meine Grossmutter vor der Reise mitgegeben hat, kommen wir um 22.30 Uhr heil in Zlatibor an. Ich lade meine Fahrer zum Abendessen ein und sie telefonieren das halbe Städtchen ab, um für mich ein günstiges Zimmer zu finden. Dann verabschieden sie sich mit einer herzlichen Umarmung. Erleichtert lasse ich mich auf mein Bett fallen – aber ich habe auch ein schlechtes Gewissen: Lieber Djordje, liebe Maya, lieber Aleks, sorry, dass ich an euch gezweifelt habe!
Wir haben haben mal einen Polen in Mostar, Bosnien aufgegabelt, der uns erzählte, dass er regelmässig im Balkan mit dem Daumen herumreist. Oft würde er gar kein Geld brauchen oder sogar mit mehr nach Hause fahren, als was er mitgenommen hat - alles dank der unglaublichen Gastfreundschaft der Gesellschaft da.
Die Schweiz könnte sich eine gute Scheibe davon abschneiden.