Anthroposophen sind Esoteriker, bezeichnen sich aber als Christen-Gemeinschaft
Die Anthroposophie ist für viele Leute eine Blackbox. Würde man Passantinnen und Passanten zur Lehre oder zu Glaubensinhalten der Gemeinschaft fragen, herrschte wohl grossmehrheitlich betretenes Schweigen. Manchen kämen höchstens die Steinerschulen und die Misteltherapie in den Sinn.
Würde man ihnen antworten, dass Anthroposophen sich als Christengemeinschaft verstehen, gäbe es wohl ein kollektives Stirnrunzeln. Dies völlig zu Recht. Denn die Anthroposophie hat so viel zu tun mit dem christlichen Glauben wie eine Laterne mit einem dunklen Tannenwald.
Dies wird allen klar, die sich ein wenig mit dem Leben und der Lehre des Gründers Rudolf Steiner, der 1861 geboren wurde, auseinandersetzen. Ausser seinen Anhängern, die blind jedem Wort folgen, das ihr grosser Meister von sich gegeben hat. Und der Worte sind viele.
Anthroposophen sehen sich als christliche Bewegung
Die Christengemeinschaft ist aus der Anthroposophie hervorgegangen. Sie sieht sich als dritte christliche Bewegung neben der katholischen und evangelischen Kirche.
Es geht ihr um die Erneuerung des christlichen Glaubens. Was bedeutet, dass die wirklichen Christen auf dem Holzweg sind. In Tat und Wahrheit beissen sich die anthroposophische und christliche Heilslehre, was schon ein kurzer Blick auf die Biografie von Rudolf Steiner offenbart.
Er war ein glühender Verfechter der Theosophie, auf der die westliche Esoterik fusst. Später gründete er mit der Anthroposophie seine eigene spiritistische Gemeinschaft, die viele Anleihen der Theosophie aufweist. Bezeichnend ist die ähnliche Namensgebung.
Trotzdem blieb Steiner sein Leben lang der katholischen Kirche treu. Er sah im Wirken und in der Kreuzigung von Jesus Christus das Mysterium von Golgatha, das er als wichtiges Element der kosmischen Evolution interpretierte.
Herr Dr. Steiner, wie ihn die Anthroposophen ehrfürchtig nennen, hat einen Parallelkosmos entwickelt und bei Hunderten von Vorträgen und in unzähligen Schriften die geistige, medizinische, pädagogische, spirituelle und übersinnliche Welt neu vermessen. Seine Weltsicht ist voller magischer, spiritistischer und okkulter Elemente.
Der abenteuerliche Mix aus esoterischen und christlichen Versatzstücken geht auch aus einem kürzlich veröffentlichten Video des anthroposophischen Portals «Innere Wahrheit» hervor. Der Titel: «Das Vaterunser - seine wahre Macht, enthüllt von Rudolf Steiner».
Ein paar Zitate daraus: «Das Vaterunser trägt in sich die Architektur der Seele, die Rudolf Steiner enthüllte. Er sah im Vaterunser den gesamten christlichen Einweihungsweg, verdichtet in sieben Bitten. (…) Jede Zeile ein Tor zu anderen Dimensionen der Wirklichkeit. In den kommenden Minuten wirst du erkennen, wie diese uralte Formel deine ätherischen, astralen und geistigen Leiber neu ordnen kann, wenn du sie mit wachem Bewusstsein durchschreitest. (…) Unter dem Schleier der modernen Übersetzungen pulsiert noch immer eine ursprüngliche Schwingung, eine Urmelodie, die auf die Struktur deiner feinstofflichen Leiber einwirken kann. Die meisten Menschen beten seit Jahrzehnten, ohne je diese Kraft zu spüren. (…) Jede Zeile des Vaterunsers entspricht einer Schicht deiner gesamten menschlichen Konstitution: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich und darüber hinaus. (…) Die Struktur dieser Gebetsformel ist mathematisch präzis, jedes Wort besetzt eine genaue Position.»
Du heiliger Bimbam!
Steiner geht von einer Art Selbsterlösung und mehreren Inkarnationen aus. Dies ist ein fundamentaler Widerspruch zum christlichen Glauben, der auf der Gnade Gottes und der Erlösung - oder Verdammung - beruht.
Doch für Steiner stammt der Mensch aus kosmischen Weiten. Er entwickelt sich in der astralen Welt, bevor er auf der Erde inkarniert. Weiter behauptet Steiner, das Denken und Fühlen einer Frau begünstige, dass sie anschliessend in einem männlichen Leib inkarniere.
Auch die Erde inkarniert
Doch nicht nur der Mensch soll sich reinkarnieren, sondern auch die Erde, wie Aussteiger berichten. Die drei früheren Inkarnationen unseres Planeten nennt Steiner Saturnzustand, Sonnenzustand und Mondzustand.
Steiner hatte wie viele seiner Zeitgenossen eine antisemitische Schlagseite, schrieb er doch: «Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte.» Diese Aussage machte er 1888 im Alter von 27 Jahren.
Die Lehre von Steiner ist Hardcore-Esoterik und offenbart eine magische, teilweise okkulte Weltsicht. Der Widerspruch zur christlichen Heilslehre ist offensichtlich, wie auch Bibelstellen zeigen.
Ein Beispiel: «Es soll niemand unter euch gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter im Feuer opfert, der Wahrsagerei oder Zauberei treibt, der Vorzeichen deutet, der Hexerei treibt, der Zaubersprüche ausspricht, der ein Medium oder Spiritist ist oder der die Toten befragt.» (Deuteronomium 18:10-12)
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