Diese Frage wird Autorinnen und Autoren regelmässig gestellt: im Freundeskreis, auf Buchmessen, bei Signierstunden oder sogar noch häufiger bei Veranstaltungen in Bibliotheken, Mediatheken sowie in Schulen. Übrigens kommt diese Frage fast systematisch bei Events an Schulen auf – denn Kinder haben oft weniger Hemmungen als Erwachsene. Und es tut gut, offen darüber zu sprechen. Auf eine direkte Frage folgt schliesslich eine ehrliche – aber differenzierte – Antwort.
Man könnte natürlich zuerst die Frage selbst infrage stellen – mit zwei Gegenfragen: Wie viele Schriftsteller schreiben heute überhaupt noch mit einer echten Feder? Natürlich handelt es sich hierbei um ein sprachliches Bild. Vor allem aber: Was ist überhaupt ein Schriftsteller? Wenn einige elitäre Kreise diesen Status nur einer bestimmten Art der Literatur vorbehalten möchten, ab wann wird dann ein Autor oder Romanautor eigentlich zu einem Schriftsteller? Eine rein rhetorische und letztlich ziemlich uninteressante Frage, auf die nur diese selbsternannte Elite eine (meist schwammige und wenig überzeugende) Antwort parat hat. Aber lassen wir das – darum geht es hier nicht.
Als Antwort auf die eigentliche Frage ziehe ich jeweils gerne einen Vergleich zu anderen kreativen Bereichen oder dem Sport: Wie viele Musiker träumen davon, so viel zu verdienen wie Rihanna oder Johnny Hallyday? Wie viele Millionen Nachwuchs-Fussballer träumen von einer Profikarriere bei Real Madrid, PSG oder Inter Mailand? Zweifellos wird dies nur einem winzigen Prozentsatz gelingen.
In der Literatur ist es ähnlich. Und der Erfolg hängt leider nicht nur von der Qualität des geschriebenen Textes ab – bei Weitem nicht. Wichtig ist etwa die Vertriebskraft des Verlags. Aber auch das reicht nicht: Der Verlag muss bereit sein, ein finanzielles Risiko einzugehen und wirklich in Ihre Vermarktung zu investieren. Sie können durchaus bei einem grossen Verlag unterkommen – doch wenn dieser Sie nur als Möglichkeit sieht, seinen bereits umfangreichen Katalog zu erweitern, werden Sie dort nur eine Nebenrolle spielen und irgendwann in Vergessenheit geraten.
Die Vertriebskraft des Verlegers ist ebenfalls entscheidend – aber bei 200 Neuerscheinungen im Katalog muss sich dieser auch erst einmal dazu entscheiden, Ihr Werk ein bisschen mehr zu pushen als die 199 anderen. Und die Buchhändler sind inzwischen völlig überfordert mit der literarischen Überproduktion der letzten Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zufällig einen Debütroman eines Autors entdecken, ist äusserst gering.
Und zu guter Letzt ist auch der Zugang zur klassischen Presse, die nach wie vor einflussreicher ist als soziale Medien, extrem schwer geworden – in Frankreich noch mehr als in der Schweiz oder Belgien. Aber die Literatursendungen im Fernsehen verschwinden überall zunehmend.
Kurzum: Der Weg eines Schriftstellers, der von den Werken aus seiner Feder leben möchte, ist der eines Kämpfers am Rande der Verzweiflung.
In Pariser Verlagskreisen heisst es oft: Ausser Sie tauchen mit einem Buch auf, das viral geht, dauert es im Schnitt zehn Jahre und fast ebenso viele Bücher, um einen Schriftsteller «aufzubauen» – das heisst: es ihm zu ermöglichen, einigermassen komfortabel vom Schreiben aus seiner Feder leben zu können.
Und um davon leben zu können, gibt es kein Geheimrezept: Man muss Bücher verkaufen. Denn die Haupteinnahmequelle eines Schriftstellers sind die Urheberrechte. Aber wie viel ist das eigentlich?
Fragt man Schüler, sagen sie ein wenig naiv, aber ehrlich, dass der gesamte Buchpreis dem Autor zustehen müsste. Wenn man ihnen nun erklärt, dass auch Buchhandlungen davon leben können müssen, dass auch sie Miete und Gehälter zahlen müssen, halbieren sie den Betrag. Und dann erzählt man den Schülern noch von den Anteilen von Verlag, Druckerei, Vertrieb, Transport, Zoll, Mehrwertsteuer usw. Damit bleiben für den Autor im Schnitt nur noch 10 % vom Verkaufspreis seines Buches im Buchhandel übrig.
Aber … es gibt ein paar Aber:
... wenn Sie von einem Schweizer Verlag verlegt werden und Ihre Bücher – wie meistens – nur in der Schweiz erhältlich sind, erhalten Sie im Durchschnitt 10 % des Schweizer Verkaufspreises: bei einem Hardcover zum Preis von 30 Franken also 3 Franken an Tantiemen;
... wenn Sie hingegen von einem grossen französischen Verlag vertrieben werden, erhalten Sie 10 % des französischen Verkaufspreises, ganz egal, ob der Grossteil Ihrer Bücher in der Schweiz verkauft wird: Bei einem Hardcover, das in der Schweiz 30 Franken kostet, rechnen Sie in Frankreich mit 20 Euro – also 2 Euro an Tantiemen;
... wenden Sie dann noch den aktuellen Wechselkurs an, reduzieren sich Ihre Tantiemen auf 1.90 Franken pro verkauftem Hardcover.
Dann gibt es noch das Taschenbuchformat, dessen Lebensdauer im Buchhandel und in Supermärkten deutlich höher ist als die des Hardcover-Formats, aber … Der Tradition nach – es ist keine automatische Regel, man muss dafür erst eine bestimmte Verkaufszahl erreichen – erscheinen Bücher, die zunächst als Hardcover veröffentlicht wurden, in der Regel 12 bis 18 Monate später als Taschenbuch. Und die Taschenbuchverlage, die oft unabhängig von den Hardcover-Verlagen sind, schliessen Verträge nur mit Letzteren, in der Regel nie direkt mit den Autoren. In Frankreich verkauft sich ein Taschenbuch durchschnittlich für rund 8 Euro (in der Schweiz etwa 14 Franken). 80 Cent pro verkauftem Buch gehen also an den Hardcover-Verlag, der die Hälfte behält und die andere Hälfte an den Autor weitergibt.
Der Autor erhält also im Durchschnitt bei einem Taschenbuch 5 % des französischen Verkaufspreises, also 40 Cent (das entspricht etwa 37 Rappen pro Buch).
Eine ähnliche Aufteilung erfolgt mit dem Illustrator, wenn der Autor ein Buch mit Illustrationen veröffentlicht – was im Bereich der Kinder- und Jugendbücher häufig der Fall ist. Beim Verkauf eines Kinderbuchs zum Schweizer Preis von 15 Franken erhält der Autor in der Regel 75 Rappen pro verkauftem Exemplar.
Diese Art der Aufteilung der Urheberrechte, meist im Verhältnis 50/50 zwischen dem Verlag des Originals und dem Autor, kommt auch bei weiteren Nutzungen des Werks zum Tragen: etwa bei Übersetzungen, Hörbuchproduktionen, Comic-Adaptionen, Film- und Fernsehprojekten, Theaterfassungen – und vielem mehr.
Ja, ein Schriftsteller kann vom Schreiben leben. Aber er muss massive Stückzahlen verkaufen. Hat er nur die Romandie (Westschweiz) als Markt – rund zwei Millionen Menschen –, kann er den Traum vergessen. Selbst Joël Dicker könnte davon nicht leben, wenn nur die Romandie sein Markt wäre. Man braucht Frankreich, Belgien, den Rest der Frankophonie – und am besten auch Übersetzungen.
In der Westschweiz gilt ein Buch bereits dann als Bestseller, wenn es sich 500 Mal verkauft. In Frankreich ist die Lage noch ernüchternder: Verlage zeigen sich zufrieden, wenn ein Titel die Marke von 2000 verkauften Exemplaren erreicht. Für ein Gebiet, das 33 Mal grösser ist als die Romandie, ist das durchaus überraschend – doch so funktioniert der Buchmarkt. Er folgt nicht immer logischen oder klar berechenbaren Gesetzmässigkeiten.
Und dann ist da noch der Lebensstandard: In Frankreich mag man mit 1500 Euro pro Monat noch irgendwie auskommen – in der Schweiz ist es unter dem Drei- oder Vierfachen nahezu unmöglich.
Deshalb behalten viele Autorinnen und Autoren einen Zweitjob oder ergänzen ihre Einnahmen durch Schullesungen, Bibliotheksauftritte und ähnliche Anlässe. Dazu kommen vielleicht ein paar Hundert Franken pro Jahr von Verwertungsgesellschaften (z. B. für Bibliotheksausleihen) – aber das ist eher Kleingeld.
Und Sie sind dazu verdammt, bei ihrem Verlag oder bei den Veranstaltern literarischer Events um die Erstattung jedes einzelnen ausgelegten Rappens zu bitten – denn die Buchpromotion geht oft mit erheblichen Ausgaben einher: fürs Auto (Benzin, Mautgebühren, Parkplätze, Abnutzung), den öffentlichen Verkehr, Hotelübernachtungen und Mahlzeiten ausser Haus.
Zusammenfassend: Ja, ein Schriftsteller kann vom Schreiben leben – mit harter Arbeit, Geduld und viel Glück. Aber meistens lebt man bescheiden, nur selten komfortabel – es sei denn, man schafft es auf wundersame Weise in die «Champions League» der Verlagswelt.
Und sind die Gewinnspannen bei Selfpublishing grösser? Man hört das manchmal – und ganz falsch ist es nicht. Aber auch das ist oft eine Trugschlussfalle. Ich habe es selbst erlebt, einige meiner ersten Bücher sind immer noch im Selbstverlag erhältlich. Aber davon erzähle ich euch ein andermal ...
Spannend hätte ich noch eine Bemerkung zu den E-Books gefunden. Drücken diese die Preise eher? Oder führen sie sogar zu Mehrverkauf, da sich der Leser hier nicht fragen muss "Habe ich noch Platz daheim?"?