Religionen sind grosse Blackboxen. Alle religiösen Heilslehren beruhen auf Annahmen, die sich nicht beweisen lassen. Ausgerechnet in den entscheidenden Fragen des Lebens müssen wir glauben, was Religionsführer oder -gründer verkünden. Ihre zentralen Botschaften über Gott und transzendentale Fragen lassen sich nicht überprüfen.
Die Krux beginnt schon damit, dass es Tausende Heilsverkünder gibt, die uns angeblich die einzig wahre Heilslehre offenbaren. Doch es gibt höchstens eine Wahrheit – wenn man in religiösen Fragen überhaupt von Wahrheit sprechen kann. Die meisten religiösen «Erkenntnisse» sind also Spekulationen oder «fake news», um es mit einem neudeutschen Modewort zu formulieren.
Mit anderen Worten: Die Mehrheit der Menschen glaubt an einen falschen Gott. Die Frage ist nur: Welche Minderheit den «richtigen Gott» gefunden hat.
Geht man nach dem Mehrheitsprinzip, müsste der christliche Gott der wahre sein. Doch da taucht bereits die nächste Schwierigkeit auf. Es gibt Hunderte christlicher Kirchen, die unterschiedliche Gottesbilder postulieren und die Bibel unterschiedlich auslegen. Was die Frage nach der «einzigen religiösen Wahrheit» für die Gläubigen nicht einfacher macht.
Wir erleben also eine religiöse Kakophonie oder einen Dschungel von Hypothesen, Interpretationen und Spekulationen. Das erschwert die Orientierung für Suchende erheblich.
Einzig Gott wäre fähig, das Dilemma zu lösen – und die Gläubigen zu erlösen. Er könnte sich offenbaren und die Diskussionen, ob es ihn überhaupt gibt, ein für allemal beenden.
Erstaunlicherweise thematisieren die Religionen die entscheidende Frage, weshalb Gott beharrlich schweigt, selten. Sie haben wohl Angst, keine plausible Antwort geben zu können und bei den Gläubigen Glaubenszweifel auszulösen. Diese werden lieber mit dem Standardspruch vertröstet, Gottes Wege seien unergründlich.
In ihrem Dilemma stützen sich die Gläubigen auf ihre eigenen «Gotteserfahrungen». Sie sind überzeugt, Gott oder Jesus zu spüren. Sie glauben, er beschütze sie, ja, er spreche gar zu ihnen.
Selbst im Alltag suchen sie überall Signale von Gott. Auch unbedeutende Ereignisse interpretieren sie als Fingerzeig Gottes – auch wenn es sich offensichtlich um zufällige Vorkommnisse handelt.
Die Suche nach der Nähe Gottes geht bei vielen Freikirchlichen sogar so weit, dass sie beim Frühstück ein Gedeck für Jesus auftischen. Sie sind tatsächlich überzeugt, Jesus sitze nun bei ihnen zu Tisch. Das nennt man dann Autosuggestion oder Selbstindoktrination.
Diese hochgradige Suggestion wird vor allem auch beim Gebet gefödert, das fast alle Religionen kennen. Wer regelmässig betet und glaubt, Gott empfange die Botschaften, zweifelt nicht mehr an seiner Existenz. Die Einbildungskraft in dieser emotionalen Atmosphäre führt schliesslich zur Überzeugung, dass Gott Gläubigen beisteht und somit in die Welt wirkt.
Doch damit öffnet sie ein neues Konfliktfeld: Warum lässt der gleiche Gott, der sich als liebender Vater präsentiert, das unsägliche Leid auf der Erde zu? Wieso sitzt Jesus am Frühstückstisch der «Rechtgläubigen» und spricht Gott zu ihnen, wenn gleichzeitige unschuldige Kinder im Krieg in Syrien im Bombenhagel sterben?
Sollten die Gläubigen Jesus beim Frühstück nicht bitten, sich besser um die Leidenden zu kümmern, als mit ihnen am Tisch zu sitzen? Schliesslich hat der Sohn Gottes laut den Evangelien Kranke, Arme und Unterprivilegierte unterstützt.
Manche mögen einwenden, das seien konstruierte Beispiele. Für fortschrittliche Christen seien die Nähe zu Gott beim Gebet Gleichnisse, Metaphern. Gott spreche nicht wirklich mit den Gläubigen.
Doch die grösste christliche Gemeinschaft, die katholische Kirche, sieht das anders. Im katholischen Katechismus heisst es: «Um sich den Menschen zu offenbaren, spricht Gott in seiner entgegenkommenden Güte zu den Menschen in menschlichen Worten: ‹Gottes Worte, durch Menschenzunge ausgedrückt, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme des Fleisches menschlicher Schwachheit den Menschen ähnlich geworden ist›. Durch alle Worte der Heiligen Schrift sagt Gott nur ein Wort: sein eingeborenes Wort, in dem er sich selbst ganz aussagt. Das eine gleiche Wort Gottes erstreckt sich durch alle Schriften; das eine gleiche Wort ertönt im Mund aller heiligen Schriftsteller. Da es im Anfang Gott bei Gott war, benötigt es keine Silben, denn es ist nicht zeitbedingt” (Katechismus, Absatz 101 und 102).
Ich würde gern die Protokolle der Gespräche zwischen Gott und seinen Bischöfen, Kardinälen und Päpsten lesen. Vor allem mit jenen Würdenträgern, die Kinder geschändet und sich mit faschistischen Diktatoren ins Lotterbett gelegt haben.
Ludwig Feuerbach (1804–1872)