Ende 2022 lanciert, hat ChatGPT Apple auf dem falschen Fuss erwischt. Könnte man meinen. Oder wie sonst ist zu erklären, dass die Kalifornier den Hype um generative KI bislang nur vom Spielfeldrand aus verfolgen?
Der US-Techjournalist Mark Gurman, der für Bloomberg schreibt und über zuverlässige Informanten im Apple-Hauptquartier in Cupertino verfügt, hat das vermeintliche Versäumnis Anfang dieser Woche thematisiert. Er schreibt:
Gurman kommt zu einem harten Urteil: Die bislang «einzige bemerkenswerte KI-Veröffentlichung von Apple» sei ein verbessertes Autokorrektursystem in iOS 17.
Er könne «mit Bestimmtheit» sagen, dass die Apple-Führungsriege vom plötzlichen KI-Fieber der Branche überrascht worden sei. Seit ChatGPT so richtig durchstartete, mühe man sich in Cupertino ab, die verlorene Zeit aufzuholen.
Der Techjournalist konstatiert:
Es gilt zu betonen, dass sich Gurman in seinen Berichten über Apples angebliche Pläne auf anonyme bzw. nicht namentlich genannte Apple-Insider bezieht. Weil wir die Quelle(n) nicht kennen, fällt es schwer, die Relevanz der entsprechenden Informationen und Kommentare einzuordnen.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Apple keineswegs untätig war in diesem Bereich. Im Gegenteil.
«Wir forschen seit Jahren an einem breiten Spektrum von KI-Technologien», erklärte Tim Cook im vergangenen August in einer Konferenzschaltung mit Analysten. Und er fügte an, Apple werde «weiterhin investieren, innovativ sein und unsere Produkte verantwortungsvoll weiterentwickeln». Gleichzeitig hat sich der Konzernchef aber auch öffentlich für eine umfassendere KI-Regulierung ausgesprochen.
Tatsache ist auch, dass die iPhone-Assistentin Siri, die auf allen wichtigen Apple-Geräten verfügbar ist, dringend ein technisches Upgrade benötigt. Die 2014 lancierte Spracherkennung wirkt heute schwerfällig und nicht mehr zeitgemäss: ChatGPT und Co. scheinen die menschliche Sprache um Welten besser zu verarbeiten, auch wenn dahinter nur eine raffinierte Berechnung von Wahrscheinlichkeiten steckt, und definitiv keine echte, verständnisvolle Intelligenz.
Und genau hier liegt das Problem, das Apple von einer vorschnellen Einführung abhalten dürfte. Generative KI ist wie ein Papagei, der Dinge nachplappert.
Der Tech-Blogger und Apple-Kenner John Gruber, der den «Daring Fireball»-Blog betreibt und selber über beste Kontakte in Cupertino verfügt, kommentiert:
Dass Apple noch keine pfannenfertige ChatGPT-Alternative am Start hat, lässt sich mit den relativen langen Entwicklungszyklen für neue Hardware und Software erklären. Und mit einer grundlegend anderen Strategie, wenn es um die Einführung von neuen Technologien geht.
Apples geheimer Produkte-Fahrplan wird von vielen Leuten unterschätzt: Es dauert im besten Fall mehrere Jahre, bis das Unternehmen eine Technologie als marktreif erachtet.
Tatsächlich kommt es selten vor, dass Apple mit einer technischen Innovation vorprescht. Dies war etwa 2013 mit dem Fingerabdruck-Scanner («TouchID») fürs iPhone 5S der Fall.
Von Ausnahmen abgesehen (wie der missglückten Einführung von Apple Maps 2012) geht man lieber auf Nummer sicher und lanciert keine halben Sachen.
Bei der generativen KI kommen gewichtige Fragen und ungelöste Probleme hinzu. Allen voran sind die Fehleranfälligkeit der neuen Technik und das «Halluzinieren», also das Erfinden von vermeintlichen Fakten, zu nennen. Damit verbunden sind grosse gesellschaftliche Bedenken. Renommierte Fachleute warnen vor dem Missbrauchspotenzial. Und Apple selbst hat für seine Angestellten ein internes Verbot von generativer KI erlassen – aus Angst vor Datenabflüssen.
Doch zurück zu den Geräten der Kundinnen und Kunden: Bekanntlich verfolgt Apple bei all seinen wichtigsten Produkten, dem iPhone, iPad und Mac, einen datenschutzfreundlichen Ansatz. Bei wichtigen Funktionen, wie etwa der Verarbeitung von biometrischen Daten, soll möglichst viel auf den Geräten selbst laufen, statt User-Daten in die Cloud zu übertragen und in den eigenen Rechenzentren zu verarbeiten. Dies bietet Vorteile bezüglich Sicherheit und Komfort.
Man denke an den Werbeslogan «Was auf deinem iPhone passiert, bleibt auf deinem iPhone», mit dem sich Apple von der Android-Konkurrenz abzuheben versucht. Diese unter Tim Cook forcierte «On-Device-Strategie» macht es allerdings schwierig, generative KI zu implementieren.
Der geräteinterne Ansatz funktioniere schneller und trage zum Schutz der Privatsphäre bei, so Gurman. Aber die Verwendung von Apples Sprachmodell über die Cloud würde «fortgeschrittenere Operationen» ermöglichen.
Laut Gurman-Bericht vom Juli hat Apple ein eigenes grosses Sprachmodell (LLM) namens Ajax entwickelt und testet bereits unternehmensintern einen KI-Chatbot mit dem nicht sehr originellen Namen «Apple GPT».
Der entscheidende nächste Schritt bestehe darin, herauszufinden, ob die Apple-KI mit der Konkurrenz mithalte und wie sie tatsächlich in Produkten eingesetzt werden könne.
Dieses Vorhaben habe oberste Priorität, wie auch die Verantwortlichkeiten im US-Konzern belegen sollen:
Das Trio sei auf dem besten Weg, etwa 1 Milliarde Dollar pro Jahr für das Vorhaben auszugeben, so Gurman. Und wie nicht anders zu erwarten, geht es vorrangig um das (immer noch) wichtigste und lukrativste Apple-Produkt: das iPhone.
Federighis Software-Engineering-Gruppe arbeite daran, KI in die nächste Version von iOS einzubauen. Das mobile Betriebssystem soll demnach um benutzerfreundliche Funktionen erweitert werden, die auf dem Sprachmodell Ajax basieren. Den bisherigen Gepflogenheiten folgend, wird iOS 18 im Sommer 2024 präsentiert und im Herbst darauf lanciert.
Gurman prognostiziert: Die neuen KI-Funktionen werden Siri verbessern. Aber auch die Nachrichten-App (iMessage) soll dank generativer KI aufgemotzt werden, um Fragen zu beantworten und Sätze automatisch zu vervollständigen.
Die Softwareentwicklungsteams von Apple prüfen angeblich auch die Integration von generativer KI in Software-Entwicklungswerkzeuge wie Xcode. Dies könnte Entwicklern helfen, neue Apps einfacher und schneller zu schreiben.
Auch in diesem Bereich hat Apple aufzuholen: Mit der Integration eines KI-Chatbots würde man mit konkurrierenden Diensten wie Microsofts GitHub Copilot gleichziehen.
Die Apple-Führung drängt laut Gurman darauf, generative KI zu so vielen Anwendungen wie möglich hinzuzufügen. Eine weitere Gruppe im Unternehmen erforsche neue Funktionen für Apple Music, einschliesslich automatisch generierter Wiedergabelisten – also etwas, das Spotify Anfang des Jahres in Zusammenarbeit mit OpenAI eingeführt hat.
Und dann sind da noch die Produktivitäts-Apps wie das hauseigene Mail- und Kalender-Programm, die PowerPoint-Alternative Keynote, die Textverarbeitung Pages oder die Tabellenkalkulation Numbers: Auch sie könnten einen tüchtigen «Schuss» generative KI vertragen, um den Anwenderinnen und Anwendern den Alltag zu erleichtern.
Allerdings wird Apple einen solchen Schritt erst wagen, wenn alle Sicherheits- und Datenschutzbedenken ausgeräumt sind. Die Nutzerinnen und Nutzer werden also noch geraume Zeit mit der in die Jahre gekommenen Siri Vorliebe nehmen müssen. Sofern sie sie nicht bereits deaktiviert haben.
Gurman dämpft die Hoffnungen:
Kundinnen und Kunden dürften trotzdem schon früher mit Apples eigener generativer KI in Berührung kommen. Wenn auch unbemerkt: bei Support-Anfragen. Wie wir ebenfalls dank Gurmans Insider-Informationen wissen, laufen bei der Kundenbetreuung bereits entsprechende Versuche.
OpenAI hat alle überrumpelt. Aber das Produkt, das da lanciert wurde, ist nichtmal ansatzweise wirklich einsatzbereit. Das geschah wohl auf Drängen des Managements, das Resultate sehen wollte.
Dass sich Apple Zeit lässt, sowas auf den Markt zu bringen, ist definitiv zu begrüssen.