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F-16: Ukrainische Kampfpiloten trainieren mit russischem Flugsimulator

Ukrainischer Kampfpilot trainiert mit PC-Flugsimulator für die Umschulung auf die F-16.
Ein ukrainischer Militärpilot mit Virtual-Reality-Brille, Joystick und Schubhebel bei einem simulierten Flug mit dem amerikanischen Kampfjet, neben ihm ein Instruktor.Bild: Screenshot: YouTube
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Wie ukrainische Kampfpiloten mit «Schweizer» Software für den F-16 trainieren

Die ukrainische Luftwaffe nutzt ein populäres Computerspiel, um ihre Piloten möglichst schnell auf den amerikanischen Kampfjet F-16 umzuschulen. Die russische Entwicklerfirma sitzt in der Schweiz.
03.10.2023, 11:4403.10.2023, 15:33
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Die ukrainische Luftwaffe hat ein ungewöhnliches Ausbildungsprogramm ins Leben gerufen, um ihren Militärpiloten eine möglichst rasche Umschulung auf den amerikanischen Kampfjet F-16 zu ermöglichen. Und dabei spielt die Schweiz eine besondere Rolle, wie wir gleich sehen.

Was ist daran speziell?

«Wenn sie nicht gerade mit ihren von der Sowjetunion entwickelten Su-27 und MiG-29 gegen russische Ziele fliegen, verbringen ukrainische Piloten einen Teil ihrer Freizeit damit, F-16-Simulatoren mit virtueller Realität (VR) zu fliegen.»
The War Zonequelle: thedrive.com

Zwar dürften Flugsimulatoren in jeder modernen Armee zur Ausbildung der Militärpiloten herangezogen werden. Doch im vorliegenden Fall gibt es mehrere Besonderheiten:

  • Der verwendete Flugsimulator ist keine teure Spezialkonstruktion, sondern ein Windows-Spiel, das für alle Interessierten frei verfügbar ist. Es nennt sich «Digital Combat Simulator: World» («DCS»), ist baukastenartig aufgebaut und kostet keine 100 Franken pro Jahr, wenn man das entsprechende Modul «F-16C» nutzen will.
  • Entwickelt wurde der umfangreiche und realistische Schlachtfeld-Simulator von einer russischen Softwarefirma, die ihren Sitz in der Schweiz hat. Die ukrainischen Piloten trainieren also mithilfe eines russischen Computerspiels, das aus der neutralen Schweiz stammt.
  • Alle ukrainischen Fliegerbrigaden hätten die DCS-Software und die für die F-16-Simulationen erforderliche Gamer-Hardware erhalten, erklärte der Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, Jurij Ihnat. Dazu gehören Joystick (Steuerknüppel), Schubhebel und VR-Brille.
  • Die ukrainischen Piloten, die für den Wechsel von alten Kampfflugzeugen der Sowjet-Ära zu den moderneren amerikanischen F-16 vorgesehen sind, trainierten bereits regelmässig im Simulator. Das Hauptziel der Übungen bestehe darin, ihnen die wichtigsten Unterschiede zwischen der Steuerung der Flugzeuge zu vermitteln.
  • Die Piloten könnten sich so ausreichend mit der F-16 vertraut machen, um ihre Ausbildungszeit ausserhalb der Ukraine zu verkürzen, sagte Oleksii Diakiv vom Ausbildungskommando der ukrainischen Luftwaffe.
  • Das Game hatte schon zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 für Schlagzeilen gesorgt: Damals verbreitete sich auf den Social-Media-Plattformen ein DCS-Video, das angeblich den «Ghost of Kiev» zeigte, einen legendären ukrainischen Kampfpiloten (siehe unten).
Was die F-16 ausmacht
Der Mehrzweckkampfjet F-16 Fighting Falcon wurde in den 1970er-Jahren in den USA entwickelt, wobei er zunächst nur als Abfangjäger konzipiert war. Der US-Rüstungskonzern General Dynamics hat den einstrahligen Jet mehrmals modernisiert. Die Produktion wurde in den 80er-Jahren auf die Modelle F-16C und F-16D (ein-/zweisitzig) mit verbesserter Bordelektronik und leistungsfähigerem Triebwerk umgestellt. Gut zwei Dutzend Staaten haben F-16-Modelle für ihre Luftwaffe beschafft. Es sind darum nicht nur viele Maschinen verfügbar, sondern auch viele Instruktoren sowie Ersatzteile, wovon die Ukraine profitiert.

Wer hat den Flugsimulator entwickelt?

Die 1991 in Moskau gegründete Entwicklerfirma nennt sich Eagle Dynamics und hat heute ihren Geschäftssitz in Villars-sur-Glâne im Kanton Freiburg. Eine Medienanfrage von watson blieb zunächst unbeantwortet.

Ironie der Geschichte: Ein leitender Angestellter des Unternehmens – ein russischer Staatsbürger – wurde 2019 von einem US-Gericht verurteilt, weil er F-16-Handbücher beschafft und nach Russland hatte schicken lassen. Der damalige Chefprogrammierer von Eagle Dynamics war zuvor in Georgien verhaftet und an die USA ausgeliefert worden.

Das englischsprachige, ukrainische Medium «Kyiv Post», das den Fall recherchiert hat, schreibt:

«Im Jahr 2019 wurde der leitende Angestellte des Unternehmens, Oleg Tishchenko, im US-Bundesstaat Utah angeklagt und anschliessend verurteilt, weil er F-16-Flughandbücher unter Verstoss gegen das Waffenexportkontrollgesetz ins Ausland verbracht hatte. Er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber schnell wieder nach Moskau abgeschoben.»

Anzumerken bleibt, dass es sich dabei nicht um vertrauliche oder gar geheime Dokumente handelte. Das inzwischen in der Schweiz ansässige Unternehmen und der Mann versichern, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Wie sehen solche «Testflüge» aus?

Das folgende von den ukrainischen Streitkräften stammende Video zeigt einen Kampfpiloten, der im aktiven Dienst ist. Der junge Mann sitzt vor einem PC-Bildschirm, trägt eine Virtual-Reality-Brille und bedient einen Steuerknüppel und Schubhebel, um im virtuellen Kampfjet-Cockpit den Formationsflug und verschiedene Luftoperationen zu trainieren.

Das simulierte Flugzeug sei identisch mit der F-16, die mehrere westliche Länder an die Ukraine liefern. Inzwischen haben Dänemark, die Niederlande und Norwegen Dutzende von Maschinen zugesagt, und die Ausbildung der Ukrainer soll dank internationaler Koordination möglichst rasch ablaufen.

In diesem früheren Video wird erklärt, was DCS ausmacht:

Ist so ein Training ernstzunehmen?

Blick in das virtuelle F-16-Cockpit. Der Pilot hat dank VR-Brille eine 3D-Rundumsicht.
Blick in das virtuelle F-16-Cockpit. Der Pilot hat dank VR-Brille eine 3D-Rundumsicht.Screenshot: YouTube

Russische Militärblogger machen sich in ihren Telegram-Kanälen offenbar über die Verwendung des kommerziellen Flugsimulators durch die Ukraine lustig. Tatsächlich trainieren aber unter anderem Piloten der US-Luftwaffe schon seit einigen Jahren mit dem Computerspiel DCS.

Das öffentlich verfügbare, extrem realistische Luftkampf-Videospiel sei so präzise, dass es von echten Militärpiloten zum Training genutzt werde, hielt der über Militärthemen schreibende US-Blog The Warzone 2021 fest.

Damals wurde über ein Trainingsgeschwader auf einem US-Luftwaffenstützpunkt in Arizona berichtet, das mit kommerziell erhältlichen Virtual-Reality-Headsets und anderen Gaming-Peripheriegeräten trainierte. Dies sei eine kostengünstige Möglichkeit «zur Ergänzung traditioneller Trainingsprogramme am Boden und in der Luft.»

Die Einheit hatte bereits 2018 mit der Einrichtung eines entsprechenden Schulungslabors begonnen. Der zuständige Kommandeur betonte aber, VR-Training mit Software wie DCS sei kein Ersatz für echtes Flugtraining.

«Wir kürzen weder Flüge noch Flugstunden im Lehrplan, sondern nutzen diese Technologie stattdessen, um tödlichere, effizientere und sicherere Piloten hervorzubringen.»

Ein US-Fluglehrer zeigte sich dennoch begeistert:

«Wir verändern die Art und Weise, wie wir Piloten ausbilden, und werden in der Lage sein, die Qualität tatsächlich schneller zu steigern und fast jederzeit eine ergänzende Ausbildung hinzuzufügen. Dadurch wird die Zeit verkürzt, die benötigt wird, um die Schüler auf ihre Flüge vorzubereiten.»
quelle: thedrive.com

Tatsächlich hat die Softwarefirma Eagle Dynamics ihren «Digital Combat Simulator» fortlaufend verbessert, weiterentwickelt und die Authentizität der Waffensysteme nicht zuletzt mithilfe einer weltweiten Community erhöht.

Natürlich gebe es Unterschiede zwischen kommerziell erhältlicher Flugsimulator-Software und vollwertigen F-16-Simulatoren, ganz zu schweigen von der echten Fliegerei, hält The Warzone nun fest. DCS-Simulatoren seien jedoch «extrem realitätsgetreu» und eigneten sich gut für die allgemeine Einarbeitung der Piloten und einige Verfahrensschulungen.

Diesen September feierten die DCS-Entwickler den 15. Geburtstag ihres Produkts mit einem grossen Rabatt. Ob die Ukrainer davon profitieren konnten, ist nicht bekannt.

Was hat DCS mit dem «Ghost of Kiev» zu tun?

Als Russlands Armee im Februar 2022 in die Ukraine einfiel und der verbrecherische Angriffskrieg weltweites Entsetzen auslöste, verbreiteten sich Meldungen über einen heldenhaften ukrainischen Kampfpiloten, der angeblich an einem Tag mehrere russische Maschinen abschoss.

Meme zum sagenumwobenen ukrainischen Kampfjet-Piloten Ghost of Kiev, das zu Propagandazwecken verbreitet wurde.
Meme zum sagenumwobenen ukrainischen Kampfpiloten, das zu Propagandazwecken verbreitet wurde.Screenshot: twitter.com

Zum «Ghost of Kiev» kursierte ein vermeintliches Video, das auf den Social-Media-Plattformen millionenfach geklickt und verbreitet wurde, sich jedoch als Fake herausstellte.

Es handelte sich um eine Szene aus einer DCS-Simulation. Und die Game-Entwickler sahen sich veranlasst, einen Aufruf an die weltweite Community zu richten:

«Dank des aussergewöhnlichen, technischen Fortschritts bei Hard- und Software ist der Unterschied zwischen DCS und echtem Filmmaterial nur noch schwer zu erkennen. Das ist wunderbar für Sie und für die Branche im Allgemeinen. In Anbetracht der aktuellen Situation in der Ukraine ist es jedoch von grösster Wichtigkeit zu vermeiden, dass Bilder erzeugt werden, die falsch interpretiert werden und möglicherweise Menschenleben gefährden könnten. Daher möchten wir Sie bitten, vernünftig zu sein und DCS nicht zur Erstellung von Videos dieser Art zu verwenden.»

Wann beherrschen die Ukrainer die F-16?

Ein Generalleutnant der Air Force schätzte, dass ukrainische Piloten, die gerade die Grundausbildung abgeschlossen haben, rund neun Monate benötigen würden, um das F-16-Fliegen zu erlernen. Für Piloten mit Kampferfahrung halte er jedoch drei Monate für «absolut realistisch».

Die ukrainische Luftwaffe erklärte gegenüber der «Kyiv Post», dass die Ausbildungsdauer von den Fähigkeiten der ankommenden Piloten, der Verfügbarkeit der Flugzeuge und der Kapazität der Ausbildungseinrichtung abhänge. Man gehe von vier Monaten für erfahrene Piloten (in Dänemark) und zwei Jahren für neue Piloten (in Grossbritannien) aus.

Es bleibt abzuwarten, wie viel Zeit die Ukraine dank des Computerspiels aus der Schweiz gewinnt. Und wer weiss, vielleicht wird der «Geist von Kiew» zum Leben erweckt.

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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x4253
03.10.2023 12:45registriert Juli 2016
Kleine Korrekturen:
* DCS:World ist Free-to-Play - Allerdings gibts hier nur zwei Module: TF-51D und SU-25T (in Standard Definition e.g., kein klickbares Cockpit).
* In DCS:World werden weitere Module (z.B. die F-16C) werden durch eine EINMALIGE Zahlung erworben - jährliche Gebühren gibt es nicht
* ED Systems SA bietet den Mission Combat Simulator an, eine Variante für Streitkräfte - Preis gibts nur auf Anfrage.
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Bruchpilot
03.10.2023 13:13registriert Juli 2020
Genau so wie im Titelbild muss ein TopGun-Fluglehrer aussehen. Ja, die Brille ist ein Muss!
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