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Wenn Kinder unbeaufsichtigt surfen – diese Gefahren sollte man kennen

Kind mit Smartphone (Symbolbild)
KI-Plattformen bergen beträchtliche Risiken für Minderjährige.Bild: imago-images.de
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Wenn Kinder unbeaufsichtigt surfen – diese Gefahren sollten nicht nur Eltern kennen

Das Internet ist genial, noch nie war so viel Wissen so einfach verfügbar. Und damit zurück in die knallharte Realität.
24.02.2025, 11:10
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Erinnerst du dich an den Moment, als dir klar wurde, wie unfassbar gross das Internet ist?

Tatsächlich hat das rasante Wachstum des World Wide Web (WWW), das in den 1990er-Jahren losging, so ziemlich alles verändert. Auch die Kindheit.

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war die Welt so vernetzt wie heute. Nie waren Informationen zu allen denkbaren Themen so leicht zugänglich.

In den allermeisten Haushalten gehört das Internet inzwischen zum Alltag von Jung und Alt. Viele haben es immer dabei, ob als Handy in der Jacke oder als Laptop im Schulrucksack. Und abends kommt es mit ins Schlafzimmer und lässt uns kaum einschlafen.

Als Vater einer bald erwachsenen Tochter habe ich mich vor geraumer Zeit intensiv mit den Gefahren und Risiken beschäftigt, die mit dem Internet einhergehen. Nun wurde es Zeit für ein Wissens-Update. Denn so viel ist sicher: Der technische Fortschritt bringt nicht nur faszinierende neue Möglichkeiten mit sich, sondern auch neue Bedrohungen, die vielleicht unterschätzt werden.

Dumme KI statt schlaue Wikipedia

Der Erfinder des WWW, der britische Informatiker Tim Berners Lee, hat sein ganzes Leben lang daran gearbeitet, das Internet zu einem freien und offenen System zu machen, auf das alle zugreifen können.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia steht sinnbildlich für das ursprüngliche, demokratische Internet. Auf einfachen Webseiten wird ein immenser Wissensschatz über Schlüsselwörter verlinkt und allen Interessierten gratis zugänglich gemacht. Zehntausende Freiwillige engagieren sich quasi rund um die Uhr als Hüter dieses Wissens. Dabei herrscht rigorose Transparenz. Jede noch so kleine Änderung wird protokolliert und kann quasi auf Knopfdruck rückgängig gemacht werden.

Was der am CERN in Genf forschende Computerwissenschaftler Berners Lee nicht verhindern konnte: Für das freie Web und seine Milliarden Nutzerinnen und Nutzer rund um den Globus ist ausgerechnet aus dem Silicon Valley die bislang grösste Bedrohung erwachsen.

Zunächst haben Google, Facebook und Co. marktbeherrschende Plattformen aufgebaut, die nicht demokratisch funktionieren, sondern im Gegenteil mit ihren undurchsichtigen Algorithmen demokratiefeindlich sind.

Und nun setzen die Techkonzerne mit dem vermeintlich «nächsten grossen Ding» das freie Web aufs Spiel. Die Rede ist von ChatGPT. Respektive von der bahnbrechenden Technologie, die in der Fachsprache als generative künstliche Intelligenz bezeichnet wird.

KI birgt ein grosses Potenzial für die Bildung und Gesundheit von Kindern, sie stellt jedoch auch ein massives Risiko für die Privatsphäre und Sicherheit dar.

Ok, das klingt dramatisch. Ist es aber auch. Denn eigentlich sind es zwei Bedrohungen, die in ihrer Kombination ein Albtraum-Szenario bewirken: generative KI und die Plattformen der mächtigsten Techkonzerne.

  • Die Deepfake-Technologie ermöglicht es, mithilfe von künstlicher Intelligenz täuschend echt wirkende Video- und Sprachinhalte zu erstellen.
  • KI-Chatbots, die in Online-Plattformen integriert sind, können die Sprache von Kindern oder vertrauenswürdigen Erwachsenen perfekt nachahmen.
  • KI-Algorithmen greifen schon heute auf riesige Datenmengen zurück, um Inhalte zu erstellen, die speziell auf einzelne User zugeschnitten sind.

Natürlich gibt es auch auf Wikipedia ein Problem mit missbräuchlicher Nutzung. Täglich wird versucht, Inhalte zu manipulieren und unbequeme Fakten zu beseitigen. Doch dort gibt es eine gesunde Fehlerkultur.

Wenn in Wikipedia-Beiträge Falschinformationen einfliessen, ob versehentlich oder gewollt, kann dies dank der Änderungsprotokolle (auch noch Jahre später) nachvollzogen und korrigiert werden. Bei den Algorithmus-basierten Social-Media-Plattformen von Google, Meta und Co. gibt es diese Transparenz nicht. Und die leistungsfähigen KI-Werkzeuge der Techkonzerne sind eine Blackbox, die kaum jemand durchschaut.

Was wir mit 100-prozentiger Sicherheit wissen: Hinter den KI-Plattformen steckt keine Intelligenz im engeren Sinn. Ihre Entwicklung und der Betrieb verschlingen Unmengen von Geld und elektrischem Strom. Und es zeichnet sich das gleiche Problem ab, das wir seit dem Aufkommen der Social-Media-Plattformen beobachten: Die gewinnorientierten Betreiberfirmen agieren absolut skrupellos und gehen auch über Leichen.

Was sind die grössten Internet-Risiken für Kinder?

Spoiler: Es ist nicht das Darknet.

Die meisten heute verfügbaren interaktiven Spielzeuge und Internetplattformen für Kinder und Jugendliche basieren auf unregulierter KI-Technologie. Während die Entwicklung rasant voranschreitet, haben die Staaten vernachlässigt, wie sich KI auf das soziale und emotionale Wohlbefinden von Minderjährigen auswirkt.

Wie etwa Gesundheitsfachleute der Kinderhilfsorganisation UNICEF schon 2021 zu bedenken gaben, nutzen Kinder auf der ganzen Welt praktisch täglich KI. Und dieser Umgang ist insofern problematisch, als die meisten Erziehungsberechtigten damit völlig überfordert sind und dem Nachwuchs zu wenig Grenzen setzen.

  • ChatGPT und andere KI-Chatbots werden genutzt, um lästige Hausaufgaben zu erledigen, statt echte Problem-Lösungs-Strategien zu trainieren.
  • Schon kleine Kinder (im Vorschulalter) teilen persönliche Informationen mit Smart-Lautsprechern und anderen vermeintlich intelligenten «Assistenten». Dabei geben sie auch höchst Privates preis.
  • Viele Kinder (und Erwachsene) verstehen die Funktionsweise solcher Maschinen nicht und glauben, dass KI-Plattformen wegen ihrer verblüffend echt wirkenden Sprache Menschen sehr ähnlich sind.
  • In KI-Plattformen wird ein ungesundes Vertrauen gesetzt, wenn es um die Beantwortung von faktenbasierten Fragen geht. Statt den Umgang mit Suchmaschinen und das Einschätzen von Quellen zu lernen, wird auf maschinelles Geschwurbel gehört.

Erziehungsberechtigte sollten Kinder beim Umgang mit KI-Plattformen anleiten und begleiten. Wenn sie das nicht tun, ist mit prägenden schlechten Erfahrungen und noch deutlich Schlimmerem zu rechnen.

  • TikTok und Co. verbreiten Hass und Hetze gegen Minderheiten und verstärken damit Vorurteile (Stereotype) in einem absolut ungesunden Ausmass.
  • Wegen der mangelnden staatlichen Aufsicht können die Plattformbetreiber massenhaft User-Daten sammeln und die Betroffenen mit personalisierten Inhalten noch stärker an sich binden.
  • Werbebotschaften, Propaganda und Desinformation prasseln praktisch nonstop auf kindliche Gehirne ein, die noch mitten in der Entwicklung sind.
  • Der negative Einfluss auf die Psyche von Minderjährigen lässt sich nur schwer abschätzen.

Hinzu kommt die Verschärfung von hinlänglich bekannten Internet-Gefahren für Minderjährige. KI-Werkzeuge ermöglichen neue Formen des Cyber-Mobbings unter Gleichaltrigen. Und sexuelle Belästigung durch Erwachsene (Grooming) wird erleichtert.

Weil die bei der Jugend sehr beliebten Social-Media-Plattformen wie YouTube und TikTok zu wenig in Moderation investieren, bleiben auch die zum Teil lebensgefährlichen «Challenges» ein Dauerthema.

Und als Tüpfelchen aufs i wird generative KI, die halluziniert und Bildfälschungen salonfähig macht, immer stärker in die Social-Media-Plattformen integriert.

Und die gute Nachricht?

Auch wenn es sich für viele Erwachsene so anfühlen mag, sind wir den Risiken und Gefahren des modernen Internets, also den von Techkonzernen kontrollierten KI-Plattformen, nicht machtlos ausgeliefert. Wir haben es täglich in der Hand, die Situation zu verbessern.

Worauf Erziehungsberechtigte, aber auch Lehrpersonen und alle anderen Akteure zählen können, ist die Neugier, ja der ungeheure Wissensdurst der Kinder.

Wir können mit ihnen über toxische Plattformen und nicht altersgerechte Inhalte sprechen und sie – ohne ins Predigen abzudriften – auf Probleme hinweisen und ihnen bei der Internet-Nutzung Grenzen setzen.

Dabei sollten wir auch offen über einen unbequemen Fakt sprechen: Gerade bei etwas älteren Menschen steht es um die Medienkompetenz nicht zum Besten. Selbstkritisches Hinterfragen ist also Bürgerpflicht. 😉

Quellen

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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fant
24.02.2025 11:28registriert Oktober 2015
Ich durfte/darf einenTeil der Entwicklung als Informatik-Student in den 80ern/90ern, als Vater von Kindern, die in den 90ern geboren sind und heute noch im Beruf hautnah miterleben.

Aus meiner Sicht fehlt es heute vor allem an einem gewissen Grundwissen in ICT: Was ist ein Algorithmus? Was kann eine Maschine und was nicht?

Das wäre noch vor Ende der obligatorischen Schulzeit zB in einer Intensivwoche oder halt über ein paar Wochen verteilt als Teil des Mathe-Unterichts durchaus leistbar.

Aber nein, man lehrt lieber Excel und Word, damit man dann (unkritisch) in der Wirtschaft nützlich ist.
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Luka
24.02.2025 16:09registriert Januar 2023
Bitte regelmässig solche Artikel, das ist eminent wichtig. Vielen Dank an die Redaktion! (Man liest allgemein zu wenig in Richtung Sensibilisierung im Umgang mit dem Internet)
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Glücklich
24.02.2025 11:36registriert August 2022
‚Der technische Fortschritt bringt nicht nur faszinierende neue Möglichkeiten mit sich, sondern auch neue Bedrohungen, die vielleicht unterschätzt werden.‘

Vor paar Jahren war für mich das Internet die Errungenschaft schlechthin in meinem Leben.

Unterdessen aber überwiegt bald das Negative, schade das so etwas geniales so dermassen Missbraucht wird.
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