Apple startet «PR-Blitz» und warnt, die EU gefährde die Sicherheit der iPhone-User
Um was geht es?
Um den gewaltigen Einfluss der US-Techgiganten in Europa und ihren Widerstand gegen strengere Regeln.
Die EU-Kommission will mit einem im Dezember 2020 vorgestellten Digital-Paket die Marktmacht der Techkonzerne in Europa einschränken und für mehr Wettbewerb sorgen.
Eine zentrale Idee beim sogenannten Digital Markets Act (kurz DMA) ist es, Unternehmen mit besonders grosser Marktmacht und vielen Zugängen zu den Konsumenten als «Gatekeeper» (Torwächter) auszumachen und mit strikteren Wettbewerbsvorgaben zu belegen.
Experten gehen fest davon aus, dass Apple, Google, Facebook und Amazon nach den aktuellen Kriterien zu Gatekeepern erklärt werden.
Aus den USA kommt denn auch von Anfang an Widerstand gegen das Digitalpaket der EU. Und mit Apple hat der reichste US-Techkonzern mit einer PR-Offensive reagiert:
- Apple kritisiert, der DMA gefährde in seiner aktuellen Form Sicherheit und Datenschutz der iPhone-Nutzer. Konkret geht es um das sogenannte «Sideloading», das es ermöglichen würde, Apps nicht zwingend aus dem offiziellen App-Store zu beziehen.
- Zuvor hatte schon ein hochrangiger Facebook-Manager vor zu strikten Vorgaben durch die EU gewarnt. Damit könnten die Innovationen abgewürgt werden.
Was hat es mit Apples «PR-Blitz» auf sich?
Apple kritisiert speziell, dass der Konzern gezwungen sein werde, andere App Stores auf seinem iPhone zuzulassen, bzw. das Installieren von Apps aus anderen Quellen.
Eine solche Öffnung der iOS-Plattform werde heutige Massnahmen zum Schutz der Nutzer:innen aushebeln, argumentiert Apple in einem am Mittwoch veröffentlichten 16-seitigen Whitepaper (siehe Quellen).
Der Konzern verweist unter anderem darauf, dass alle Apps und Updates auf seiner Plattform von Software und menschlichen Prüfern untersucht werden, um betrügerische Anwendungen herauszufiltern. Ausserdem müssten sich Entwickler an Apple-Vorgaben zum Datenschutz halten. Beim sogenannten Sideloading, bei dem Apps auf das iPhone aus anderen Quellen als dem offiziellen Store geladen werden, entfielen diese Sicherheitsvorkehrungen, betont Apple.
Auch Nutzer:innen, die sich danach ausschliesslich auf Apples hauseigenen App Store verlassen wollten, wären stärker gefährdet, warnt der Konzern:
- Zum einen, weil manche Apps dann nur noch aus anderen Quellen verfügbar sein könnten.
- Zum anderen, weil die neue Situation Kriminellen mehr Anreize gäbe, das iPhone mit seiner Vielzahl an wertvollen Daten anzugreifen.
Weniger Auswahl – wegen Sideloading?
Natürlich können iOS-User, die den Schutz von Apple wünschen, weiterhin im offiziellen App Store bleiben. Doch argumentiert der hochrangige Apple-Manager Erik Neuenschwander, zuständig für «User Privacy», dass die Kunden von Kriminellen dazu gebracht werden könnten, Apps aus anderen Quellen zu laden, ohne es zu merken.
Damit nicht genug, sagte Neuenschwander in einem Interview gegenüber Journalisten von Fast Company, dass durch die neuen EU-Vorgaben die Auswahlmöglichkeiten für die Kunden eingeschränkt würden. Sie hätten sich bewusst für iOS entschieden, also für eine Plattform ohne Sideloading. Wer dies hingegen wolle, könne Android wählen. Wenn neben Google auch Apple Sideloading zulasse, sinke die Auswahl.
Der US-Techblog 9to5Mac konstatiert: Während die Befürworter einer Öffnung von Apples iOS-Plattform argumentierten, dass dieser Schritt Nutzern und Entwicklern gleichermassen eine grössere Auswahl bieten würde, behaupte Neuenschwander, dass das genaue Gegenteil der Fall sei.
Es seien weitere Medien-Interviews (von hochrangigen Apple-Managern) zum gleichen Thema zu erwarten, prognostiziert 9to5Mac. Die Unternehmensleitung habe eindeutig eine PR-Kampagne (auf Englisch «PR Blitz») gestartet.
Apples «Walled Garden» ist im Kreuzfeuer
Apples App-Store-System, wegen der rigorosen Abschottung auch als «Walled Garden» bezeichnet, steht schon länger unter Druck. Unter anderem endete vor wenigen Wochen ein Prozess in Kalifornien, in dem der Spiele-Anbieter Epic Games («Fortnite») die Öffnung der Plattform für andere App-Plattformen erreichen will. Ein Urteil steht noch aus.
Epic wendet sich unter anderen dagegen, dass für digitale Geschäfte auf Apples Plattform eine Abgabe von 15 bis 30 Prozent fällig wird und man als Entwickler das System des Konzerns für In-App-Käufe nutzen muss.
Auch US-Gesetzesentwürfe für mehr Wettbewerb in der Tech-Branche nehmen das Geschäftsmodell ins Visier. Apple-Chef Tim Cook habe auch der Chefin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, seine Einwände dagegen vorgebracht, schrieb die «New York Times».
In dem Papier zu den Gefahren durch andere App-Quellen verweist Apple zwar nicht direkt auf den geplanten Digital Markets Act (DMA) der EU-Kommission – Cook brachte die Risiken aber vor wenigen Tagen ausdrücklich damit in Verbindung. Aktuelle DMA-Formulierungen «würden Sideloading auf dem iPhone erzwingen», sagte Cook in einem Interview auf der Technologie-Konferenz Vivatech.
Der Apple-Chef über Sideloading:
Was Apple nicht erwähnt bezüglich Sideloading
Anzumerken bleibt, dass Apple in Unrechtsstaaten wie China oder Russland in seinem App Store diverse Apps gar nicht anbietet, um den dortigen Machthabern, respektive den geltenden Gesetzen, Folge zu leisten. So geht beispielsweise das Regime in Peking gegen VPN-Dienste vor, weil sich damit die Online-Zensur («Great Firewall») umgehen lässt. Und auch der Schweizer Messenger Threema, der dank Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abhörsicher ist, fehlt im App Store.
Sideloading würde Aktivist:innen ermöglichen, verbotene Apps auf iPhones und iPads zu installieren und sich besser vor weitreichender Überwachung zu schützen.
Und Facebook?
Facebooks Politikchef Nick Clegg zeigte sich jüngst besorgt, europäische Politiker könnten mit einigen DMA-Vorgaben zu tief ins Design digitaler Produkte eingreifen. Die Gefahr dabei sei, kurzlebige Funktionen in Stein zu meisseln und so den Fortschritt zu bremsen.
Clegg brachte auch ins Gespräch, bei einigen geplanten Massnahmen zu prüfen, ob die Konsumenten tatsächlich davon profitieren würden. Insgesamt warnte Clegg davor, mit Hilfe von Regulierung Vorteile für Konkurrenten aus Europa schaffen zu wollen. Man dürfte nicht denken, dass «der einfache Versuch, nichteuropäischen Unternehmen die Flügel zu stutzen, europäische Firmen erfolgreich machen wird. So funktioniert das nicht.»
Kommt es zur unheiligen Allianz der Techgiganten?
Von einem öffentlichen Schulterschluss von Amazon, Apple, Google und Facebook ist nach Einschätzung des watson-Redaktors nicht auszugehen. Zu unterschiedlich sind die Geschäftsmodelle und PR-Strategien der Konzerne. Bekanntlich versucht Apple, sich mit einer Stärkung der Datenschutz-Bemühungen von den Datenkraken abzugrenzen.
Abgesehen von den öffentlichen Differenzen ist an das riesige Lobbyisten-Heer zu erinnern, das die US-Unternehmen in Brüssel und anderen EU-Machtzentralen betreiben. Dessen Druck auf die EU-Politik dürfte massiv zunehmen.
Quellen
Der Artikel basiert auf einem ausführlichen Bericht der Nachrichtenagenturen AWP und DPA, verbreitet am Mittwoch von der Nachrichtenagentur SDA-Keystone. Weitere im vorliegenden Beitrag verwendete, bzw. zitierte Quellen:
- apple.com: Building a Trusted Ecosystem for Millions of Apps (Bericht zu den Risiken von Sideloading, PDF)
- 9to5mac.com: Apple continues App Store PR blitz with FastCo interview on sideloading
- fastcompany.com: Exclusive: Apple makes its case against iPhone app sideloading