Die Geschichte von Leela, die in der Bhagwan-Sekte als Mädchen missbraucht wurde
Seit die christlichen Landeskirchen krebsen, hat die Spiritualität Hochkonjunktur. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass das «Gottes-Gen» über Jahrhunderte tief in uns verankert wurde und wir uns zu religiösen Wesen entwickelten.
Wenn jedoch Skeptiker Gott vom Himmelsthron stossen, braucht es einen Ersatz. Da kommt die Spiritualität gerade richtig. Doch sie ist ein Allerweltsbegriff, in den man Vieles hineininterpretieren kann.
Spiritualität ist eine Sinnsuche, die über den religiösen Glauben hinausgeht. Getrieben wird sie von der Sehnsucht, transzendentale Erfahrungen zu machen und den Weg zum höheren Bewusstsein zu finden.
Esoterik verspricht Erleuchtung
Wie soll das gehen? Als erstes kommt einem die Meditation in den Sinn. Auf dem Fuss folgt ihr die Esoterik, die nichts weniger als die Erleuchtung verspricht.
In der Theorie klingt das gut. Wir brauchen kein starres religiöses Konzept mehr, sondern können unsere eigene spirituelle Heilslehre kreieren und unsere individuellen religiösen Bedürfnisse befriedigen.
Dumm nur, dass wir bei spirituellen Praktiken und esoterischen Gruppen oft in die gleiche Falle tappen, die wir von manchen problematischen Religionen und Glaubensgemeinschaften kennen. Die Hauptgefahr besteht darin, dass sich so mancher spirituelle Lehrer wie ein Sektenführer gebärdet.
Sai Baba zum Beispiel betrieb spirituellen Missbrauch. Er behauptete, dass er mit seinen übersinnlichen Kräften alles materialisieren könne. Von kleinen Gegenständen bis hin zu ganzen Städten. Zu seinen spirituellen Praktiken gehörten auch sexuelle Übergriffe.
Maharishi Mahesh Yogi von der Transzendentalen Meditation verlangte von seinen Jüngern, ganze Städte niederzureissen und neu nach den Himmelsrichtungen auszurichten. Seinen Anhängern versprach er, sie könnten mit den spirituellen Energien und der Meditation die Gravitation überwinden und dereinst vom Zentrum in Seelisberg auf den Urnersee hinunterfliegen.
Beatles beim Guru
Der amerikanische Guru begeisterte selbst die Beatles. Als die Pilzköpfe jedoch von sexuellen Missbräuchen erfuhren, kündigten sie dem Yogi die Gefolgschaft.
Ein weiteres Beispiel: Der amerikanische Guru Marshall Applewhite der esoterischen Gruppe Haeven‘s Gate machte seinen Anhängern 1997 weis, sie müssten sich suizidieren, um in feinstofflicher Form zum Komet Hale Bopp gebeamt werden zu können. 39 junge Anhänger starben in ihrem Sektenwahn.
Da wären noch die Gurus Sri Chinmoy und Swami Prabhupada von den Hare Krishna, die ebenfalls in problematische spirituelle Sphären abrutschten, radikale Heilsvorstellungen entwickelten und autoritäre Strukturen aufbauten.
Das bei uns bekannteste Beispiel sind die Sonnentempler, die Mitte der 90er-Jahre mehrere Morde, einen Massenmord und einen Massensuizid begingen. Besonders krass ist der Umstand, dass Kinder mutmasslich von den eigenen Eltern umgebracht wurden, bevor sich diese selbst ins Jenseits beförderten.
Wenn ich jeweils bei Vorträgen erkläre, dass die sektenhafte Verblendung oft stärker als die Mutterliebe sei, erntete ich meist ungläubige Blicke. Nachweisen lässt sich die Behauptung aber nicht nur mit den Massensuiziden, sondern auch mit spirituellen Gruppen, für die Kinder ein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung sind.
Als Achtjährige Opfer der Bhagwan-Kommune
Opfer dieser Haltung wurde Leela Goldmund im Alter von acht Jahren, wie sie in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger in dieser Woche schilderte. Ihre Mutter engagierte sich bei der Bhagwan-Kommune in Höngg ZH und richtete ihr Leben auf ihren Guru und seine radikale spirituelle Lehre aus. Sie plünderte ihr Bankkonto, wie von ihr verlangt wurde, und arbeitete weitgehend in Fronarbeit für die vielen Projekte der Sekte.
Das Zerschlagen der familiären Banden gehörte zum autoritären Konzept. Leela Goldmund lebte in einer Kindergruppe und hatte kaum noch Kontakt zu ihren Eltern. Feste Bezugspersonen gab es nicht.
«Ich durfte etwa nicht zeigen, dass ich mein Mami vermisse. Wir sollten immer gut drauf sein und easy going. Sonst wurde man in Therapie oder in spezielle Meditationen geschickt», erzählte Leela Goldmund.
Eindrücklicher könnte das egozentrische Verhalten der spirituellen Sucher nicht dokumentiert werden. Sie waren getrieben von der Jagd nach den grossen übersinnlichen Emotionen, doch Gefühle für ihre Kinder brachten sie nicht auf. Es war ihnen auch egal, dass ihre minderjährigen Töchter von geilen «Glaubensbrüdern» sexuell missbraucht wurden. Es kümmerte auch niemand in den Kommunen, dass in ihren Reihen regelmässig Straftaten begangen wurden.
Zurück zu Leela Goldmund: Aussenkontakte gab es kaum: «Die Kommune bot alles, Essen und Kleidung, Personentransport, ein Krankenzimmer, eine Schule, wir lebten in einem Paralleluniversum. Die Aussenwelt war für uns minderwertig.» Wer sich nicht dem Bhagwan, der sich später Osho nannte, unterwarf, wurde ausgeschlossen, sagte Leela Goldmund.
Man habe auch kein Anrecht auf eine monogame Beziehung oder auf Kinder gehabt. Leela Goldmund erinnerte sich an eine Frau, die schwanger geworden war. Sie sei angewiesen worden, abzutreiben oder die Kommune zu verlassen.
«Wir wurden total neu konditioniert, hielten uns für spirituell Auserwählte. (…) Kontakte mit Nicht-Anhängern, etwa der Familie, waren verpönt.» Sie hätten das Ego auflösen müssen, sagte Leela Goldmund weiter.
Gefühle sind eine Illusion
«Auch uns Kindern wurde immer wieder eingebläut, dass jeder Gedanke und jedes Gefühl nur eine Illusion seien, die es abzulegen galt. (…) Wir wurden systematisch dissoziiert und von aussen bespielt. All das als Spiritualität zu titulieren, ist ein starkes Stück.»
Monogamie war ein spiessbürgerliches Unding. «Die Maxime war: Wenn jeder mit jedem kann, dann ist auch genug für alle da, und es gibt mehr positive Energie und Liebe», erklärte Leela Goldmund. Das galt auch für Mädchen nach der ersten Menstruation.
Kinder seien im Alter von zwölf, dreizehn oder vierzehn Jahren mit 50 bis 100 verschiedenen Erwachsenen im Bett gewesen. Sie sei von zwei Männern gefragt worden, ob sie schon die Periode bekommen habe. Und ob sie der Erste sein dürften.
«Meine beiden Eltern haben sich mental bis heute nicht von Osho distanziert», sagte Leela Goldmund. «Laut der Ideologie der Sekte waren sie ja auch gar nicht mehr unsere Eltern. Meine Familie war die Community, und das glaubte ich auch selber, bis in meine Vierziger.»
In einer Sekte aufgewachsen
Leela Goldmund, die zwei Bücher über ihr Leben in den Bhagwan-Kommunen geschrieben hat, bilanzierte: «Ich brauchte wahnsinnig lang, um zu realisieren, dass ich in einer Sekte aufgewachsen war.»
Religiösen und spirituellen Missbrauch gibt es, seit Menschen an höhere Mächte glauben. Es wird ihn weiter geben – bis in alle Ewigkeit.
Die Bücher von Leela Goldmund: «Wenn ich groß bin, bin ich erleuchtet: Oshos vergessene Kinder» und «Aufgewacht im Hier und Jetzt».
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
Du kannst Hugo Stamm auf Facebook folgen und seinen Podcast findest du auf YouTube.
