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Mastodon: Was den Dienst zur echten Twitter-Alternative macht

Mastodon-Logo: Nach Musks Twitter-Deal mutiert das bisherige Social-Mauerblümchen möglicherweise zur echten Twitter-Alternative.
Nach Musks Twitter-Deal mutiert der alternative Mikroblogging-Dienst möglicherweise zur echten Twitter-Alternative.Bild: Shutterstock
Analyse

Mastodon: Was das einstige Mauerblümchen zur echten Twitter-Alternative macht

30.10.2022, 22:1122.11.2022, 13:44
Evelyn Pohl / watson.de
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Herzchen für Tweets sind out, man sternt jetzt Tröts! Beim Kurznachnachrichtendienst Twitter fand schon im April 2022, nach der Übernahmeankündigung von Tesla-Milliardär Elon Musk, ein Exodus statt. Viele einflussreiche Twitterer wie der Satiriker Jan Böhmermann oder der Schriftsteller Saša Stanišić richteten sich bereits im Frühjahr ein neues soziales Zuhause bei Mastodon ein.

Was macht Mastodon anders?

Masto-was? Der Name mutet für ein soziales Netzwerk, das nun der Place-to-be für alle Musk-flüchtigen Kurznachrichtenfans sein soll, schon etwas merkwürdig an. Und bitte nicht verwechseln mit der gleichnamigen US-Metalband. Das Mastodon ist, laut Wikipedia, ein ausgestorbenes nordamerikanisches Rüsseltier der Gattung Mammut.

Warum der Gründer der Plattform, der Jenaer Entwickler Eugen Rochko, ausgerechnet diesen Namen für seinen 2016 gegründeten Microbloggingdienst gewählt hat, ist nicht bekannt. Das Logo ist ein fröhlicher Urzeitelefant und damit erklärt sich auch, warum auf Mastodon die Nachrichten Tröts heissen.

Das Logo von Mastodon: Ein fröhlicher Urzeitelefant trötet sich durchs Fediverse.
Das Logo von Mastodon: Ein fröhlicher Urzeitelefant trötet sich durchs Fediverse.

Der Hauptunterschied zu Twitter liegt bei Mastodon in der dezentralen Struktur, die Plattform liegt auf verschiedenen Servern, die von Privatpersonen oder Gemeinschaften betrieben werden. Diese Instanzen genannten Server bilden zusammen ein grosses Netzwerk, nach dem Konzept des unabhängigen Fediverse.

Man kann sich bei seiner Anmeldung entweder nach Interesse eine thematische oder eine allgemeine Instanz raussuchen. Diese ist dann sozusagen die Home-Community und bestimmt auch die eigene Mastodon-Adresse. Jede Instanz hat auch ihre eigene «Hausordnung» mit entsprechenden Verhaltensregeln.

FILE - Tesla and SpaceX CEO Elon Musk arrives on the red carpet for the Axel Springer media award in Berlin on Dec. 1, 2020. Musk suggested in a Saturday, Oct. 15, 2022, tweet that his rocket company  ...
Elon Musk sorgt mit seinen Twitter-Plänen für Zulauf bei Mastodon.Bild: keystone

Die Beiträge erscheinen in chronologischer Reihenfolge und sind nicht durch Algorithmen vorsortiert, Werbung gibt es auch keine. Bei Mastodon kann man 500 Zeichen in einem Beitrag schreiben, nicht 280 wie bei Twitter. Man kann sich entweder nur Nachrichten aus seiner eigenen Instanz anzeigen lassen, unter «Föderation» sieht man alle Tröts (oder englisch: Toots) weltweit in Echtzeit.

Willkommen auf der flauschigen Elefanten-Seite

Der Rest lässt sich kurz fassen: Man favorisiert Tröts mit Sternen, es gibt ebenso wie bei Twitter Hashtags und Listen. Man kann Umfragen und Bilder tröten und vor jedem Tröt lässt sich individuell einstellen, ob dieser öffentlich, nur für Folgende (bei Mastodon auch genannt: Folmaster) sichtbar oder als Privatnachricht verschickt wird. Eine Kurzanleitung zum Nachlesen für alle interessierten Tröter-in-Spe findet sich hier.

«Elon Musk ist natürlich nochmal ein ganz besonderer Fall, weil nun ausgerechnet der grösste Esel auf Twitter die ganze Plattform kaufen will.»
Titanic-Autor und Musiker Dax Werner gegenüber watson

Der Hauptunterschied zu Twitter ist aber nach wie vor die deutliche Feel good-Atmosphäre und wohltuende Netiquette, die auch sechs Monate nach der ersten Twitter-Exoduswelle noch auf der Plattform herrscht. Weniger harte Fakten und Politik, dafür umso mehr gute Laune und Albernheit. Unter dem Hashtag #neuhier trudeln freundlich-neugierige Nutzer ein, die sich meist im #Fediverse erst mal umsehen wollen.

Ein Musk-Flüchtiger im Interview

Bei Mastodon-Pioneer Dax Werner kommen gerade nostalgische Gefühle hoch. bild: screenshot mastodon
Bei Mastodon-Pioneer Dax Werner kommen gerade nostalgische Gefühle hoch.screenshot mastodon

Einer der Musk-Flüchtigen ist auch Titanic-Kolumnist und Twittergrösse Dax Werner. watson hatte mit ihm im April 2022 nach Musks Ankündigung der Twitter-Übernahme über die Gründe für seinen Wechsel zu Mastodon gesprochen.

watson: Dein Account auf Twitter hat beachtliche 59'000 Follower und die lässt du für Mastodon im Stich?
Dax Werner:
Es wird jetzt erst mal eine Übergangszeit geben, in der beide Plattformen noch bespielt werden. Weil es müssen ja noch einige User und UserInnen rüber nach Mastodon. Noch sind nicht alle da, auch wenn's schon viele sind. Und insofern wird das alles noch eine Weile zweigleisig gefahren für eine gewisse Übergangszeit. Aber dann ist das Ziel, dass wir alle nur noch auf Mastodon sind.

«Wie kann man dieser kaputten kapitalistischen Logik, in der sich reiche Leute einfach so eine der wichtigsten Plattformen kaufen können, entgehen?»

Deine Follower sollen dir also zu Mastodon folgen?
Einfach alle, die Lust haben auf dezentrale Energie und gute Laune. Weil die Stimmung auf Twitter insgesamt schon ein bisschen schlechter geworden ist in den letzten Jahren. Und insofern war die Tatsache, dass ein Milliardär die Plattform gekauft hat, der Anlass, dass eine kritische Masse gesagt hat: «Jetzt reicht's. Lasst uns doch schauen, ob es nicht auch dezentral funktioniert.»

Also war der Wunsch schon länger da? Dann war Musks Übernahmeangebot jetzt einfach nur der Katalysator?
Ja, ich glaube, dass sich viele mit dem Thema nicht so richtig beschäftigt haben, ich inklusive. Weil der Leidensdruck auch noch nicht hoch genug war. Und jetzt, wo eben der Milliardär einsteigt und da seine Meinung, seine Version von Meinungsfreiheit durchdrücken will, haben, glaube ich, viele die sprichwörtliche Nase voll.

Dax Werner über Elon Musk

«Seine Tweets sind manchmal so dumm und traurig, dass ich mitunter nicht übel Lust hätte, ihn auf einen Zweikampf herauszufordern.»

Musk hat ja noch nicht gesagt, was er mit Twitter wirklich konkret vorhat. Welche Befürchtungen hast du?
Also zwei Dinge vielleicht dazu. Zum Ersten: Ob er den Kauf vielleicht noch zurückzieht oder ihn durchzieht, ist im Endeffekt egal. Weil es ja eine grundsätzliche Frage ist, ob man auf einer Plattform sein möchte, die morgen von einem anderen Mann gekauft werden kann. Das muss im Endeffekt jeder individuell für sich selber entscheiden. Und ich glaube, dass sich die Frage jetzt gerade besonders stellt. Elon Musk ist natürlich nochmal ein ganz besonderer Fall, weil nun ausgerechnet der grösste Esel auf Twitter die ganze Plattform kaufen will. Seine Tweets sind manchmal so dumm und traurig, dass ich mitunter nicht übel Lust hätte, ihn auf einen Zweikampf herauszufordern. Ich will gar nicht so lange auf Twitter bleiben, um mitzuerleben, wie Musk diese Plattform nach seinen pubertären Vorstellungen umbaut.

Und der zweite Punkt?
Ein anderer Punkt ist, dass es für andere Gruppen ganz andere Konsequenzen hätte, wenn sich diese Musk-Meute durchsetzt, als für mich. Georg Diez hat diese Woche geschrieben, dass sich auf Twitter «eine andere Form der Öffentlichkeit mit anderen Regeln, Stimmen, Freiheiten formen» konnte und dass der «Verkauf von Twitter damit direkte Konsequenzen für die Art und Weise, wie Demokratie organisiert ist», hätte. Das fand ich sehr gut auf den Punkt gebracht. Ich glaube, dass sich die Frage ganz akut stellt: Wie kann man dieser kaputten, kapitalistischen Logik, in der sich reiche Leute einfach so eine der wichtigsten Plattformen kaufen können, entgehen? Dass man dann versucht, in Alternativen zu denken, ist nicht verkehrt.

Abgesehen davon, dass es wahrscheinlich nicht künftig zu den persönlichen Besitztümern eines Milliardärs gehört: Was macht Mastodon richtig?
Na ja, wir sind ja gerade alle noch in der Entdeckungsphase, in der wir Mastodon ausprobieren. Wir alle entdecken gerade, dass es so etwas überhaupt gibt: Strukturen, die dezentral organisiert sind und eben nicht irgendeinem Unternehmen oder irgendeinem reichen Mann gehören. Dieser Aspekt der Dezentralität im Fediverse gefällt mir schon sehr gut – und dass es keine Besitzverhältnisse gibt.

«Strukturen, die dezentral organisiert sind und eben nicht irgendeinem Unternehmen oder irgendeinem reichen Mann gehören.»

Macht Mastodon also alles besser als Twitter?
Anfangs ist es ein bisschen schwierig, erst mal zu durchschauen, wie das alles funktioniert, weil Mastodon für den Beginn sehr unübersichtlich ist. Vieles ist dort eben anders, beispielsweise die ganzen Instanzen, die miteinander agieren: Diese werden zum grossen Teil hobbymässig von Leuten betrieben und da läuft dann auch viel spendenbasiert. Das sind alles Dinge, die wir gerade erst kennenlernen. Und was die Leute, die jetzt alle von Twitter kommen, auch ein bisschen das auf dem Schirm haben müssen: Wenn wir da jetzt die Server überlasten, aufgrund der Masse an Neuankömmlingen, dass man die Leute, die sich da schon seit Jahren drum kümmern, irgendwie auch unterstützt.

Also ist auf Mastodon mehr Eigeninitiative gefragt?
Inhaltlich passiert noch gar nicht so viel auf Mastodon. Wir gewöhnen uns ein und haben eine gute Zeit miteinander. Ich lese den ganzen Tag coole Tröts von lieben Accounts. Besser geht’s nicht. Vielleicht ist das ein Zeichen für irgendwas, vielleicht auch nicht. Das sollen andere entscheiden. Gerade ist es so, wie wenn man irgendwas ganz Neues entdeckt, damit spielt und einfach nur eine gute Zeit zusammen hat.

«Eigentlich muten gerade die Zeiten gar nicht so nach Utopie und Good Vibes an. Und da schafft man sich gerade ein kleines Refugium, wo die Welt für ein paar Tage in Ordnung ist.»

Ist Mastodon also eine positive Twitter-Utopie?
Es geht um Good Vibes. Und um eine positive, ja vielleicht sogar Utopie. Ein starkes Wort. Aber vielleicht nehmen wir das einfach mal! Ich glaube, dass allen, die da sind, schon bewusst ist, in was für einem Kontext das gerade stattfindet. Eigentlich muten die Zeiten gerade gar nicht so nach Utopie und Good Vibes an. Da schafft man sich gerade ein kleines Refugium, wo die Welt für ein paar Tage in Ordnung ist.

Obwohl noch nicht so viele Leute da sind, könnte das eine nachhaltige Entwicklung sein? Die Netzkultur, zumindest was das Tröten angeht, positiv zu verändern?
Zumindest könnte der Wechsel zu Mastodon mal einen Anlass geben, mehr darüber nachzudenken, auf welchen Plattformen man sich so rumtreibt. Das wird gerade in Gang gesetzt. Dass dann der Wechsel von einer zur anderen Plattform schwierig ist und dass man sich auf der einen Plattform eine Öffentlichkeit, ein Publikum gesammelt hat, dass man dann dort lässt, ist natürlich schwierig für viele. Aber ich merke das an mir, dass ich mich plötzlich auch mal ernsthaft mit den Dingen beschäftige. Vorher war das für mich Nerd-Kram, an dem ich kein Interesse hatte. Und wenn man überlegt, dass es Leute gibt, die das seit zehn, fünfzehn Jahren oder noch länger propagieren und darüber reden, dass dezentrale und Open Source-Strukturen wie das Fediverse oder was Mastodon eben ist, eine echte Alternative sein könnten, wenn sich nur genügend Leute dazu bequemen. Das denkt man gerade zum ersten Mal ein bisschen durch und das reicht auch schon. Mehr darf man auch gar nicht verlangen gerade.

Apropos Nerd-Kram: Man kommt in diesen neuen Raum und dann sieht man diese Instanzen. Da kommt dann plötzlich ein «neu auf dem Schulhof»-Gefühl, und man fragt sich: Wo ist denn die coole Clique, wo will ich dazugehören? Wie hast du das gelöst?
Ich habe einfach dieselbe Instanz genommen, die Saša Stanišić sich ausgesucht hat. (lacht) Folgeempfehlung! Wenn er sich da anmeldet, kann man davon ausgehen, dass es richtig ist. Und ich habe auch ehrlich gesagt keine Ahnung, was jetzt die beste Instanz für mich wäre. Ich habe auch gar nicht darüber nachgedacht. Twitter funktioniert ja, gerade was diese Instanzen angeht, schon ein bisschen anders.

Bist du jetzt schon ein besserer Tröter als ein Zwitscherer? Ist Mastodon vielleicht gar eine Chance für eine Neuinkarnation oder Reinigung?
Ich bin viel hinter den Kulissen im Kontakt mit Creamspeak und Moritz Hürtgen – Folgeempfehlung! Wir sprechen über unsere Erfahrungen auf der Plattform und die sind durchweg positiv, insofern, als dass sie uns einfach ein gutes Gefühl machen. Ich glaube, dass wir das alle gerade gut gebrauchen können – einfach positive Vibes zu lesen und zu tröten. Und über mehr machen wir uns auch keine Gedanken. Ich merk an mir, wie gut es mir tut. Ich habe heute noch gar nicht auf Twitter geguckt. Aber ich war schon heute Morgen im Zug eine Stunde auf Mastodon. Tolle Erfahrung.

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48 Kommentare
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Doplagus
31.10.2022 06:52registriert Dezember 2019
Watson mag ja gefühlte 70% seiner artikel von twitterquellen beziehen, aber wo genau ist jetzt das problem mit twitter, dass man wechseln muss?

Wofür braucht man twitter überhaupt?
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Antinatalist
30.10.2022 22:26registriert September 2019
Es ist mit Mastodon und Twitter ein bisschen wie mit Signal und Whatsapp. Die mit Grips nutzen Mastodon und Signal, alle anderen Twitter und Whatsapp.
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HerbertBert
30.10.2022 23:50registriert Juni 2018
Die grosse Masse wird weiterhin Twitter nutzen anstatt irgend eine Alternative. Der Kauf wird nichts ändern.

Analog Whatsapp, die grosse Mehrheit nutzt es weiterhin. Signal, Threema, etc. sind Randerscheinungen und höchstens im eigenen Bubble relevant.
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