Wie ein IT-Spezialist beim Darknet-Drogenhandel Millionen verdiente – und nun auspackt
Blaues Hemd, Jeans, Aktendeckel vor dem Gesicht – und unpünktlich. «Rudolf Hetz» alias «Elo Mojito» alias «Dark Shadow» wird verspätet aus der benachbarten Justizvollzugsanstalt (JVA) in den Gerichtssaal gebracht.
Für die Spezialisten der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gilt die Verhandlung im hessischen Städtchen Giessen als der «Prozess des Jahres», wie deren Leiter Benjamin Kraus betont.
Angeklagt ist mit Jannis H., so der bürgerliche Name hinter allen Pseudonymen, die Schlüsselfigur eines für den deutschsprachigen Raum zentralen Internet-Marktplatzes für Illegales. Mehr als 100'000 User waren auf der Plattform «Crimenetwork» registriert.
Über Jahre kamen dort im deutschsprachigen Internet Abnehmer und Anbieter von Drogen und illegalen Dienstleistungen zusammen. Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) war gemeinsam mit der Frankfurter Zentralstelle auf die Spur gestossen. Letztere ist jene Behörde, die zuständig ist, wenn bei Straftaten im Internet völlig unklar bleibt, wo die Täter sitzen.
Es geht nicht um Schuld oder Unschuld
In diesem Fall stellte sich heraus, dass den Ermittlern im mitteldeutschen Bundesland Hessen ein Einheimischer ins Netz gegangen war. Der 30-jährige H., zuletzt gemeldet in einer kleinen Gemeinde, war bei der «Gangster-AG» so etwas wie der CIO, der Chief Information Officer, also die Führungskraft, die für Strategie und Umsetzung der IT-Infrastruktur verantwortlich ist.
Diese Rolle war bereits beim Prozessauftakt am Dienstag zwischen Verteidigung und Anklage unstrittig, denn die Beweise sind zu erdrückend. Es wird in den kommenden Verhandlungstagen nicht um die Frage von Schuld oder Unschuld gehen, sondern darum, wie viele Jahre er dafür ins Gefängnis muss, dass er Käufer und Verkäufer zusammengebracht und die Bezahlungen abgewickelt hat.
Staatsanwalt Jan Löber las aus Tabellen in der Anklageschrift vor, welche Mengen von 2018 bis zum Zugriff der Ermittler den Besitzer wechselten: fast 600 Kilo Cannabis und Cannabisprodukte, fast 300 Kilo Kokain, fast 3 Kilo Heroin, fast 800 Kilo Crystal Meth, mehr als 80'000 Ecstasy-Pillen sowie Fentanyl-Pflaster.
Es ist sind also wirklich Betäubungsmittel von «nicht geringer Menge», mit denen bandenmässig gehandelt wurde, was Jannis H. vorgeworfen wird.
Bezahlt wurde in Kryptowährungen, zwischen 2018 und 2024 sollen Drogen für 12 Millionen Euro umgeschlagen worden sein. Ermittelt ist das zum jeweiligen damaligen Kurs der Währungen, die inzwischen zum Teil deutlich im Wert gestiegen sind. Wegen der Drogen und des damit verbundenen hohen Strafrahmens spielt es für den Prozess keine Rolle, was ansonsten noch alles gehandelt und was dafür gezahlt wurde. Die ZIT spricht davon, dass in den sechs Jahren Umsätze von mindestens 1000 Bitcoin und mehr als 20'000 Monero erzielt wurden – umgerechnet knapp 100 Millionen Euro.
Ermittler gelangten auch an Daten von Nutzern
Neben Drogen gab es etwa gestohlene Kreditkartendaten, Falschgeld, gefälschte Ausweispapiere oder Dienstleistungen wie Hackerattacken oder Geldwäsche. Im Forum gaben sich die User Tipps, wie welche Betrugsmasche funktioniert oder was zu tun ist, um sich vor der Polizei zu schützen – alles vermeintlich ungestört.
Das änderte sich spätestens mit dem 2. Dezember 2024: Jannis H. wurde verhaftet. Die Ermittler gelangten an einen erheblichen Datensatz, sie sprachen von «umfangreichen Nutzer- und Transaktionsdaten». Die ZIT hat bereits Teile davon ausgewertet und einige Verfahren an andere Staatsanwaltschaften in anderen Bundesländern abgegeben:
Es laufen Ermittlungen gegen sogenannte Vendoren, wie die Anbieter und Verkäufer auf dem Marktplatz genannt werden. Die Geschäftspartner waren nicht so gut geschützt, wie sie dachten, und wie die Betreiber von «Crimenetwork» sie glauben machen wollten.
Ermittler veröffentlichten Video, um Täter zu verspotten
ZIT und BKA verspotteten die Betreiber sogar in einem Video, das in der Pixel-Optik alter Commodore-Computerspiele gehalten ist. Zu sehen sind nachgestellte Chats zwischen Kunden und einem Betreiber namens «Inigo» sowie zwischen «Rudolf Hetz» alias Jannis H. und diesem «Inigo». Auch die Festnahme von Jannis H. ist dargestellt und ein USB-Stick mit Daten für andere Ermittlungsbehörden. «Game over» ist dann zu lesen, das Spiel ist aus.
In einer internen Präsentation der ZIT ist eine Reaktion aus einem einschlägigen Forum dokumentiert: «Das Video ist Killer», kommentierte jemand. Der Coup sollte Aufmerksamkeit erzeugen und zeigen, dass auch der Staat das Netz versteht. Verunsicherung und Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Plattform zu schaffen unter Kunden und Anbietern ist ein Ziel.
Angebote wie «Crimenetwork» mit ihren Foren gelten den Ermittlern zufolge auch als Einstieg in kriminelle Geschäfte, insbesondere für junge Menschen, denen die Geschäfte dort vermeintlich einfach und risikolos erscheinen.
Dort hatten sich auch die inzwischen bereits verurteilten Gründer von «Chemical Revolution» kennengelernt, einem zeitweise sehr bekannten und 2020 aufgeflogenen Onlineshop für Drogen.
Jannis H. gab in Vernehmungen Vorwürfe zu
Jannis H. hat dem Vernehmen nach in den Vernehmungen nach seiner Festnahme bereits einiges von dem preisgegeben, was er weiss. Im Laufe des Prozesses werde er noch zu den Vorwürfen und zu seiner Person aussagen, sagte sein Verteidiger Alexander Hauer T-Online.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in einem Rechtsgespräch bereits deutlich gemacht, dass sie mehr als acht Jahre Haft für H. fordern könnte, sollte er nicht umfassend aussagen.
Es wird auch darum gehen, ob er ein Appartement in Dubai besitzt und entsprechende Angaben dazu macht, und ob er mögliches Vermögen vor dem Zugriff der Behöden versteckt hat. Denn die Ermittler wollen nach dem derzeitigem Stand, dass er bis zu 12 Millionen Euro Erlöse aus dem Drogenhandel an den Staat zahlt.
H. hat Kokain & Co. der Käufer nie besessen, er hat es nicht bestellt und nicht verschickt. Aber als IT-Spezialist machte er die Abwicklung möglich, auch das ist vom Vorwurf des Handels erfasst. Die Plattform war Treuhänder für die Geschäfte der Dealer. Käufer zahlten in Kryptowährung an das «Crimenetwork» für ihre Bestellungen, woraufhin das System die Verkäufer über den Zahlungseingang informierte. Wenn Käufer den Erhalt der Drogen, Daten oder Dienstleistung bestätigten, leitete das «Crimenetwork» die Zahlung weiter. Und verdiente mit.
Alle Verkäufer mussten das Treuhandsystem («Escrow» genannt) nutzen und bei jeder Transaktion ein bis fünf Prozent des Preises abtreten. Ausserdem brauchten sie eine Verkäuferlizenz – bis zu 700 Euro im Monat, um überhaupt als Anbieter auftreten zu dürfen.
Wer hervorgehoben erscheinen wollte, konnte das oder auch eigene Werbebanner extra buchen. Dafür gab es neben dem Kundenzugang auch die Möglichkeit verifizierter Kundenbewertungen – fast alles wie auf legalen Plattformen auch. Jannis H. mixte auch eingehende Kryptozahlungen, um so Geldflüsse zu verschleiern.
Administrator durfte 20 bis 25 Prozent behalten
Zunächst sei er nur auf Honorarbasis dabei gewesen. Als aber ein früherer Betreiber aufflog, änderten sich seine Rolle und sein Einkommen. Er setzte laut Anklage die Seite neu auf, er hatte den Zugang zum Kryptokonto, zun Konten der technischen Dienstleister für Speicherplatzes und Schutz vor Angriffen. 20 Prozent der Einnahmen konnte er dafür zunächst behalten, später dann 25 Prozent, heisst es in der Anklage.
Die anderen 80 oder später dann 75 Prozent schickte er an «Inigo». Wenn «Rudolf Hetz» oder «Dark Shadow» der Chief Information Officer der kriminellen Firma war, dann war «Inigo» der CEO. Ihn haben die Behörden auch bisher nicht, Ermittlungen laufen.
«Inigo» hat mit einem leicht veränderten Video auf den Spott der Ermittler reagiert. In der neuen Variante taucht er als Pirat auf und macht weiter. Tatsächlich gibt es eine Nachfolgeplattform, allerdings mit viel weniger Mitgliedern, weniger Anbietern. Dass «Inigo» selbst das passende Antwort-Video erstellt hat, ist nicht gesagt. Auf dem «Crimenetwork» gehörten zu den Anbietern ja auch Dienstleister, die für illegale Geschäfte Logos oder Grafiken zur besseren Präsentation erstellen.
Der Prozess gegen Jannis H. ist bis ins neue Jahr hinein terminiert. Unter den Zeugen wird etwa die Ermittlungsführerin beim BKA erwartet.
Quellen
- Teilnahme am Prozess
- bka.de: Administrator des Online-Marktplaatzes "Crimenetwork" festgenommen
- bustedcrime.network: BKA-Website zum Fall
(dsc/t-online)

