Seit die Pixel laufen lernten, ziehen Videospiele die Menschen in ihren Bann. Aber abgesehen von wenigen Kultfiguren wie «Pac Man» oder «Super Mario» geraten selbst geniale Kreationen relativ schnell wieder in Vergessenheit. Der Reiz des Neuen ist einfach stärker. Und so landen die meisten Games früher oder später in der sprichwörtlichen Mottenkiste, bevor sie ganz in der Versenkung verschwinden.
Dieser Beitrag erzählt von fünf Männern und Frauen, die mit grosser Leidenschaft und Mut etwas Neues, ja Revolutionäres geschaffen haben. Ohne ihre Pionierarbeit wäre die heutige Multimilliarden-Spieleindustrie nicht denkbar.
Das einflussreichste Computerspiel, von dem du wahrscheinlich noch nie etwas gehört hast, wurde von einer amerikanischen Volksschullehrerin entwickelt. In ihrer Freizeit.
Das war in den 1960ern. Und die New Yorkerin Mabel Addis, die 2004 im Alter von 92 Jahren starb, gilt deshalb als die allererste Videospielautorin der Geschichte.
Das Spiel selbst, also der originale Programmcode, ging leider für immer verloren. Doch die Pionierarbeit, die Mabel bei «The Sumarian Game» (1964) leistete, wirkt bis heute nach. Es war der erste textbasierte Wirtschaftssimulator.
Ihren Schülerinnen und Schülern stellte sich die Aufgabe, die Ressourcen des antiken Stadtstaates Lagash zu verwalten und zu regieren. «The Sumarian Game» war jedoch kein Titel, den man auf einem eigenen Gerät spielte. Denn die gab es damals noch gar nicht. Stattdessen war Spielen nur auf einem frühen IBM-Grossrechner möglich, bzw. einem Drucker:
In einer Zeit, in der Computerspiele noch sehr weit von einem Massenphänomen entfernt waren, ebneten Mabels Innovationen den Weg für andere Pionierinnen und Pioniere.
Ok, diesen Mann aus Japan dürften auch heute noch einige Gamerinnen und Gamer kennen. Er wurde schon als «der Walt Disney der Videospiele» bezeichnet und gilt als erfolgreichster Spieleentwickler des 20. Jahrhunderts.
Zu seinen bekanntesten Schöpfungen zählen:
Als Bub wollte er «Mangaka» werden, also Comic-Zeichner. Doch statt den Mangas widmete er sein Leben den Videogames. Wenn auch auf beruflichen Umwegen: Als er nach dem Studium (Kunsthandwerk und Industriedesign) dank «Vitamin B» ein Vorstellungsgespräch bei Nintendo erhielt, überzeugte er mit einigen einfachen Spielzeugideen. Und wie wir aus einem späteren Interview wissen, wurde eine dieser Ideen klammheimlich vom Unternehmen patentiert. Shigeru Miyamoto erfuhr es erst drei Jahre später.
Obwohl er mit seinem Einfallsreichtum zu einem absoluten Rockstar der Gaming-Branche aufstieg, blieb der Japaner bescheiden – und seinem Arbeitgeber treu. Offensichtlich konnte er sich bei Nintendo austoben. Er sagt: «Ich war auf der Suche nach einem Unternehmen, das mich sponserte, damit ich die Dinge erschaffen konnte, die ich wollte.»
Und das Geheimnis seines Erfolges? Er erkannte früh, dass die in den 70er-Jahren lancierten Automatenspiele keine echte Handlung hatten. Und er war überzeugt, dass es ein unerforschtes Potenzial für fesselnde Storys gebe. Dann floppte ein Nintendo-Titel und Shigeru Miyamoto rettete mit «Donkey Kong» die Firma und wurde weltberühmt.
Der Rest ist Computerspielgeschichte. Nur noch so viel: Der Vater von zwei Kindern soll alles andere als ein begnadeter Gamer sein. Und den Nachwuchs zwang er häufig zu längeren Spielpausen und schickte ihn an die frische Luft.
«Mit Mamas BH als Waffe zum Games-Millionär», titelte das Nachrichtenmagazin «Spiegel» zu Edmund McMillen. Tatsächlich ist der 43-jährige Kalifornier, der schon seine Kindheit mit dem Zeichnen von Monstern verbracht hat, eine faszinierende Persönlichkeit. Im «weichgespülten» Teil der Gaming-Branche, der mit familientauglicher Massenware Milliarden umsetzt, ist er ein wohltuender Fremdkörper. Und das hat mit seinem rabenschwarzen Humor zu tun.
McMillen gilt als einer der Vorreiter der Indie-Game-Revolution Ende der 2000er-Jahre. Mit Titeln wie «Super Meat Boy» und «The Binding Of Isaac» stellte er unter Beweis, dass man auch ohne mächtiges Studio im Rücken Erfolg haben und nebenbei ziemlich reich werden kann.
McMillen ist nicht nur wegen sexistischer Darstellungen berüchtigt, sondern auch wegen seiner unverblümten Religionskritik. Er hat diese mit seiner katholischen Erziehung und Berichten über Kindesmisshandlungen begründet.
In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, der Vater drogenabhängig, habe er sich häufig als Aussenseiter gefühlt, hielt er vor ein paar Jahren in einem Reddit-AMA fest. Doch er ist längst zu einem Star geworden, der der gesamten Branche «einen Hauch von Punk, Underground und trotziger Subkultur» beschere, hiess es in einem «Spiegel»-Porträt.
Sie war eine der einflussreichsten Pionierinnen der milliardenschweren Videospielindustrie: eine Designerin aus Little Rock, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Arkansas. Und sie war ihrer Zeit voraus, in verschiedenster Hinsicht.
Als Kind liebte Dan Bunten Familienbrettspiele wie «Risiko» und «Monopoly», bei denen der soziale Aspekt des Spielens im Mittelpunkt stand. Und er war überzeugt, dass ein menschlicher Gegner immer mehr Herausforderung und Spass bieten würde als das beste Computerhirn. Und so wurde Buntens Leidenschaft für Multiplayer-Spiele geweckt – zu einer Zeit, als noch niemand von Streaming sprach.
In den 1980er-Jahren erfand er einige Computerspiele, die heute als innovative Klassiker gelten und die Game-Entwicklung massgeblich geprägt haben, wie die Multiplayer-Wirtschaftssimulation «M.U.L.E.», das Open-World-Strategiespiel «Seven Cities of Gold» sowie das als erstes kommerzielles Online-Strategiespiel geltende «Modem Wars» (1988).
Noch zuvor gelang ihm mit dem Wirtschaftssimulator «Wheeler Dealers» 1978 erstmals die Fertigstellung eines professionellen Computerspiels auf einem Apple II. Es war das erste PC-Spiel überhaupt, das in einer bedruckten Box, statt in einer Hülle oder Plastiktüte verkauft wurde.
Allerdings lastete auf dem begnadeten Künstler ein schwerer Schatten: Er fühlte sich im falschen Körper geboren. Nach einer geschlechtsangleichenden Operation im Alter von 43 Jahren fügte er den Nachnamen seiner Mutter hinzu und nannte sich fortan Danielle Bunten Berry.
Zu Lebzeiten warnte Bunten davor, diesen weitreichenden Schritt voreilig, ohne hinreichende Beratung zu machen. Wie wir auch aus mehreren Porträts über ihn wissen, entfremdete er sich von seiner eigenen Familie. 1998, sechs Jahre nach dem schweren Eingriff folgte die tödliche Diagnose: Lungenkrebs, begünstigt durch jahrelanges starkes Rauchen.
Im Cyberspace lebten Bunten Berrys Schöpfungen weiter. Auf YouTube posteten Fans liebevolle Videobegleitungen zu «MULE» und «Seven Cities of Gold» und überall im Internet gab es Hommagen und Gedenkstätten. Besonders rührend: Als der Game-Designer Will Wright 2000 den Blockbuster «Die Sims» fertigstellte, widmete er ihn Bunten.
Dani Bunten hinterliess ihre drei Kinder (aus früheren Ehen als Daniel Bunten). Diese gründeten das Unternehmen Ozark Softscape (der Name von Buntens altem Entwicklungsstudio), um das digitale Erbe zu verwalten.
Ralph Baer wuchs in Deutschland zwischen den zwei Weltkriegen auf. Im Alter von 14 Jahren musste er die Schule verlassen, weil er aus einer jüdischen Familie stammte. Zwei Monate vor der Reichspogromnacht (9. November 1938) flüchtete er mit seiner Familie in die USA, wo er sich per Fernkurs zum Radio- und Fernsehtechniker ausbilden liess.
Nach dem Eintritt in die US-Armee und der Teilnahme am Zweiten Weltkrieg vertiefte er sich in Grossbritannien – dem Ort seiner Stationierung – in die Mathematik. Nach der Rückkehr in die Vereinigten Staaten ging er ans College und erhielt einen Bachelor-Abschluss in Fernsehtechnik.
Ab 1955 war Baer bei einem US-Rüstungsbetrieb angestellt, wo er während 15 Jahren an Militärprojekten arbeite und sich auch mit Mikroprozessoren beschäftigte. Als Fernsehtechniker machte er sich aber auch Gedanken über eine zusätzliche Nutzung der TV-Geräte. So kam er 1966 auf die Idee, eine Spielekonsole mitsamt Spielen zu entwickeln.
1968 entwarf der Deutsch-Amerikaner mit Jahrgang 1922 den Prototyp der allerersten Videospielkonsole. Deren Name: Magnavox Odyssey. Und damit ist Ralph Baer der Vater aller Heimkonsolen, ob Wii, Playstation oder Xbox.
Und dennoch wird heute meist jemand anderes mit ihnen in Verbindung gebracht: Nolan Bushnell. Das war damals der Chef von Atari. Im Juni 1972 feierte das US-Unternehmen mit seinem Münzspiel «Pong» einen Riesenerfolg.
Tatsächlich erinnerte das Atari-Game stark an das Ping-Pong-Spiel, das Baer bereits 1967 erfunden hatte. Was folgte, war ein Rechtsstreit, den schliesslich Magnavox gewann.
Doch für den Erfinder Baer waren die Lizenzgebühren, die Atari bezahlen musste, keine echte Genugtuung. Er zog sich zurück, kündigte seinen Job und tüftelte fortan in seinem Keller an neuen Kreationen, insbesondere an Kinderspielen, die elektrisch angetrieben wurden.
2006 wurde Baers Bedeutung für die gesamte Videospielbranche endlich offiziell anerkannt. Für seine Leistungen überreichte ihm US-Präsident George Bush die National Medal of Technology – die höchste Auszeichnung der Vereinigten Staaten auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technik.
Bis zu seinem Tod im Jahr 2014 meldete Baer mehr als 150 Patente an. Sein grösster Erfolg: Simon/Senso. Ein Spielzeug, bei dem es sich (immer schnellere) Abfolgen von Tönen und Farben zu merken und korrekt wiederzugeben gilt.