Zum Zoom-Interview erscheint Richard Socher eine Viertelstunde zu spät. Er entschuldigt sich: Ein wichtiges Meeting mit Investoren habe länger gedauert als geplant. Socher braucht potente Geldgeber, denn er hat Big Tech den Kampf angesagt. Dies, inmitten einer Zeit, in der die Technologieriesen in einer Krise stecken. Bei vielen drohen Entlassungswellen und der Ruf ist angekratzt. Kleine Start-ups wie Sochers You.com wittern nun ihre Chance.
Vor gut einem Jahr haben Sie You.com gegründet. In dieser Zeit haben Sie eine Website aus dem Boden gestampft, die sowohl Google als auch den derzeit viel gelobten Chatbot ChatGPT herausfordert. Wie ist das so schnell möglich?
Richard Socher: Das frage ich mich auch manchmal. Wir sind zwar nur ein kleines Team, aber mit unglaublich guten Programmierern. Wir arbeiten alle sehr hart, gehen aber auch pragmatisch vor: Wo vorhanden, greifen wir auf bereits existierende Technologien zurück.
Sie sind in Deutschland geboren und leben seit vielen Jahren im Silicon Valley. Dachten Sie nie daran, zurück nach Europa zu kommen und You.com hier zu gründen?
Mir gefällt das Leben in den USA. Nicht nur, weil super viele Investoren und Programmierer hier sind, sondern auch die Einstellung der Leute ist eine ganz andere als in Europa. Mit meinen Ideen stosse ich in Europa erst einmal auf viel Skepsis und es wird schwarzgemalt, was die KI alles Schlimmes machen könnte. In Amerika steht erst einmal die Neugierde im Vordergrund und man sagt: Klar, es gibt Probleme mit KI, aber lasst uns diese einfach bestmöglich lösen.
Sie wollen mit You.com in Konkurrenz mit Google treten. Sind Sie grössenwahnsinnig?
Na ja, es ist wohl eine Mischung aus Verrücktheit und dem genau richtigen Zeitpunkt, um so etwas anzureissen. Vor zwei Jahren, als ich und Bryan (Bryan McCann, Mitgründer von You.com, Anm. d. Red.) ganz klein angefangen haben, dachten die meisten, hinter unserer Idee steckt nix dahinter. Interessanterweise habe ich erst letzthin ein Interview mit den Google-Gründern gelesen - und denen wurde die genau gleiche Frage gestellt.
Woher rührt Ihr Wagemut?
Momentan erinnert mich alles an meine Zeit als Doktorand, als ich mich mit neuronalen Netzen in der Sprachverarbeitung beschäftigte. Damals fragten mich viele Leute, wieso ich damit mein Leben verschwende, das Konzept habe in den 90er-Jahren nicht funktioniert und werde auch weiterhin nicht funktionieren. Jetzt basiert die gesamte Sprachverarbeitung auf neuronalen Netzen. Meine Hoffnung ist, dass ich nun das zweite Mal in meinem Leben einen solchen Trend voraussehe.
Google zählt zu den mächtigsten Konzernen weltweit. Was wollen Sie anders machen?
Mittlerweile ist Google einfach schlecht geworden. Die Monopolstellung und die Fokussierung auf personalisierte Werbung verhindern weiter Innovationen. Google hat ein grosses Interesse, dass die Menschen auf die Anzeige-Links ganz oben klicken, denn so verdient der Konzern sein Geld. Da kann man nicht einfach sagen, lasst uns diese Links durch einen Chatbot ersetzen, der viel besser ist als diese Links. Google ist also sehr vorsichtig im Implementieren von neuen Funktionen.
Dennoch erhält man mittlerweile auf Fragen auch konkrete Antworten aus Wikipedia und anderen Quellen. Man muss also gar nicht mehr auf einen Link klicken.
40 bis 60 Prozent aller Google-Suchen sind mittlerweile sogenannte «Zero Clicks». Das heisst, man klickt nicht mehr auf einen Link, um die Antwort auf einer anderen Website zu lesen, sondern bekommt die Antwort gleich auf Google präsentiert. Man verlässt Google nicht mehr. Das ist für die Nutzer praktisch. Aber es zerstört das ganze «Ökosystem Internet». Deswegen muss dieses Ökosystem offen sein, damit alle daran teilhaben können. Gleichzeitig sollen die Nutzer selbst entscheiden, was sie sehen möchten, was nicht und wie viele Daten sie preisgeben möchten. Genau das kann man auf You.com.
Wenn man ChatGPT beispielsweise nach dem Leben einer Person fragt, entstehen immer auch faktische Fehler. Eine Suchmaschine, die stark auf KI setzt, scheint uns gefährlich. Wie wollen Sie das Problem lösen?
Anders als ChatGPT gibt unser Bot bei solchen Fragen immer auch die Quelle an. Man kann also kontrollieren, woher die Angaben stammen. Das ist uns sehr wichtig. Ausserdem wird sich die KI laufend verbessern. Erst vor ein paar Wochen sagten Leute zu mir, dass keine richtigen Antworten rauskommen und dass alles Quatsch ist, was KI macht. Mittlerweile haben wir aber schon vieles gelöst, und wir sind dran, es noch besser zu machen.
KI ist nicht nur schlau, sondern auch teuer. Alleine der Betrieb von ChatGPT soll 100'000 Dollar pro Tag kosten. Wie wollen Sie die Kosten stemmen, ohne personalisierte Werbung zu schalten?
Wir arbeiten noch an unserem Geschäftsmodell. Momentan setzen wir vor allem auf Wachstum und Reichweite, wie das auch Facebook, Instagram und Youtube zu Beginn getan haben. Einige Funktionen sind kostenpflichtig - etwa das Generieren von Texten wie E-Mails ab einer gewissen Menge. Wir sind auch nicht komplett gegen Werbung, sie soll einfach nicht darauf basieren, den Nutzer ständig im Internet zu verfolgen. Privatsphäre ist uns wichtig.
KI steht auch immer in der Kritik, aufgrund der zur Verfügung stehenden Trainingsdaten Diskriminierung und Vorurteile zu zementieren. Haben Sie ein Patentrezept, wie sich dies verbessern liesse?
Das ist auf jeden Fall ein Problem. Viele KI-Forscher programmieren in ihre Sprachmodelle mittlerweile ein, dass die KI gewisse Fragen gar nicht beantwortet. Das finde ich fatal! Wenn man etwa fragt, was sind die Argumente der Hardcore-Abtreibungsgegner, dann soll sie nicht einfach schweigen, sondern die Argumente nennen. Auch sehr extreme Meinungen. Wichtig ist aber auch, dass die KI nicht von sich aus nur die extremste Meinung preisgibt.
Blicken wir in die Zukunft: Wie wird die KI in zehn Jahren unser Leben verändern?
Es wird eine neue Automatisierungswelle geben, wie dies bereits mit dem Buchdruck, der Dampfmaschine und dem Internet geschah. Die KI hilft, in kürzester Zeit sehr viele neue Ideen zu generieren. Das verändert Werbung, Kommunikation aber auch die Kunst. Ein Musiker beispielsweise kann sehr schnell verschiedene Songs generieren. Wie gut sie sind, hängt aber von seinen Inputs und seinen Intentionen ab. Menschen, die verstehen, wie sich diese neue Technologie als Super-Power nutzen lässt, werden vorankommen. Langfristig bin ich sehr optimistisch, dass sich die KI positiv auf unser Leben auswirken wird. Aber kurzfristig muss der Staat den Menschen mit Sozialsystemen und dem Angebot von Weiterbildungen schon helfen.
Und die Bildung muss sich ändern.
Lehrer merken jetzt schon, dass Aufsätze schreiben nicht mehr so viel Sinn macht, wenn Schülerinnen und Schüler den Text von ChatGPT schreiben lassen. Deshalb muss sich die Art und Weise, wie und was wir lernen, verändern. Klar, man muss immer noch das ABC lernen, und man muss lernen, ohne Hilfsmittel zu schreiben. Man muss aber auch lernen, die Möglichkeiten der KI anzuwenden. Und natürlich muss man programmieren lernen.
Wieso denn, die KI kann ja auch programmieren?
Wer programmieren kann, der kann Einfluss auf die KI nehmen und sie weiterentwickeln.
Was zeichnet den Menschen in einer Welt von intelligenten Maschinen noch aus?
Es wird immer der Mensch sein, der entscheidet, ob beispielsweise ein Buch gefällt oder nicht. Zudem bleibt Empathie den Menschen vorbehalten, obwohl man Konversationen mit einer KI schon heute führen kann. Auch wird man sich Anerkennung immer von Menschen und nicht von einer Maschine wünschen. Das alles wird sich kaum ändern. Und ist eine gute Nachricht für Psychiater.
Und zum Schluss die Fragen aller Fragen: Werden Maschinen jemals ein Bewusstsein entwickeln?
Ach das Bewusstsein, das ist so eine Sache. Erst einmal definiert Bewusstsein jeder anders, vom Philosophen über den Religionsgelehrten bis hin zum Anästhesisten. Aber letztlich ist die Frage gar nicht so interessant. Denn in dem Sinne, dass sich KI bewusst selber Ziele setzt, die sie erreichen möchte, da sind wir noch sehr weit davon entfernt. Und tatsächlich arbeitet da auch niemand dran. Denn was hilft mir eine Maschine, die mir eine Frage beantworten soll, aber dann sagt, nein, ich mache jetzt was anderes. Eine solche KI wäre komplett nutzlos und würde nur Strom fressen. Eine Maschine mit Bewusstsein ist letztlich ein lustiges Gedankenspiel für Science-Fiction. Mehr nicht. (aargauerzeitung.ch)