Kaum beginnt das Spiel, frohlockt der Indy-Fan und bekommt das Dauergrinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Sofort wird beim Einstieg klar, dass die Entwicklerbude MachineGames ganz genau weiss, wie die Klaviatur gespielt werden muss. Auch die grosse Skepsis im Vorfeld, ob die Third-Person-Perspektive vielleicht doch eher die richtige Wahl gewesen wäre, verpufft sofort. Denn via Ego-Ansicht steuern wir unseren Lieblingsarchäologen nicht nur, nein, wir sind Indiana Jones und bestreiten nun ein Abenteuer, das genug Stoff hergibt, um damit ein richtig gutes Oldschool-Indy-Abenteuer zu zaubern.
Nachdem wir via famoser Eingangssequenz schon mal mit der Steuerung vertraut gemacht wurden und voller Vorfreude in das Abenteuer starten, befinden wir uns am Arbeitsplatz von Dr. Henry Jones Junior im Jahr 1937 am Marshall College und somit nach den Ereignissen von «Jäger des verlorenen Schatzes» und vor dem Vater-Sohn-Abenteuer «Der letzte Kreuzzug».
Ohne viel Blabla werden wir danach sofort in die Geschichte hineingeworfen: Ein Einbruch, ein vermisster Gegenstand und ein Hüne, der Indiana ordentlich aufs Maul gibt, sorgen dafür, dass unser Protagonist schnell den Koffer packt und sich mit Hut und Peitsche nach Italien aufmacht, um dort im Vatikan nach Antworten zu suchen und vor allem den geklauten Gegenstand zurückzuholen.
Dort trifft er nicht nur einen alten Freund, sondern auch dubiose Geistliche, die sich mit Mussolinis Schergen verbünden und obendrauf auch noch mit Nazis konspirieren, die vom übereifrigen und durchgeknallten Archäologen Emmerich Voss angeführt werden. Zu viel von der Geschichte soll hier aber gar nicht erst verraten werden, denn sie ist ein wichtiger Bestandteil, damit diese «Indiana Jones»-Versoftung funktioniert und ordentlich reinknallt.
Alles führt schliesslich zum titelgebenden Grossen Kreis, der Macht verspricht und damit natürlich zahlreiche Faschisten anlockt, um ihren Endsieg in die Wege zu leiten. Und wie es sich gehört, bekommt Indy mit der Journalistin Gina Lombardi eine wichtige und sympathische Begleitfigur an die Seite, die sich wunderbar ins «Indiana Jones»-Universum einfügt und einem auch schnell ans Herz wächst.
«Indiana Jones und der Grosse Kreis» besteht aus drei grossen Spielabschnitten, in denen es allerhand zu tun gibt und die einen leichten Open-World-Touch innehaben. Indy rennt, klettert und kriecht hier von Hinweis zu Hinweis, um Gegenstände zu erhaschen, die ihn immer weiter voranbringen. Wir machen mit unserer Handkamera diverse Fotos, um Hinweise bei Rätseln aufzudecken, sammeln ganz viele Notizen, Bücher und wertvolle Objekte und können uns auch diversen Nebenaufgaben widmen, wenn wir von der Hauptgeschichte ein bisschen Luft zum Verschnaufen benötigen.
Ein Rätsel folgt auf das nächste, geheime Türen werden geöffnet, muffige Gräber durchsucht, verlassene Orte durchleuchtet und immer wieder mal werden dabei Faschisten verprügelt. Rund um diese grösseren Levels, die besonders zum Verweilen einladen, gibt es weitere, lineare Abstecher in exotische Regionen, die allesamt dafür sorgen, dass wir uns in einer bekannten Schnitzeljagd à la «Indiana Jones» befinden.
Indiana Jones ist kein Ballermann. Das haben auch die Entwickler erkannt und haben sich auf zünftige Faustkämpfe und die Verwendung von Hieb- und Stichwaffen konzentriert, mit denen man einen ordentlichen Scheitel über die Rübe ziehen kann. Indy hat zwar einen Revolver bei sich und kann ab und zu eine Maschinenpistole und andere Schusswaffen aufnehmen, doch Munition ist sehr, sehr rar gesät.
Zudem ist ein Treffer-Feedback nicht wirklich vorhanden und das Herumballern artet oft in ein heilloses Durcheinander aus. Das ist spieletechnisch zwar äusserst unbefriedigend, passt dann aber auch irgendwie wieder zum Charakter, der sich meistens einfach Hals über Kopf ins Chaos stürzt und sich mit Händen und Füssen zur Wehr setzt. Wer möchte, darf übrigens auch die rohe Gewalt beiseite lassen und in den bewachten Arealen ans Ziel heranschleichen, anstatt sich mit diversen lautstarken Faschisten zu prügeln.
Selbstverständlich ist auch die berühmte Peitsche stets im Gepäck und kann im Videospiel rege benutzt werden. Im Nahkampf dient sie dazu, die Gegner zu entwaffnen oder sie kurz aufzuhalten. Bei den Kletterpassagen kommt das Utensil dann richtig intensiv zum Einsatz. Damit hangelt Indy Abhänge hoch oder runter oder schwingt sich über tiefe Abgründe, wie er es schon unzählige Male in den Filmvorlagen getan hat.
Die Atmosphäre und die Inszenierung sind in diesem Indy-Videospiel beachtlich und faszinierend. Audiovisuell hat MachineGames hier den perfekten Ton getroffen und haut wahnsinnig gute Cutscenes raus. Der digitale, jüngere Harrison Ford sieht verblüffend gut aus. Mimik und Gestik wurden wundervoll getroffen, sodass die Illusion komplett überzeugt. Die Synchronisation in Englisch oder Deutsch kann sich ebenso hören lassen. Erstaunlich, wie der neue Synchronsprecher Florian Clyde hier fast die alte Originalstimme von Harrison Ford (Wolfgang Pampel) hinbekommt.
Hinzu kommt der bekannte Score, der jederzeit die Abenteuer-Stimmung zusätzlich anreizt und Freude für die Ohren verbreitet. Als Krönung gibt es obendrauf ein paar zünftige, sehr bekannte Soundeffekte aus den Filmen, die sich uns Puristen in die ewigen Gehörgänge geschlichen haben. Einen solch unaufdringlichen, aber herzerwärmenden Fanservice durfte man selten erleben.
Fazit: Dieses Indy-Game hat einfach alles, was Fans glücklich macht: Eine spannende Story, die uns von einem Mysterium zum anderen schickt, sehr gut geschriebene Antagonisten, die man stundenlang verprügeln möchte, und ein Wiedersehen mit unserem Lieblingsprofessor, das vor allem die alten Fans glücklich stimmt.
Für gut 20 Stunden durfte ich in die Rolle dieses legendären Leinwandhelden schlüpfen und eine Geschichte erleben, die sich nahtlos zur ursprünglichen Trilogie hinzugesellen darf. Die audiovisuelle Glanzleistung und der reichhaltige Indy-Inhalt haben die dümmliche KI und die teilweise chaotischen, unbefriedigenden Kampfhandlungen schnell vergessen lassen.
«Der Grosse Kreis» bietet eine Abenteuer-Geschichte mit perfekter Indy-Formel, die wir durchaus sehr gerne auf der grossen Leinwand gesehen hätten. Umso schöner, dass wir nun selber in die Rolle von Indiana schlüpfen und ein wahrlich episches Kapitel aus seinem Leben hautnah erleben dürfen.
«Indiana Jones und der Grosse Kreis» ist erhältlich für Xbox Series X/S und PC. Freigegeben ab 16 Jahren.