Die Wirksamkeit gewisser Taser-Modelle wird durch eine breitangelegte US-Untersuchung infrage gestellt.
Die einjährige Recherche durch Investigativ-Journalisten ergab, dass Taser bei Polizei-Einsätzen oft weniger effektiv sind, als laut Herstellerangaben zu erwarten wäre.
Polizisten setzen Taser ein, um potenziell lebensgefährliche Situationen ohne den Einsatz von Schusswaffen zu beenden, um Personen kampfunfähig zu machen.
Jedes Jahr können so weltweit zehntausende Menschen ohne weitere Gewaltanwendung oder schlimmere Verletzungen überwältigt werden. Doch einige Einsätze gehen unerwartet schief, nachdem die Situation unter Kontrolle schien.
Auch hierzulande setzen Polizeibehörden auf die Elektroschockwaffen des US-Marktführers, Axon Enterprise Inc.
Der Taser-Einsatz durch Schweizer Polizisten ist 2018 stark angestiegen im Vergleich zu den Vorjahren (siehe Punkt 8).
Im offiziellen Jargon werden solche Elektroimpulswaffen als «Destabilisierungsgerät» (DSG) bezeichnet. Polizeibehörden in den Kantonen führen verschiedene Taser-Modelle.
Und auch hierzulande versagen Taser.
Im Oktober 2017 sorgte der Amoklauf eines 17-Jährigen in Flums für Schlagzeilen. Zwei Kantonspolizisten konnten den Schüler, der mehrere Personen mit einer Axt zum Teil schwer verletzte, nur durch Pistolenschüsse stoppen. Vorher hatten sie erfolglos getasert, wie der «Blick» berichtete. Warum die Elektroschocks nicht wirkten, ist nicht bekannt.
Gemäss dem Bericht von APM Reports werteten die Journalisten Einsatz-Daten von drei grossen US-Polizeidienststellen aus. Verschiedene statistische Analysen ermöglichten ihnen, neuere und ältere Taser-Modelle zu vergleichen.
Das beunruhigende Fazit: Die neueren Taser-Modelle X26P und X2 funktionierten bei Polizei-Einsätzen weniger zuverlässig als das am meisten verkaufte Vorgängermodell X26, der stärkste Elektroschocker des US-Herstellers.
Die Polizeibehörden in New York, Los Angeles und Houston berichteten von einer geringeren Wirksamkeit bei der Verwendung des X2 oder X26P. Mutmassliche Kriminelle und psychisch kranke Personen konnten nicht durch Elektroschocks kampfunfähig gemacht werden, so dass Beamte schliesslich doch zur Pistole oder zum Revolver griffen.
Über die Jahre habe der Taster-Hersteller an der Reichweite seiner Elektrowaffen herumgebastelt, schreibt APM Reports. Das Problem liegt demnach nicht vorrangig bei der Stärke der Stromstösse, sondern bei der Einsatzdistanz.
Dazu muss man wissen:
Der Hersteller empfiehlt, dass die Pfeile mindestens 30 Zentimeter voneinander entfernt in die Haut eindringen müssen, um Verdächtige zuverlässig kampfunfähig zu machen. Es kommt also darauf an, wie schnell die Geschosse nach dem Abfeuern auseinander driften. Sollte sich die zu überwältigende Person zu nahe beim Taser-Schützen befinden, werden die 30 Zentimeter Abstand der Pfeile nicht erreicht.
Einsatz-Daten aus New York City und Fort Worth zeigen, dass Beamte Taser am häufigsten in einer Distanz von 1,8 Metern zur beschossenen Person verwendeten. Damit wurde der optimale Sicherheitsabstand für zwei Modelle unterschritten. Der vom Hersteller empfohlene Einsatzbereich für die Taser X2 und X26P liege zwischen 2 und 4,6 Metern.
Erst mit dem neusten Modell, dem 2018 lancierten Taser 7, kehrt der Hersteller zu einem bewährten Design zurück, dass die Pfeile nach dem Abfeuern schneller auseinander driften lässt. Dadurch steige die Wahrscheinlichkeit, eine Person auch auf kürzere Distanz kampfunfähig zu machen.
Der Taser 7 feuert die Pfeile laut APM Reports in einem Winkel von 12 Grad ab, einer Zunahme von sieben oder acht Grad im Vergleich mit den früheren Modellen. Dadurch werden die 30 Zentimeter Abstand der beiden Pfeile (12 Zoll) auch erreicht, wenn die Person nur gerade 1,2 Meter entfernt ist.
Und die Stärke des Tasers?
Technisch gesehen habe Axon die elektrische Leistung des Taser 7 nicht erhöht, heisst es im Bericht von APM Reports. Aber der Hersteller habe die Energie in kürzeren, konzentrierteren und häufigeren «Stössen» konzentriert. Das Unternehmen behauptet denn auch, dass die Elektroschocks in dieser komprimierten Form das Gerät effektiver machen.
Ein Taser schiesst kleine Pfeile ab, die durch sechs Meter lange Drähte mit der Waffe verbunden sind und sich in die Haut oder zumindest Kleidung bohren. Über die Drähte können während mehreren Sekunden Elektroschocks ausgelöst werden, die bei der getroffenem Person zu Muskelkontraktionen führen und sie bewegungsunfähig machen. Dann kann man sie überwältigen und in Handschellen legen.
Die Spannung erreicht Werte bis zu 50'000 Volt, dazu fliesst ein vergleichsweise kleiner Strom von rund 160 Milliampere, wie Spiegel Online in diesem Bericht erklärte.
Tasers sind bei der Polizei beliebt, weil sie ermöglichen, auf Schussabgaben zu verzichten und gleichzeitig die Beamten im Einsatz schützen. Im Gegensatz zu einem Schlagstock kann ein Taser aus sicherer Entfernung eingesetzt werden, und im Gegensatz zu Pfefferspray gibt es keine «Abpraller».
Sicher ist: Bei zu kurzen Entfernungen, zum Beispiel von nur einem Meter, stecken die Pfeile zu dicht beieinander, so dass der Stromstoss seine Wirkung verfehlt.
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander, und es kommt auf viele verschiedene Faktoren an. Wie etwa auf den Gesundheitszustand der getroffenen Person und auch auf die Trefferlage der beiden Pfeile.
Der Hersteller versichert, dass die Elektroschocker nicht gefährlich seien. Dies sollen medizinische Studien ergeben haben, wobei der Hersteller selbst die Arbeit von Ärzten finanzierte:
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ermittelt derzeit gegen zwei Polizisten wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge im Amt. Vier Tage, nachdem die beiden Beamten einen sogenannten Taser gegen einen 49-Jährigen eingesetzt hätten, sei der Mann gestorben, berichtete Spiegel Online am Montag dieser Woche. Es müsse nun laut Staatsanwaltschaft ermittelt werden, ob der Taser-Einsatz beim Tod des Mannes eine Rolle gespielt habe.
Der Bundesrat hat 2010 in einem Bericht zu Destabilisierungsgeräten festgehalten, dass die Gefahr eines plötzlichen Herztodes praktisch auszuschliessen sei:
Im gleichen Bericht wird eine medizinische Empfehlung abgegeben, wonach «die mit polizeilichen Aufgaben betrauten Einheiten» einen Defibrillator im Einsatzfahrzeug mitführen sollen – unabhängig vom Einsatz eines Elektroschockers.
Die Elektroimpulswaffe wurde in den frühen 1970er-Jahren von einem in Südkalifornien lebenden Physiker erfunden. Jack Cover († 2009) nannte seine Kreation «Taser» – ein Akronym für «Thomas A. Swift's Electric Rifle», und eine Hommage an den gleichnamigen Science-Fiction-Roman, den er als Junge gelesen hatte.
Der Taser-Erfinder verkaufte seine Patente an eine Firma namens Tasertron. Wobei die ersten Modelle zu gross waren, um an die Gürtel von Polizisten zu passen, zudem erschwerten gesetzliche Bestimmungen den Verkauf.
1993 wandten sich ein junger Amerikaner an Cover: Rick Smith war auf der Suche nach einer neuen Technik, die es anderen Menschen ermöglichen würde, sich selbst zu schützen, ohne tödliche Gewalt einzusetzen. Tragischer Hintergrund: Zwei seiner Highschool-Football-Teamkollegen waren bei einem «Road Rage»-Zwischenfall erschossen worden.
Wie es der Zufall wollte, hatte der Taser-Erfinder und frühere NASA-Wissenschaftler Cover eine Idee für eine neue Art von Waffe: Statt Schiesspulver wollte er komprimiertes Stickstoffgas zum Abschiessen der Pfeile verwenden.
Mithilfe von Cover und seinem Bruder Tom baute Rick den so genannten Air Taser. Aber ihre noch junge Firma ging fast pleite, weil sie durch die Patente des Konkurrenten Tasertron daran gehindert wurde, an die Polizei zu verkaufen.
Erst nachdem der Patentschutz 1998 auslief, konnte Smith durchstarten. Zuerst musste er allerdings noch das Problem lösen, dass die eigenen Elektroschocker zu schwach waren. Schliesslich gelang es, die elektrische Ladung zu erhöhen, um mehr muskelkontrahierende Impulse pro Sekunde zu erreichen.
Smith modifizierte das Design so, dass der Elektroschocker eher wie eine Schusswaffe aussah und sich gut in ein Holster einfügen liess. Die daraus resultierenden Modelle, der M26 und sein kleinerer Nachfolger, der X26, wurden zu Verkaufsschlagern bei Polizeibehörden im In- und Ausland.
Der 2003 eingeführte Taser X26 wurde nach diversen Klagen 2014 aus dem Verkaufsprogramm genommen. Hinter der Aussortierung steckte laut Reuters-Bericht von 2017 eine beunruhigende Wahrheit: «Die beliebte Waffe stellte ein höheres Herzrisiko dar als andere Modelle.» Dem widersprach der Hersteller öffentlich.
Im Vergleich mit den USA sehr selten, aber zuletzt relativ häufig, wie die jüngsten Statistiken zeigen:
Die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) habe die Thematik der stark angestiegenen Taser-Einsätze aufgenommen und werde diese im Rahmen der Kommission Doktrin und Ausbildung diskutieren, wird Verbandspräsident Stefan Blättler zitiert.
Zu der oben geschilderten US-Untersuchung konnte das Generalsekretariat des KKPKS zunächst keine Stellungnahme abgeben. Grundsätzlich sei jedes einzelne Korps für die Beschaffung der Ausrüstung zuständig, heisst es.
Der Taser-Einsatz ist auf Bundesebene seit 2009 erlaubt. Im Parlament hatte das Thema für heftige Debatten gesorgt. Es brauchte eine Einigungskonferenz, damit die beiden Räte das Zwangsanwendungsgesetz, in dem der Einsatz von Tasern geregelt wurde, unter Dach und Fach bringen konnten.
Politischen Widerstand gab es gegen den Einsatz von Elektroschockpistolen bei Ausschaffungen renitenter Ausländer. Die Taser-Gegner verwiesen auch darauf, dass es sich laut dem UNO-Ausschuss gegen Folter beim Taser um eine Form von Folter handelt, wie 2007 festgehalten worden sei.
Bleibt die Frage, welche Taser-Modelle von Schweizer Polizisten mitgeführt (und eingesetzt) werden? Eine Anfrage bei der Medienstelle des grössten kantonalen Polizei-Corps läuft zunächst ins Leere ...
Auf Nachfrage heisst es:
Und:
Auch aus anderen Kantonen ist zu hören, dass der doppelschüssige Taser X2 von Polizisten mitgeführt wird.
Die Kantonspolizei St. Gallen teilt mit, sie habe insgesamt 300 Destabilisierungsgeräte in der Grundversorgung und bei Spezialformationen im Einsatz. Mehrheitlich Taser X2 und wenige X26 und X26P (ältere Geräte, neu nur noch X2).
Bei der Kantonspolizei Genf hat nur die Sondereinheit Groupe d'intervention vier Elektroimpulswaffen, Taser X26. Und auch aus Neuenburg heisst es, nur die Interventions-Einheit könne wenn nötig Taser einsetzen, und zwar das Modell X2.
Der Taser-Hersteller, Axon Enterprise, hat bislang nicht reagiert auf eine entsprechende Medienanfrage.
Verwendete Quellen:
Nicht FLIMS sondern FLUMS.
Der Apres-Ski wirkt wohl noch nach 🍻😂
Ja, schon. Aber diese ewigen kurzatmigen Jahr-zu-Jahr-Vergleiche sind herzlich sinnlos und nerven mich schon lange. Vergleichen wir mit den Zahlen früherer Jahre, die im letzten Punkt aufgeführt sind, sieht die Sache deutlich weniger dramatisch aus:
2013 30
2014 36
2015 29
2016 (fehlt)
2017 13
2018 45
Leider erschliesst sich aus dem Text nicht, ob den Zahlen die gleiche Quelle zugrunde liegt und sie vergleichbar sind. Und ob das jetzt viel oder wenig ist, kann ich auch nicht beurteilen.