Neu müssen die Telekomunternehmen den TV-Sendern 7 statt bisher 2 Franken pro Kunde und Monat für das Überspringen der Werbung beim zeitversetzten Fernsehen bezahlen. Dies entspricht einer Erhöhung von 250 Prozent. Die meisten TV-Abo-Anbieter wälzen die höhere Gebühr auf ihre Kunden ab.
Grund für die Preiserhöhung ist die Einigung auf einen neuen gemeinsamen Tarif GT12 zwischen TV-Sendern, Telekomfirmen und Verwertungsgesellschaften. Dieser regelt die Entschädigung der TV-Sender für das zeitversetzte Fernsehen neu. Hintergrund ist, dass die Privatsender Einnahmeverluste durch das Überspulen der Werbung beklagen, die ihre Haupteinnahmequelle ist.
Um zeitversetztes Fernsehen weiter in der bisherigen Form anbieten zu können, haben die TV-Sender und TV-Verbreiter eine Vereinbarung getroffen. Ab dem 4. Oktober 2022 müssen viele Zuschauer beim zeitversetzten Fernsehen Zwangswerbung erdulden oder mehr bezahlen. Ab dann können Werbeblöcke bei rund 20 grossen, deutschsprachigen Privatsendern wie RTL, ProSieben oder Sat1 bei den meisten TV-Abo-Anbietern ohne Aufpreis nicht mehr überspult werden.
Neue Werbeformen, die sich nicht überspringen lassen, starten zunächst bei den grossen deutschsprachigen Privatsendern. Darunter RTL, ProSieben und Sat1 sowie den Sendern der Mediengruppe CH Media (3+, TV24), zu der auch watson ab Frühling 2023 gehören wird.
Schweizer Regionalsender wie TeleZüri, TeleBärn, Tele M1 etc. führen die Zwangswerbung 2023 ein.
«Bei den Sendern, die nicht an der Branchenvereinbarung teilnehmen, ändert sich nichts: Vorspulen ist im Replay-TV wie bisher möglich», erklärten die Branchenverbände Suissedigital und Swissstream. Damit bleibt bei den öffentlich-rechtlichen Programmen der SRG, ARD, ZDF oder ORF alles beim alten.
Allerdings liebäugelt auch die SRG mit neuen Werbeformen, die nicht überspult werden können. Die gebührenfinanzierte Anstalt hatte sich im Parlament dafür stark gemacht, das Replay-TV ganz zu verbieten. Damit hätte sie die Zuschauer fürs zeitversetzte Fernsehen auf ihre eigene Mediathek leiten können, wo sie auch Werbung einspielt.
Die Swisscom verlangt für das Überspringen der Werbeblöcke neu zusätzlich 6,90 Franken pro Monat, Sunrise 7,90 und die Sunrise-Billigmarke Yallo 7,95 Franken. Bei Quickline und beim TV-Streaming-Dienst Teleboy sind es monatlich 5 Franken zusätzlich, bei iWay 4,50 Franken.
Salt-Kunden müssen bereits seit Mai 2022 3,95 Franken pro Monat extra zahlen, um die Vorspulfunktion für Replay-TV und aufgezeichnete Sendungen zu behalten. Ohne Aufpreis reduziert sich die Replay-TV-Dauer bei Salt von 7 Tagen auf 30 Stunden. Andere Anbieter werden ihre Kunden bald ebenfalls über eine Preiserhöhung informieren.
Der Streaminganbieter Zattoo bietet im teuersten Abo weiterhin Replay-TV ohne Aufpreis an. Zattoo lasse die Preise für die eigenen Abos unverändert, teilte der TV-Anbieter am Donnerstag in einem Communiqué mit. Im teuersten Abo führt Zattoo eine Funktion zum Überspringen von TV-Werbung ein. Die monatliche Lizenzgebühr für die Nutzung von Replay-TV werde künftig von Zattoo übernommen und nicht an die Abonnenten weitergegeben, hiess es.
Kundinnen und Kunden, die ein Replay-TV-Abo mit Zwangswerbung wählen, sprich keinen Aufpreis zahlen wollen, werden künftig auf immer mehr TV-Sendern drei neue Werbeformen zu sehen bekommen.
Zunächst müssen die Zuschauer einen Werbespot von 5 bis 7 Sekunden zu Beginn des Replay-Programms über sich ergehen lassen, wie man es bereits von Video-Plattformen wie YouTube kennt. Wenn man zum Anfang einer bereits laufenden Sendung springt, kann es ebenfalls sein, dass ein kurzer Werbespot kommt.
Danach folgt eine statische Werbeeinblendung nach und während des Drückens der Pausentaste im Live- oder im Replay-Modus.
Und zuletzt kommt ein Werbeblock mit zwei bis drei Spots von maximal 130 Sekunden, der eingespielt wird, wenn die Zuschauer während des Replays den eigentlich viel längeren Werbeblock überspulen möchten.
Die konkrete Umsetzung der Replay-TV-Werbung liegt bei den TV-Verbreitern. Swisscom, Sunrise und Co. haben somit einen Spielraum für die Ausgestaltung ihrer künftigen Replay-TV-Angebote.
Wer keine Zwangswerbung will, muss künftig ein TV-Abo ohne Zwangswerbung wählen oder zum bestehenden Abo eine Option buchen, die es weiter erlaubt, die Werbung zu überspringen. Alternativ können TV-Nutzer vorerst auf öffentlich-rechtliche Sender ausweichen oder die Mediatheken der TV-Sender nutzen, die bislang oft keine Werbung haben.
Künftig können Kunden mit nur 30 Stunden Replay in ihrem TV-Abo während einer Replay-Sendung nicht mehr spulen, da in der neuen Branchenvereinbarung zwischen TV-Sendern und TV-Verbreitern ein entsprechender Abrechnungstarif nicht mehr angeboten wird.
Zwar wird Replay-TV für viele teurer, dafür muss man die Werbung nicht mehr von Hand überspulen, sondern kann mit einem Tastendruck punktgenau ans Ende des Werbeblocks springen. Und: «Es wird keine Anfangswerbung beim Start einer Replaysendung sowie keine Displaywerbung beim Drücken des Pausenknopfes angezeigt. Die Sendung startet exakt mit dem Anfang und das heute etwas mühsame Heranspulen entfällt komplett», erklärt Swisscom.
Kurz gesagt: Replay-TV wird ab Oktober etwas teurer, aber auch etwas benutzerfreundlicher.
«Der 4. Oktober 2022 ist ein schwarzer Tag in der Schweizer Fernsehgeschichte», kommentiert Telekomexperte Beyeler: «Ich gehe davon aus, dass viele Kunden von der Zwangswerbung so genervt sind, dass sie ihr TV-Abo kündigen werden. Insbesondere darf man im Jahr 2022 die Konkurrenz durch Streamingdienste und Mediatheken der TV-Sender nicht unterschätzen.»
Es sei ein Kompromiss, der mit sehr viel Kaltduschen zustande gekommen sei, sagt hingegen Simon Osterwalder, Geschäftsführer des Kabelnetzverbands Suissedigital. Die Kunden müssen eine Kröte schlucken, aber wenn man auf stur geschaltet hätte, hätten Gerichtsverfahren zum Replay-TV gedroht. Dann wären alle Argumente der juristischen Prozesse in Deutschland, Österreich oder Finnland auf den Tisch gekommen, die dort zu einem Verbot des Replay-TV geführt hatten.
Das hätte zu einem totalen Sieg für die Telekombranche führen können oder dazu, dass die Gerichte den Ball an die Politik, also an den Gesetzgeber, zurückgespielt hätten. Auch ein komplettes Verbot des Replay-TV in der Schweiz wäre möglich gewesen. Gerichtsverfahren seien langwierig und teuer sowie ein grosses Risiko, sagt Osterwalder.
Mit dem nun gefundenen Kompromiss bleibt das Replay-TV in der Schweiz erhalten, während im Ausland Sendungen im Nachhinein nur in der Mediathek des jeweiligen TV-Senders angeschaut werden können.
(oli/sda/awp)