Der Winterthurer Internet-Provider Init7 hat am Dienstag überraschend verkündet, dass die ungleich grössere UPC den seit Jahren funktionierenden Austausch von Traffic einseitig eingestellt hat. Normalerweise fliessen die Daten beim sogenannten Private Peering von Init7 direkt zur UPC und umgekehrt. Nun nehmen sie einen Umweg über die USA, selbst wenn sie nur für das Nachbardorf bestimmt sind.
Die beiden Streithähne machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Init7-Chef Fredy Künzler bezeichnet die Abschaltung als «einseitiger Akt der Aggression». Es geht wie immer um Geld und Macht.
Für die Kunden bedeutet die aktuelle Situation: Daten zwischen Kunden von UPC und Init7 werden nicht mehr direkt weitergeleitet, sondern übers Ausland umgeleitet, was zu einer höheren Latenz (Verzögerungszeit) führt. Für die Kunden macht sich dies in einer schlechteren Internet-Qualität spürbar, etwa bei Videoanrufen. Hat beispielsweise der Arbeitgeber einen Anschluss bei Init7 und ein Mitarbeiter bei UPC, sind VPN-Verbindungen potenziell beeinträchtigt.
In einer längeren Mitteilung schreibt Init7:
UPC habe im vollen Bewusstsein der Konsequenz «den Stecker gezogen». Die Konsequenz ist:
@init7 beschuldigt uns der einseitigen Abschaltung des Private Peerings, dabei sind einige Fakten unwahr. Seit letzter Woche routet Init7 seinen Datenverkehr via USA und GB zulasten unserer gemeinsamen Kunden. Hier die offizielle Stellungnahme : https://t.co/aunN63nXPr
— UPC Schweiz (@UPC_Switzerland) April 15, 2020
Die UPC hat also die langjährige Peering-Vereinbarung gekündigt, die den direkten Datenaustausch zwischen Init7 und UPC regelte. Die Begründung:
Künzler kontert: «Wenn die Bedürfnisse der eigenen Kunden bei UPC im Vordergrund stehen würden, hätte man sich nicht seit mindestes 7 Jahren nicht um den Upgrade der Kapazität gekümmert.»
Die Folgen des Peering-Streits müssen die Kunden ausbaden: Inbesondere die Qualität von Videocalls oder VPN-Verbindungen zwischen Kunden von UPC und Init7 dürfte leiden. In der aktuellen Homeoffice-Phase ist dies für die Betroffenen besonders ärgerlich.
Init7 schreibt hierzu auf Twitter: «Alle Latenz-kritischen und Bandbreite-intensiven Anwendungen zwischen Init7 und UPC sind jetzt praktisch unmöglich.»
Beim Peering stellen Internet-Provider, aber auch Inhalte-Anbieter wie Netflix oder Google, direkte Verbindungen zueinander her, um Daten ohne Umwege auszutauschen. Datenpakete werden günstig oder gar kostenlos ausgetauscht, damit für die Internet-Nutzer die Wartezeit bei einer Anfrage (Latenzzeit) gering bleibt. Hierzu werden Vereinbarungen getroffen, welche die Durchleitung von Daten aus anderen Netzen regeln.
Peering-Vereinbarungen zwischen Providern sind üblich. Sie erlauben ihnen für die Datenübertragung die Infrastruktur der anderen Anbieter zu nutzen, die sich am Peering beteiligen. Für die Kunden ergibt sich dadurch eine bessere Internet-Qualität, und natürlich profitieren auch die Provider selbst. Der Vorteil eines Peerings sei für beide Partner gleich, sagt Init7-Chef Künzler: «Höhere Kapazität und bessere Qualität bei tieferen Kosten.» Eigentlich eine Win-Win-Situation, doch nun liegt Ärger in der Luft. UPC will für das Peering Geld sehen, Init7 weigert sich.
In der Corona-Krise wächst der Internet-Traffic überdurchschnittlich schnell. Schon im März seien die Netze aufgrund der «Covid-19-Umstände» quasi vollgelaufen, was laut Init7 Übertragungsverluste nach sich zog. Init7 verlangte laut Eigenaussage einen Ausbau der Infrastruktur (Link-Upgrade). Ein Gespräch zwischen den beiden Providern am 2. April brachte offenbar keine Einigung. Man habe daher ab Anfang April «immer mehr Traffic umgeroutet, um den Übertragungsverlust zu eliminieren, allerdings mit der Konsequenz, dass der Traffic zwischen den jeweiligen Schweizer Kunden von Init7 und UPC teilweise via Wien und London geroutet wird.» Die folgende Grafik soll dies veranschaulichen.
Man habe den Traffic zu UPC notgedrungen teils übers Ausland umleiten müssen, da UPC nicht genügend Kapazität bereitgestellt habe, sagt Init7. Seit der einseitigen Abschaltung des Peerings seitens UPC dürfte sich die Internet-Qualität für die direkt Betroffenen, also auch bestimmte UPC-Kunden, nochmals massiv verschlechtert haben. Für Init7 ist dies zugleich ein Druckmittel, um das bisherige Peering zurückzuerhalten. Der kleine Provider hofft, dass der potenzielle Reputationsschaden für UPC den grösseren Mitbewerber zum Einlenken bewegen wird. «UPC macht uns das jetzt zum Vorwurf, gleichzeitig weigerten sie sich aber ein Upgrade der Kapazität vorzunehmen», sagt Künzler.
UPC sieht dies naturgemäss anders. Da Init7 die in den Peering Principles festgelegten Mindestschwellenwerte nicht erfülle, sei man «nicht in der Lage, mehr Kapazität bereitzustellen», teilt die Kabelnetzbetreiberin auf Anfrage mit.
Künzler entgegnet: «Wenn Init7 tatsächlich die Policy nicht erfüllt, weshalb waren dann die Peerings all die Jahre aktiv?»
Klar ist: UPC will das bisherige Peering nicht mehr und lässt wissen:
UPC verweist also auf die internationalen Peering-Vereinbarungen ihrer Muttergesellschaft Liberty Global, die die Kapazitätsprobleme beseitigen würden. Anscheinend möchte man in der Schweiz keine separaten Peering-Vereinbarungen betreiben. Init7 hingegen ist weiterhin nicht gewillt für Peering zu zahlen. Nun ist der Streit eskaliert. Schon wieder, muss man sagen, denn es gibt eine Vorgeschichte.
Ein ähnlicher Machtkampf zwischen den gleichen Kontrahenten tobte schon vor fast 15 Jahren. Ende 2006 schrieb die NZZ: «Das System der Schweizer Peering-Agreements wurde im Oktober erschüttert durch den Entscheid der Cablecom, unentgeltliche Peering-Agreements mit kleineren Schweizer Internet-Service-Providern (ISP) zu kündigen.» Init7 weigerte sich schon damals zu zahlen und besteht seitdem darauf, dass jeder Peering-Partner für seine eigenen Kosten aufkommt. 2006 gab Cablecom (die heutige UPC) erst nach mehreren Monaten nach und reaktivierte den direkten Datenaustausch nach heftigen Kundenreklamationen und negativer Presse.
Mit der Übernahme der damaligen Cablecom durch den Branchen-Giganten Liberty Global im Jahr 2005 habe sich die Situation zugespitzt, sagt Künzler. Die neue Konzernmutter wolle kleinere Provider dazu bringen, für Peering zu zahlen. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Geld, sondern um Macht, sagt der Init7-Chef. Die Peering-Vereinbarungen seien von Liberty Global «über die Jahre stets zu Ungunsten kleinerer Marktteilnehmer angepasst» worden, «während spezielle Bedingungen für Branchenriesen wie Google oder Netflix geschaffen wurden, um mit diesen nicht in einen vergleichbaren Konflikt zu geraten».
Mit Machtkämpfen mit weit grösseren Rivalen hat Künzler Erfahrung: 2012 sei man in der selben Situation mit Swisscom gewesen. «Doch statt zu zahlen, haben wir die Sache juristisch beurteilen lassen», sagt Künzler. Das Verfahren sei derzeit beim Bundesverwaltungsgericht hängig, «weil sich die Schweizerische Telekom-Regulationsbehörde ComCom bisher nicht dazu durchringen konnte, eine kostenorientierte Interkonnektion zu verfügen.» Der Init7-Gründer hofft nun auf die Wettbewerbskommission.
Und wie geht es für die Kunden von Init7 und UPC weiter? «Bis auf weiteres wird die Verbindung zwischen Init7 und UPC beeinträchtigt bleiben», sagt Künzler. Trotzdem biete er weiterhin Hand für eine konstruktive Lösung. Am Mittwochnachmittag habe er UPC eine E-Mail geschickt: «Macht die Peerings vorerst wieder an, dann machen wir ein anständiges Meeting zum Thema.»
upc und init7 streiten sich um die Peering mitten in der Corona Krise. Viele Kunden beider Firmen im Home Office betroffen. Von Zusammenarbeit trotz anderer Werbeversprechen keine Spur! Wo ist der Zusammenhalt geblieben? Bitte klärt das zusammen asap im Wohl der Kunden. Danke
— Fabian Köppel (@fabiankoeppel) April 15, 2020