Titel zu einem vermeintlich skandalösen T-Shirt-Verkauf durch «Linksextreme».Bild: watson
In der Pandemie zeigte Sputim mit einer irren Geschichte, wie die Fake-News-Verbreitung bei Telegram abläuft. Nun hat ihn der Fall Sanija Ameti zu einer neuen Satire-Aktion veranlasst.
20.09.2024, 09:2121.09.2024, 15:34
Er kämpft mit schwarzem Humor gegen «rechte Schwurbler und Rassisten» und hat sich darauf spezialisiert, Verschwörungsgläubige zu veräppeln.
Jetzt hat Sputim erneut zugeschlagen. Und erwischt hat es die «Weltwoche». Ziemlich unerwartet, wie der Urheber der «Abschalten»-Aktion erklärt.
Was ist passiert?
Die «Weltwoche» ist auf einen Sputim-«Prank» (Streich) hereingefallen. Der Schweizer Internet-Aktivist spricht in einem Blog-Beitrag von «Fake Rage Bait».
Rage Bait meint fragwürdige Online-Inhalte, die darauf abzielen, beim Publikum extreme Emotionen wie Wut, Empörung oder Frustration auszulösen.
Sputim schreibt auf seiner Website (sputim.ch), er habe die Aktion wegen des bei X und Telegram grassierenden Hasses gegen Sanija Ameti gestartet (dazu unten mehr).
Die von Sputim kreierte Fake-Webseite ist nur noch über das Internet-Archiv zugänglich, der vermeintliche Online-Shop war nie in Betrieb. Bild: watson
Sputim ist seit seiner «Lichtmacher»-Aktion im Pandemie-Sommer 2021 einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Unter diesem Pseudonym tritt der Mittdreissiger aus der Ostschweiz gegen die Verbreitung von Fake News und rechten Verschwörungserzählungen an.
Wie lief die Aktion ab?
Am 11. September setzt Sputim über sein X-Profil einen kaum beachteten Tweet ab, in dem er auf den Verkauf von «ABSCHALTEN Merchandise» hinweist.
Damit ist der Köder ausgelegt.
Screenshot: watson / quelle: x.com Der Tweet bezieht sich offensichtlich auf den Skandal um die grünliberale Politikerin Sanija Ameti.
Die Frau wurde massiv bedroht und musste unter Polizeischutz gestellt werden, nachdem sie bei Instagram Fotos veröffentlicht hatte, die sie beim Schiessen auf ein Marienbild (mit Baby-Jesus) zeigten.
Doch zurück zu Sputim.
Um den bei X ausgebrachten Köder attraktiver zu machen, täuscht er mithilfe von User-Kommentaren zum Tweet eine grosse Nachfrage vor.
Screenshot: x.com
Drei Tage später, am 14. September, nimmt Sputims Aktion beim Messenger-Dienst Telegram Fahrt auf. Und zwar in zwei öffentlich zugänglichen Kanälen, die regelmässig mit extremistischen Inhalten auffallen.
Die Telegram-Kanäle «Shipi» und «Attila der Kluge» reagieren auf die Sputim-Aktion.Bild: watson
Dann verbreitet der Zürcher SVP-Politiker und frühere Nationalrat Claudio Zanetti den vermeintlich skandalösen T-Shirt-Verkauf als Retweet weiter.
«Weltwoche»-Autor Philipp Gut wird offensichtlich getriggert und schluckt den ausgelegten Köder. In einem am 16. September auf weltwoche.ch veröffentlichten Beitrag kommentiert er:
«So richtig Freude an den Schüssen auf Jesus und Maria haben hingegen Linksextreme. Die Seite Sputim.ch, versehen mit dem Logo der Antifaschistischen Aktion, verkauft für 66,60 Franken (vermutlich eine Anspielung auf die Zahl des Antichristen, 666) T-Shirts mit den gelöcherten Gesichtern von Jesus und Maria.»
quelle: weltwoche.ch
Was den «Weltwoche»-Kolumnisten hätte misstrauisch machen sollen:
- Im Fake-Online-Shop lässt sich gar nichts bestellen. Alles ist angeblich «ausverkauft». Zudem gibt es weder einen Warenkorb noch ein Log-in.
- Die Webseite enthält viele Anspielungen und merkwürdige Formulierungen, die auf einen Fake schliessen lassen. In der Datenschutz-Erklärung steht zum Beispiel: «Ihre Daten sind bei uns sehr sicher aufgehoben. Wir schwören das, auf alles.»
- Im angeblichen Support-Bereich (FAQ) steht zu allfälligen Kunden-Reklamationen zu lesen: «Hast du statt deines Shirts ein paar Steine bekommen? (...) Das war höchstwahrscheinlich Majmun, unser geistig eingeschränkter Verpackungsmann.»
- Die Aktion hat gut erkennbar auf sputim.ch stattgefunden. Sputim sagt, die «Abschalten»-Webseite sei auch weiterhin im Internet Archive abrufbar.
Bei ihm sei keine Anfrage dazu eingegangen.
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«Abschalten»: Satire-Aktion von Sputim
Roger Köppels «Weltwoche» prangert im September 2024 einen T-Shirt-Verkauf an ...
quelle: keystone / peter klaunzer
Wie reagiert die «Weltwoche»?
Die «Weltwoche» wollte keine Stellungnahme abgeben.
Auf Nachfrage von watson wurde am Donnerstag dem Artikel ein weiterer Absatz hinzugefügt:
Anmerkung der Redaktion: Die Seite ‹sputim.ch› hat die T-Shirt-Kampagne im Nachhinein als ironischen Fake abgetan. Die Interpretation überlassen wir der Leserschaft.
quelle: weltwoche.ch
Was sagt der Urheber der Satire-Aktion?
Der Internet-Aktivist sagt, ohne Telegram wäre es wohl nie zu einer Berichterstattung gekommen; da sei er sich «zu 99,9 Prozent sicher».
«Geplant war es als Prank für die Telegram-Kanäle wie ‹Shipi› oder ‹Atilla der Kluge›, die auch tatsächlich darauf hereingefallen sind. Ich bin neben den sogenannten Mainstream-Medien, SRF/deren Mitarbeitern und linken Politikern, eine der meist verhassten Personen in der Schweizer Schwurbel-Community. Deshalb war ich mir sicher, dass es klappen wird.»
Sein Tweet sei zunächst kaum wahrgenommen worden und es habe vor der Erwähnung in den einschlägigen Telegram-Kanälen auch kein echtes «Engagement» auf der Social-Media-Plattform X gegeben.
Sputim kommentiert:
«Die ‹Weltwoche› liebt es, ihre Leser wütend zu machen. Das gibt Klicks, das gibt Engagement. Meine Aktion war da ein gefundenes Fressen.»
watson hat Sputim auch auf seine «Lichtmacher»-Aktion während der Corona-Pandemie angesprochen, als er die unkritische Verbreitung von Fake News in problematischen Telegram-Kanälen aufs Korn nahm.
Dazu schreibt er uns:
«Wenn ich zurückschaue, war ‹Lichtmacher› sehr ähnlich wie die momentane Aktion. Lichtmacher war nur für die eine Telegram-Gruppe gedacht, um zu sehen, ob die Admins die Geschichten, die sie teilen, überhaupt nachprüfen. Einige Tage später ist die Seite auf Telegram unerwartet sehr stark verbreitet worden, genauso wie ‹Abschalten›.»
Die Idee zu der «Abschalten»-Aktion gehe auf die «Schwarmintelligenz» der Sputim-Community zurück. Man tausche sich bei Discord aus.
Auf die Frage, was man aus dem aktuellen Fall lernen könne, antwortet Sputim:
«Wir müssen endlich mehr dafür tun, dass Medienkompetenz in den Schulen ein Kernthema wird. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass wir in 20 Jahren eine Gesellschaft voller ‹Weltwoche›-Konsumenten haben. Und das wird unserer Demokratie nicht guttun.»
Quellen
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