Gegen einen deutschen Universitäts-Professor, der seit Jahren mit Russland-freundlichen Positionen auffällt, werden relativ happige Vorwürfe erhoben.
Betroffen ist Johannes Varwick, 56-jähriger Politikwissenschaftler mit Lehrstuhl für Internationale Politik.
Der Auslöser: Auf der Social-Media-Plattform X rief er dazu auf, die Identität einer Kritikerin und Ukraine-Unterstützerin zu verraten. Ein solches Publizieren vertraulicher privater Informationen im Internet – ohne Zustimmung der Betroffenen – wird Doxing genannt.
Dieser Beitrag dreht sich um die Hintergründe des Falles. Und wir nehmen den Professor unter die Lupe, der sich lieber als Medienopfer inszeniert, statt kritische Fragen zum Ukraine-Krieg zu beantworten. Tatsächlich gibt es beunruhigende Parallelen zu Daniele Ganser.
Anmerkung: Dieser Beitrag ist als Analyse gekennzeichnet. Der Verfasser lässt persönliche Einschätzungen einfliessen und bewertet die vorliegenden Fakten.
Wer sich mit fragwürdigen Behauptungen exponiert, muss mit heftigem Widerspruch rechnen. Dies erlebt Johannes Varwick täglich auf seiner bevorzugten Social-Media-Plattform X. Dort twittert er seine Meinung zum Ukraine-Krieg – und löst Proteste aus.
Doch nun ist ein Streit eskaliert – und er könnte für den Professor unangenehme Folgen haben.
Professor Varwick als umstrittenen Sicherheitsexperten zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. Er ist wahrscheinlich einer der meist kritisierten Meinungsmacher bezüglich Ukraine-Krieg im deutschsprachigen Raum.
Und dies aus gutem Grund.
Der 56-Jährige unterrichtet nicht nur junge Menschen an einer Hochschule, er vertritt seine Thesen auch in deutschen TV-Talks und Medien-Interviews und referiert bei wichtigen staatlichen Institutionen.
Aktuelles Beispiel: Am Montag war er gemäss eigenen Angaben bei der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster eingeladen.
Das grundlegende Problem: Varwick, der an einem staatlichen Hochschulbetrieb angestellt ist, fällt seit Beginn der russischen Invasion im Frühjahr 2022 mit einer merkwürdig einseitigen Positionierung auf.
Der 56-jährige Politikwissenschaftler gehört zu der Sorte «Sicherheitsexperten», die auf der Seite des Aggressors stehen, dies jedoch immer vehement bestreiten. Und er instrumentalisiert die Ohnmacht, die viele Leute im sicheren Westen wegen Putins Krieg empfinden und sich nichts sehnlicher als Frieden wünschen.
Sicher ist: In Deutschland, der Schweiz und vielen weiteren demokratischen Ländern herrscht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass sich der völkerrechtswidrige Angriffskrieg für Russland nicht lohnen darf.
Doch Varwick vertritt eine andere Haltung. Er findet, die Ukraine sollte sich der Gewalt beugen und Teile ihres Staatsgebiets an den Aggressor abtreten.
Varwick ist gegen die anhaltende westliche Militärunterstützung für das Opfer, auch wenn er dies rhetorisch geschickt zu begründen weiss. Er meint, die Ukraine könne und dürfe nicht gegen Russland gewinnen. Denn sonst drohe der Konflikt zu eskalieren und es könnte gar zu einem Einsatz von Nuklearwaffen kommen.
Dies deckt sich eins zu eins mit der Kreml-Propaganda. Der russische Diktator Wladimir Putin selbst politisiert immer wieder mit «roten Linien», die sich im Nachhinein zwar als Angstmacherei herausstellen, die aber im Westen zu einer «Selbstabschreckung» führen.
Ausserdem ist Varwick Teil einer kleinen, aber lauten Minderheit, die fälschlicherweise behauptet, der Westen bemühe sich nicht ernsthaft um Friedensverhandlungen. Wohlgemerkt, dieses Narrativ wird von der russischen Propaganda seit Invasionsbeginn verbreitet.
Und damit zum aktuellen Fall ...
Zu den schärfsten und hartnäckigsten Kritikerinnen von Johannes Varwick auf der Social-Media-Plattform X gehört eine Userin, die sich Lena Berger nennt.
Sicher ist: Die Person, die das X-Profil betreibt, möchte ihre Identität nicht offenlegen. Sie knöpft sich bei X regelmässig Persönlichkeiten vor, die wir gemeinhin als Putin-Versteher bezeichnen würden. Argumentativ brillant deckt Lena Berger inhaltliche Widersprüche auf und prangert einsickernde Kreml-Propaganda an.
Es ist nachvollziehbar, dass stetig einprasselnde Kritik starke Gefühle auslöst bei der betroffenen Person. Doch Varwick reagiert äusserst merkwürdig.
Am 8. November veröffentlicht er bei X einen Post, in dem er andere User aufruft, die wahre Identität von «Lena Berger» auf der Plattform offenzulegen.
Zum einen lobt der Professor eine Belohnung aus, Kritiker sprechen von «Kopfgeld». Gleichzeitig bezweifelt er, dass es sich bei Lena Berger um eine reale Person handle. Und er raunt von einem «Intelligence-Millieu», also Geheimdienstkreisen, die dahinterstecken könnten.
In einem weiteren Tweet wiederholt er seine Vermutung, dass es sich um einen Fake-Account und eine gezielte Kampagne (gegen ihn) handeln könnte. Als möglichen Verdächtigen nennt er das Internet-Kollektiv NAFO. Diese seit Mai 2022 bekannte Gruppierung bekämpft russische Kriegspropaganda und Desinformation.
Lena Berger will sich das Verhalten von Varwick nicht bieten lassen. In einer Stellungnahme gegenüber watson befürchtet sie, man wolle sie mundtot machen.
Sie habe Strafanzeige gegen Varwick gestellt, hatte sie zuvor in einem Tweet verlauten lassen.
Die Social-Media-Plattform X ist unter Elon Musk in Verruf geraten. Weil sich dort wieder vermehrt Rassisten und Extremisten tummeln und mangels Moderation grosse Reichweite erzielen, sind viele seriöse Unternehmen mitsamt ihren Werbebudgets abgewandert.
Es gibt aber auch weiterhin Menschen, die sich bei X für die Ukraine einsetzen und gegen russische Propaganda und Desinformations-Kampagnen kämpfen. In diesen demokratiefreundlichen Online-Kreisen löste das Vorgehen von Johannes Varwick einen Shitstorm aus.
Unter dem Hashtag #IchBinLenaBerger bezogen Zehntausende User für die Betroffene Stellung. Darunter sind auch bekannte Namen, wie der deutsche Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) und die Politikwissenschaftlerin Claudia Major. Am vergangenen Wochenende landete der Hashtag zuoberst in den Trends.
In weiteren Tweets wurde begründet, warum Ukraine-Unterstützerinnen bei X anonym bleiben.
Auf der anderen Seite erhielt auch Varwick Zuspruch. Beispielsweise vom AfD-Politiker Maximilian Krah. Zur Erinnerung: Das hochrangige Mitglied der rechtspopulistischen Partei musste sich als Europawahl-Spitzenkandidat zurückziehen. Unter anderem ermittelte das FBI wegen Verbindungen zu prorussischen Aktivisten.
Erst kürzlich hat das US-Justizministerium im Zuge einer Anklage gegen zwei russische Progandisten auch interne russische Dokumente veröffentlicht, die belegen, wie der Kreml versucht, mithilfe der AfD und weiteren zwielichtigen Akteuren die öffentliche Meinung zu manipulieren und den westlichen Demokratien zu schaden.
Und hier schliesst sich der Kreis: Lena Berger hat sich bei X wiederholt und intensiv mit russischen Desinformations-Kampagnen auseinandergesetzt. Sie wies in einem Posting auf deutschsprachige Medien hin, die vom Verfassungsschutz in Bayern in Zusammenhang mit der Verbreitung von russischen Narrativen genannt wurden. Darunter sind mehrere Titel, die Johannes Varwick öfter zu Wort kommen lassen.
Update: Eine frühere Artikel-Version enthielt einen Screenshot zu einem missverständlichen Bericht des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz.
Varwick habe seit Beginn der Invasion in der Ukraine zehn Artikel im «Freitag» veröffentlicht, in denen er unter anderem forderte, den Krieg einzufrieren, so Berger.
In diesem Frühjahr hat der Professor aber auch der «Weltwoche» ein längeres Video-Interview gegeben. Und darin erneut von einem «kriegstreiberischen Kurs» fabuliert, den die Ukraine-Unterstützer verfolgten.
Seine Russland-freundlichen Äusserungen und der aktuelle Vorfall bei X werfen viele Fragen auf ...
watson hat Professor Varwick einen Fragenkatalog zum Fall und zu seinen (aus Sicht des Redaktors) problematischen Äusserungen zum Ukraine-Krieg geschickt. Statt diese Medienanfrage per E-Mail zu beantworten, veröffentlichte Varwick bei X einen ungenügend anonymisierten Screenshot und liess sich darüber aus.
Zunächst ist zu berichtigen, dass es keine Interviewanfrage war. Vielmehr sollte sich Varwick so zu seinem problematischen X-Posting äussern können. Und er sollte die Gelegenheit erhalten, seine oft kritisierte Haltung bezüglich Ukraine-Krieg zu begründen.
Damit sich die watson-User ein eigenes Bild von der Medienanfrage machen können, geben wir im Folgen die Fragen an den Professor im Wortlaut wieder:
Anzumerken ist, dass Professor Varwick auf die Medienanfrage des watson-Redaktors zunächst reagiert hatte. In seiner Antwort-Mail ging er nicht auf die Fragen ein, sondern wollte nur die «Konditionen» herausfinden, um seine «Position» in einem Artikel zu erläutern.
Auf ein weiteres E-Mail von watson, in dem wir den Professor baten, die konkreten Fragen zu beantworten, reagierte er nicht. Stattdessen liess er sich bei X aus.
Ob das Gebaren von Professor Varwick, sein Aufruf, die Identität einer Person bei X offenzulegen, mit der verantwortungsvollen Aufgabe als Hochschuldozent zu vereinbaren ist? Und wie steht es um den befürchteten Reputationsschaden für das Bildungsinstitut?
Eine Medienanfrage von watson an die Presseabteilung der Universität Halle zuhanden der Universitätsleitung ist bislang unbeantwortet geblieben.
Auf ihrer Website begrüsst die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Besucherinnen und Besucher unter anderem mit folgenden Worten:
Was auffällt, sind die Parallelen zum umstrittenen Schweizer Historiker Daniele Ganser. Dieser mutierte von einem angesehenen, in die wissenschaftliche Community integrierten Forscher zum Verschwörungserzähler und Star der deutschsprachigen Esoterik-Szene.
Wie Ganser hat sich Varwick intensiv mit dem Verteidigungsbündnis NATO befasst und mehrere Bücher dazu geschrieben. Doch irgendwo bogen sie falsch ab und wurden zu Geisterfahrern. Sie stellen nun das transatlantische Staatenbündnis als Problem für die internationale Sicherheit dar, statt ihre Kritik vorrangig gegen jene gefährlichen Autokratien und Diktaturen zu richten, die die Weltordnung mit Gewalt kippen wollen.
Beiden gemeinsam ist, dass sie die imperialistischen Bestrebungen des Kremls unter Wladimir Putin relativieren, dem alleinigen Aggressor im Ukraine-Krieg den Rücken stärken und den Antiamerikanismus befeuern. Das demokratiefeindliche Gebaren Chinas, den wichtigsten Unterstützerstaat Russlands, blenden sie aus.
Und beide haben ihr ursprüngliches Forschungsgebiet, die NATO, als Bösewicht ausgemacht. Er sei kein Fundamentalkritiker, behauptet Varwick in einem Gespräch mit der «Weltwoche» im April dieses Jahres. Und dann fügt der Professor an, er könne ihr 75-Jahr-Jubiläum nicht feiern. Denn: Die NATO sei eher ein Problem für die internationale Sicherheit. Und überhaupt gebe sie «sehr viel mehr Geld für Rüstung aus als Russland» ...
Bei Ganser erfolgte die Zäsur im Jahr 2005. Da verbreitete er öffentlich Verschwörungstheorien zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und stellte sie als gleichrangige, von Historikern und anderen Wissenschaftlern zu prüfende Erklärungsansätze dar.
Gansers eigene Radikalisierung führte zur Beendigung seiner Hochschultätigkeiten, er wollte auch nicht mehr auf Medienfragen reagieren, wie der Schreibende aus eigener Erfahrung weiss. Dafür fand er mit bezahlten Vorträgen, Büchern und Videos, die die NATO verteufelten, ein Einkommen. Als die Corona-Pandemie viele Menschen verunsicherte, entpuppte sich das Feindbild Staat als lukratives Geschäftsmodell.
Bei Varwick ist dieses Abdriften in gesellschaftliche Kreise, die sich dem öffentlichen Diskurs entziehen, bislang nicht zu beobachten. Noch im April gab sich der Politikwissenschaftler angriffig und selbstsicher. In dem Gespräch mit der «Weltwoche» sagte er, er sei als Professor von niemandem abhängig. Und er bezeichnete sich als «Lebens-Beamter», der keinen Mut brauche, um seine Meinung zu äussern.
Wie ein Medienwissenschaftler analysierte, bedienen Daniele Gansers Thesen beim Publikum eine «Anti-Establishment-Sicht» und «das Misstrauen gegen die Eliten».
Dazu gehört, sich über die angeblich gleichgeschaltete Öffentlichkeit und Mehrheitsmeinung zu beklagen. Varwick bläst inzwischen ins gleiche Horn: Er behauptet, der Meinungskorridor werde immer enger. Und er stellt sich – wie Ganser – als Opfer der Medien dar.
Varwick bezeichnet sich als «kühler und nüchterner Analytiker». Und nimmt gerne die Opferrolle ein. Nach der russischen Invasion im Frühjahr 2022 sei er zur «Persona non grata» geworden, beklagt er. Und verdrängt offenbar komplett, dass er trotz seiner von vielen Fachkolleginnen und Fachkollegen kritisierten Einschätzungen in deutsche Talk-Shows eingeladen wurde. So etwa im Februar 2023, als er bei «Markus Lanz» im ZDF war.
Bei Ganser sahen Fachleute ein suggestives Herausstellen einzelner Aspekte für eine «politische Mission, keine wissenschaftliche Herangehensweise». Dies ist auch bei Varwick zu beobachten. Er betont die immer gleichen Punkte und weicht kritischen Fragen, die sich auf Widersprüche in seiner Argumentation beziehen, aus.
Es ist ein sich wiederholendes Muster. 2023 debattierte Varwick mit den Politologie-Professoren Carlo Masala und Nicole Deitelhoff anlässlich einer Frankfurter Veranstaltungsreihe namens «Streitclub». Ausgehend von Varwicks Annahme, dass Waffenlieferungen gefährlich für Europa seien, fragt Deitelhoff ihn, ob er bereit sei, «die Ukraine für Europas Sicherheit zu opfern».
Eine direkte Antwort habe Varwick vermieden, wurde in einem Bericht von «n-tv» konstatiert. Er habe erwidert, dass der Konflikt eingefroren werden müsse.
Als ihn Masala daraufhin mit dem Argument konfrontierte, dass Putin «eine neoimperiale Expansion» verfolge, habe Varwick eingeräumt: «Wenn das Ziel Russlands wäre, die Staatlichkeit der Ukraine zu vernichten, dann hätten wir ein Desaster». Dann wäre ein Einfrieren tatsächlich unmöglich. Aber er sehe das nicht, gab sich der Professor uneinsichtig. Und n-tv.de hielt fest:
Ist es sinnvoll, sich bei X gegen pro-russische Propaganda zu stemmen? Warum tut der Staat nicht mehr? Und wie beurteilst du das Verhalten des Professors?
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Für einen solchen "Professor" müsste der Rektor jedoch aktiv werden und einschreiten.