Das neue Digitalgesetz der EU treibt selbst hartgesottenen Tech-Bossen die Schweissperlen auf die Stirn. Als proaktives Kartellrecht soll der Digital Markets Act (DMA) verhindern, dass eine Handvoll besonders mächtiger Tech-Konzerne in Europa nach Belieben schalten und walten können und aufkommende Konkurrenz im Keim ersticken. Bis zu 20 Prozent des weltweiten Konzern-Jahresumsatzes können fällig werden, wenn ein Techgigant wiederholt gegen das Digital-Kartellrecht verstösst. Im Extremfall droht die Zerschlagung.
Microsoft, Google und der Facebook-Konzern Meta haben die verschärften Spielregeln der EU zähneknirschend akzeptiert. Ein Unternehmen legt sich quer. Apple. Der iPhone-Konzern machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass man keine Lust hat, die DMA-Vorgaben im Sinne des Erfinders umzusetzen. Die EU will insbesondere Apples lukratives App-Store- und Bezahldienst-Monopol auf iPhones beenden.
Die von der EU geforderte Öffnung des Betriebssystems birgt nebst Chancen naturgemäss auch Risiken. Es gehe daher darum, die iPhone-User vor den Auswirkungen des Digital Markets Act auf ihre Sicherheit und Privatsphäre zu schützen, liess Apple geschickt verlauten. Apples Software-Chef bezeichnete die Installation von Apps ausserhalb des Apple App Store gar als den «besten Freund der Cyberkriminellen». Das ist Unfug, soll aber iPhone-User verunsichern und davon abhalten, zu potenziell günstigeren App-Stores abzuwandern.
Bei Apples Einschüchterungs-Taktik handelt sich um eine gängige PR-Masche von Unternehmen, die am Pranger stehen: die Konsumenten gegen den angeblich bösen Regulator aufwiegeln. Beschwert euch bei der EU, die euer iPhone unsicher machen will, liebe Userinnen und User.
Immer mehr User durchschauen das Spiel. Opfer von betrügerischen Apps kann man bekanntlich auch in Apples App Store werden.
Zuvor hatten Apples Lobbyisten den EU-Politikern in Brüssel jahrelang die höchst zweifelhafte Botschaft eingetrichtert, abgeschottete Produkte seien sicherer als offene Produkte. Eine Argumentation, der unabhängige IT-Sicherheitsexperten genauso lange widersprechen: Weder neue App-Stores, alternative Bezahl-Apps oder die freie Browserwahl machen das iPhone unsicher. Das sind allesamt berechtigte Forderungen von Softwareentwicklern und Konsumentenschutzorganisationen, die bei anderen Betriebssystemen seit jeher selbstverständlich sind und für Wettbewerb sorgen – ohne dass die Sicherheit der User geopfert wird.
Bei sämtlichen Vorgaben der EU schob Apple Sicherheitsbedenken vor, die eine Umsetzung angeblich verhindern würden. All diese Bedenken lösen sich bei genauer Betrachtung in Luft auf. Die über viele Jahre erfolgreiche Hinhaltetaktik sollte nicht die Konsumenten, sie sollte Apples sprudelnde Gewinne schützen.
Statt sich dem Wettbewerb zu stellen, investiert Apple Unsummen in Lobbyarbeit, um sich den EU-Regeln zu entziehen. Den EU-Kartellwächtern ist der Geduldsfaden gerissen. Einige EU-Verordnungen lesen sich so, als seien sie spezifisch für Apple verfasst worden. Apple reagierte darauf mit einer Fülle an neuen Auflagen und Gebühren für Software-Entwickler und konkurrierende App-Store-Anbieter, die verhindern sollen, dass überhaupt jemand auf die Idee kommt, die neuen Freiheiten zu nutzen.
Fakt ist: Auch das ab iOS 17.4 in den EU-Ländern offenere iPhone bleibt höchst abgesichert und Apple behält grossteils die Kontrolle.
Dass ausgerechnet Apple die neue EU-Verordnung mit allerlei Kniffs und Tricks aushebelt, erstaunt nicht sonderlich. Kein anderer Konzern schottet seine Produkte stärker vor Konkurrenz ab, kein anderer «Torwächter» musste ähnlich weitgehende Anpassungen vornehmen, kein anderes Unternehmen hat mehr zu verlieren.
Abgeschossen hat Apple den Vogel, als es unter den Augen der EU-Wächter versuchte, den gegen horrende App-Store-Gebühren rebellierenden Spiele-Entwickler Epic Games kalt zu stellen. Eine scharfe Warnung der EU später krebste Apple zurück, plötzlich darf Epic doch einen eigenen App-Store für Mobile-Games wie «Fortnite» für iOS entwickeln. EU-Kommissar Thierry Breton stellte klar, dass es in der EU keinen Platz für Drohungen mächtiger Plattform-Betreiber gegenüber App-Entwicklern gebe.
Die EU wird nun noch genauer hinschauen, ob und wie Apple die DMA-Vorgaben einhält. Breton hatte bereits zuvor eine öffentliche Warnung an Apple ausgesprochen. Sollte man zu dem Schluss kommen, dass der iPhone-Hersteller den DMA nicht einhält, wie dies Unternehmen wie Mozilla, Spotify oder Threema beklagen, werde man «harte Massnahmen» ergreifen. Die EU kann den DMA jederzeit nachschärfen.
Die Drohung zeigte Wirkung. Am Dienstag verkündete Apple, dass zumindest gewisse grosse Software-Firmen ihre Apps künftig über ihre eigene Webseite vertreiben dürfen. Doch Apple wäre nicht Apple, würde man nicht wie bereits bei den alternativen App-Stores hohe Hürden einbauen, sodass die Kritik kaum verstummen dürfte. Wer eine App über seine Webseite verkaufen möchte, muss etwa eine iOS-App veröffentlicht haben, die mehr als eine Million Erstinstallationen in der EU hatte und darüber hinaus neue Gebühren an Apple abliefern.
Apple versucht erneut die Regeln selbst zu schreiben und die EU-Vorgaben so mühsam umzusetzen, dass sie in der Praxis möglichst wenig Wirkung entfalten. Gleichzeitig warnt der Konzern die Nutzer einmal mehr vor den Risiken des freien Webs.
Dass die Installation von Apps übers Web sicher funktioniert, zeigt sich bei Apples Betriebssystem macOS. Auch bei App-Installationen aus dem Web kann Apple jederzeit das entsprechende Entwickler-Zertifikat widerrufen, sollte sich eine App als bösartig herausstellen. Die fragliche App lässt sich danach nicht mehr öffnen oder installieren.
iOS wird also offener denn je, zugleich bleiben Sicherheitsfunktionen des Betriebssystems bestehen – und Apple behält weitreichende Kontrollen.
Mit seiner Obstruktionspolitik bringt Apple Konsumentenschützer, Software-Entwickler und die Wettbewerbshüter der EU gegen sich auf. Apple nimmt den drohenden Image-Verlust in Kauf. Wohl zu Recht ist man sicher, dass die Kunden nicht davonlaufen. Wer bislang kein Problem mit Apples goldenem Käfig hatte, wird es auch jetzt nicht haben.
Allerdings verfolgen die Wettbewerbshüter in den USA und Asien mit Adleraugen, wie sich Apple in der EU verhält und sie werden ihre Lehren daraus ziehen, wenn sie ebenfalls die Regulierungs-Schraube anziehen. Apple gebärdet sich derweil, als hätte der politische Wind gegen Tech-Giganten nicht längst gedreht. Anstatt die neue Realität zu akzeptieren, verhält sich Apple wie ein täubelndes Kind, das nicht gelernt hat, dass es Spielregeln gibt, die für alle gelten. Selbst für den mächtigen Apple-Konzern.
Bei Apple kam man stattdessen zum Schluss, dass es clever wäre, die offenbar nicht hieb- und stichfesten EU-Regeln mit allerlei Finten auszutricksen. Hierzu eine letzte Episode im Zwist mit der EU: Apple möchte, dass alles über den eigenen App Store bezogen wird, um bei jeder Transaktion mitzuverdienen. Das freie Internet ist gewissermassen ein Störfaktor, der als Gefahr gebrandmarkt wird. Dazu passt ins Bild, dass Apple kurz vor der erzwungenen Öffnung des iPhones sogenannte «Progressive Web Apps» auf dem Home-Screen still und leise deaktivierte.
Web-Apps, die unabhängig vom App Store funktionieren, sind Apple seit Jahren ein Dorn im Auge. Erneut wurden Sicherheitsargumente vorgeschoben. Man könne Web-Apps nicht mehr unterstützen, weil durch die Zulassung anderer Browser-Engines – auch dies eine Vorgabe der EU – neue Sicherheitsrisiken entstehen würden. Eine scharfe Drohung der EU später ruderte Apple zurück. Web-Apps laufen aber weiterhin nur in Apples eigener Browser-Engine. Dass diese sicherer sein soll als die Browser-Technologie von Google oder Mozilla, darf bezweifelt werden.
Progressive Web Apps sind Internetseiten, die sich auf dem iPhone wie eine native App präsentieren. Trotz der stiefmütterlichen Behandlung nutzte Apple Web-Apps jahrelang als Feigenblatt für seine Argumentation, App-Entwickler seien nicht vom App Store abhängig. Es gäbe kein iOS-App-Store-Monopol, wer wolle, könne eine Web-App anbieten. Dabei weiss Apple nur zu gut, dass die allerwenigsten User Web-Apps nutzen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Apple verspielt viel Goodwill für einen kurzfristigen Sieg und das könnte sich noch rächen.
Nur ein vereintes Europa ist in der Lage, sich gegen Konzerngiganten und mächtige Staaten aufzulehnen.
Kein Wunder ist die EU in den Kreisen der Rechtspopulisten verpönnt.