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Proton Schweiz: Chef Andy Yen zum Ausbau der staatlichen Überwachung

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Der Bundesrat will den Überwachungsstaat ausbauen – und stösst auf massive Kritik.Bild: KEYSTONE
Interview

Proton-Chef: «Diese Entscheidung ist wirtschaftlicher Selbstmord für die Schweiz»

Andy Yen leitet den sicheren E-Mail-Dienst Proton, eines der heissesten Start-ups der Schweizer Tech-Branche. Doch der Unternehmer ist wütend über den geplanten Ausbau der staatlichen Überwachung und schliesst den Wegzug ins Ausland nicht aus.
09.04.2025, 20:44
Sven Papaux / watson.ch/fr
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Der Bundesrat plant eine Revision des Überwachungsgesetzes. Und das kommt in den Korridoren mehrerer Unternehmen, die bei der Datenverschlüsselung führend sind, nicht gut an. Dies gilt für das helvetische Start-up Proton, einen Anbieter von Messaging-Diensten.

Bisher galten Threema, das verschlüsselte Schweizer WhatsApp, und Proton Mail als «Anbieterinnen von abgeleiteten Kommunikationsdiensten» (AAKD). Diese Bezeichnung ermöglichte es ihnen, gewisse Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit den Behörden zu umgehen.

Zur Erinnerung: Das Bundesgericht hat Threema und Proton 2021 vom Zwang befreit, mit den Behörden in Überwachungsfragen zu kooperieren.

Seit 2024 will der Staat jedoch hart durchgreifen und die gesetzliche Barriere beseitigen, die lange genug bestehe, so die Schweizer Behörden. Proton, ein Unternehmen mit Sitz in Genf, ist damit nicht einverstanden. Dessen Chef, Andy Yen, ist sehr verärgert.

Das Interview

Andy Yen, Sie liegen erneut im Konflikt mit den Schweizer Behörden, nachdem Sie Ihren Fall 2021 vor dem Bundesgericht gewonnen haben.
Der Dienst zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF) hat drei Verfahren verloren, darunter das gegen Proton im Jahr 2021. Ich bin daher der Ansicht, dass der Gesetzgeber seine Absicht deutlich gemacht hat, indem er zwischen grossen (Anm. d. Red.: mehr als 500 Unternehmen, darunter die «Big 3 S», Swisscom, Salt und Sunrise ) und kleinen Unternehmen unterschied. Auch die Gerichte haben die Rechtmässigkeit dieser Trennung sehr klar bejaht.

Was du wissen musst
In der Schweiz sollen zusätzliche staatliche Überwachungsmassnahmen quasi durch die Hintertür eingeführt werden, auf dem Verordnungsweg.

Strafverfolgungsbehörden und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dürfen zur Aufklärung schwerer Straftaten die Überwachung der digitalen Kommunikation von mutmasslichen Tätern anordnen. Für die Durchführung der Überwachungs-Massnahmen ist eine Bundesbehörde zuständig, der sogenannte Dienst ÜPF (Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr). Nun will der Bundesrat dessen Kompetenzen zur Überwachung ausweiten. Am 29. Januar hat er dazu die Vernehmlassung zu einer Teilrevision zweier Ausführungserlasse (VÜPF, VD-ÜPF) eröffnet. Noch bis am 6. Mai können sich betroffene Unternehmen, aber auch Privatpersonen zum Vorhaben äussern.

Bekannte Schweizer Techfirmen wie Threema und Proton lehnen die neuen Vorschriften kategorisch ab. Diese würden sie zu einer 6-monatigen Speicherung und Herausgabe von Nutzerdaten zwingen. Ausserdem müssten sie einen Pikettdienst betreiben, der rund um die Uhr für den Dienst ÜPF erreichbar wäre.

Der Threema-Chef Robin Simon warnte in einem «Tages-Anzeiger»-Interview vor der Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und kündigte an, wenn nötig eine Volksinitiative zu lancieren. (dsc)
«Dieses Vorhaben ist in der Tat ein Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit.»
Andy Yen

Wie wird sich die geplante Teilrevision auf ein Unternehmen wie Proton auswirken?
Es müssen drei Probleme unterschieden werden. Erstens: Durch die Ausweitung des Geltungsbereichs auf eine grössere Zahl von Unternehmen als dies bisher für einige wenige Telekommunikationsriesen der Fall war, kommt es tatsächlich zu einer massiven Ausweitung des Schweizer Überwachungsstaates.

Andy Yen (35) ist Gründer und Geschäftsführer der Firma Proton mit Sitz in Genf.
Andy Yen (35) ist Gründer und Geschäftsführer der Firma Proton mit Sitz in Genf.Screenshot: YouTube

Und diese Ausweitung der Überwachung geht nicht?
Es gibt viele Fälle von Missbrauch, falscher Anwendung und Betrug. Behördenvertreter sagen, dass bestimmte Dinge nicht passieren dürfen, aber am Ende passiert es trotzdem, weil diese Befugnisse missbraucht werden. Und das stellen wir bei Proton fest.

Können Sie Beispiele nennen?
Es gibt Fälle, in denen wir Anfragen zur Überwachung von Klimaaktivisten in Frankreich gesehen haben, wir haben Situationen gesehen, in denen katalanische Unabhängigkeitsbefürworter ungerechtfertigt ins Visier genommen wurden. Ich habe viele, viele andere Beispiele, die noch nicht öffentlich sind, für eine unangemessene Zielgruppenansprache durch den Dienst ÜPF, der keine Überprüfung vornimmt.

«Sie machen ihre Arbeit nicht richtig.»

Und was ist das zweite Problem?
Das zweite Problem ist die Wettbewerbsfähigkeit. Wir befinden uns in einer Wirtschaft, in der der Wettbewerb sehr stark ist, und wir müssen das bestmögliche Umfeld haben. Diese Ausweitung der Überwachung wird Datenspeicherungs-Pflichten auferlegen, die eigentlich viel schlimmer sind als die der EU. In Deutschland wäre es zum Beispiel unmöglich, das auf Start-ups anzuwenden.

Die Schweiz ist kein guter Ort für Tech-Start-ups?
Das helvetische Ökosystem für Start-ups ist heute wettbewerbsfähiger als Deutschland, wettbewerbsfähiger als die EU, wettbewerbsfähiger sogar als die USA. Aber mit dieser Vernehmlassung machen wir es viel weniger attraktiv, indem wir kleinen Unternehmen, die nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, massive Pflichten und Belastungen auferlegen.

«In den Vereinigten Staaten würde Proton keiner dieser Verpflichtungen unterliegen.»

Kommen wir zurück zum dritten und letzten Problem.
Mindestens zwei Unternehmen, Proton und Threema, werden davon besonders hart getroffen, aber auch andere Firmen werden erkennen, dass dies starke Auswirkungen auf sie haben wird. Wenn ich die Systeme, die Swisscom heute hat, aufbauen müsste, um die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, würde mich das Millionen von Schweizer Franken kosten. Und es geht nicht nur um die Kosten, sondern auch um die Verzögerung.

Sie sprechen von einer Produktionsverzögerung?
Anstatt Funktionen zu entwickeln, die der wachsenden Nachfrage europäischer und schweizerischer Unternehmen gerecht werden, werde ich wertvolle Ressourcen verschwenden müssen, um dieses Gesetz einzuhalten, das, offen gesagt, illegal ist.

Es ist also unvorstellbar, dass Proton einen Kompromiss mit dem Dienst ÜPF findet?
Was ich Ihnen heute sagen kann, und ich sage das gerne öffentlich, ist, dass Proton dieser Ausweitung seiner Verpflichtungen auf keinen Fall nachkommen wird.

Wollen Sie damit andeuten, dass Proton die Schweiz verlassen könnte?
Wenn sie eine Situation schaffen, in der wir in der Schweiz keine ordnungsgemässen Geschäfte mehr tätigen können, werden wir das Unternehmen aus der Schweiz verlegen. Würde Proton das Land verlassen, wäre dies ein sehr schlechtes Signal für das gesamte Ökosystem.

Haben Sie sich schon mit Threema darüber ausgetauscht?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wir führen Gespräche mit vielen, vielen verschiedenen Akteuren, vor allem in dieser unsicheren Phase.

«Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass wir nicht das einzige Unternehmen sein werden, das geht.»

Es werden mehrere Unternehmen folgen und ich habe bereits mit einigen CEOs und Gründern gesprochen. Meiner Meinung nach ist dies wirtschaftlicher Selbstmord für das Land.

Wenn man Sie hört, ist das ein echter Verlust für die Schweiz, der sich abzeichnet.
Sollten wir zu diesem Ergebnis kommen, wäre dies aus zwei Gründen ein wirklich schlechtes Szenario für die Schweiz.

Lassen Sie hören.
Erstens ist das Schweizer Ökosystem nicht förderlich für Start-ups und Scale-ups (Red: ein Begriff, der junge Unternehmen bezeichnet, die bereits aus dem Status eines Start-ups herausgewachsen sind). Zweitens denke ich auch, dass die Schweiz heute einen grossen Teil ihrer Industrie und einen grossen Teil ihrer Wirtschaft auf dem Schutz der Privatsphäre aufbaut. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht einen guten Ruf und Proton arbeitet daran.

Und der zweite Faktor, den die Behörden vernachlässigen und der dem Image des Landes schaden könnte?
Ich denke, dass dieser Ruf wahrscheinlich weitgehend zerstört wäre, wenn Proton das Land verlassen müsste. Ausserdem, und das ist vielleicht die grösste Ironie, wenn Sie mit Leuten über das BÜPF sprechen, sagen sie Ihnen vielleicht, dass sie es für die Strafverfolgungsbehörden brauchen. Sie werden die üblichen Argumente vorbringen, die ich ehrlich gesagt für dumm halte.

«Heute schiessen sie uns ins Knie, aber sie schiessen sich selbst in den Kopf.»

Haben Sie sich kürzlich mit den Verantwortlichen des Überwachungsdienstes ausgetauscht?
Wir haben sie um ein Treffen gebeten. Wir hoffen daher, dass sie mit uns diskutieren werden.

Befürchten Sie, dass der Dienst ÜPF sich weigert, mit Ihnen zu sprechen?
Wenn Sie mit der Bundespolizei (Fedpol) sprechen, werden Sie erfahren, dass wir ein Unternehmen sind, das selbstverständlich Kriminalität bekämpft und keine illegalen Aktivitäten vertuscht. Ich bin daher der Meinung, dass der Dienst ÜPF keinen Wert hat. Er ist nur eine Verschwendung von Steuergeldern.

Vielleicht ist der Grund dafür finanzieller Natur?
Ich glaube, die Leute, die diesen Vorschlag gemacht haben, verstehen nicht, wie Startups funktionieren. Sie verstehen nicht, wie Wettbewerb funktioniert.

«Sie sind Bürokraten, die ihr ganzes Leben in der Verwaltung verbracht haben und noch nie ein Unternehmen geführt haben.»

Das sind Leute, die nichts von Wirtschaft verstehen, die nichts vom Wettbewerb verstehen, und trotzdem schlagen sie Dinge vor, die dramatische Konsequenzen für die gesamte Wirtschaftsstruktur haben.

In einem Artikel in Le Temps haben Sie die Verhaftung von Pavel Durov, dem Gründer von Telegram, kritisiert. Sie sprachen von «einem wirtschaftlichen Selbstmord für Frankreich». Ist das Problem, mit dem Sie konfrontiert sind, ähnlich?
Ja, es ist ähnlich. Und ich füge hinzu: Wenn ihr Ziel tatsächlich darin besteht, den Schweizer Behörden zu mehr Informationen zu verhelfen, ist dies völlig kontraproduktiv. Und die Einzigen, die tatsächlich davon profitieren, sind die Überwachungs-Dienste, die dann ihr Budget und ihr Personal rechtfertigen können, was, wie ich sagte, eine Verschwendung von Steuergeldern ist.

Sind die Behörden angesichts der verschiedenen Hybridkriege, die überall auf der Welt geführt werden, besorgt über Techunternehmen?
Wenn Sie in diesen Situationen Angst vor hybrider Kriegsführung haben, sollten Sie Cybersicherheitsunternehmen wie Proton nicht angreifen. Sie kaufen die Werkzeuge, um für Schutz zu sorgen, richtig?

Das ist absolut richtig.
Einige Bereiche der Bundesverwaltung sind Kunden von Proton und nutzen unsere Dienste, um sich vor Angriffen aus dem Ausland zu schützen. Die Schweizer Armee und Polizei nutzen Threema zum Schutz. Die Schweizer Behörden wollen neue Vorschriften erlassen, die Threema zum Verlassen des Landes zwingen würden.

«Es ist eine Idiokratie.»

Was erwarten Sie von ihnen?
Ich hoffe, dass es sich dabei nur um ein paar fehlgeleitete Bürokraten des Dienst ÜPF handelt, die aufwachen und merken, dass sie einen grossen Fehler machen. Denn heute sind sie nichts anderes als ein Vermittler, der die Kommunikation zwischen Proton und den anderen Schweizer Behörden verlangsamt.

Die Antwort des Dienst ÜPF
Auf Anfrage relativiert der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF und erklärt, dass es sich bei der vorliegenden Revision um eine Durchführungsverordnung und nicht um ein Gesetz handele. Dieser Änderungsantrag, der Proton missfällt, «zielt einerseits darauf ab, die Pflichten der zur Zusammenarbeit Verpflichteten klarzustellen und andererseits drei Arten von Informationen und zwei Arten der Überwachung einzuführen», erklärt Jean-Louis Biberstein, stellvertretender Leiter des Dienst ÜPF.

Die Einführung dieser neuen Massnahmen ziele darauf ab, bestimmte Informationen zu standardisieren und eine rückwirkende Überwachung im Hinblick auf die Identifizierung der Benutzer zu ermöglichen.

Jean-Louis Biberstein betont, dass jede Überwachungsmassnahme von einem Zwangsmassnahmengericht validiert werden müsse. «Eine solche Massnahme betrifft nicht die Allgemeinheit, sondern ausschliesslich die mutmasslichen Täter von Straftaten.»

Quellen

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130 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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IdiocracyIsOnTheWay
09.04.2025 23:06registriert März 2025
Der ÜPF Kollege hat scheinbar keine Ahnung was er spricht. Rückwirkende Überwachung betrifft keinesfalls nur die Kriminellen. Heute kann man nicht wissen wer morgen kriminell ist, folglich sammelt man die Daten aller, wertet dann aber (angeblich) nur die Daten der Kriminellen aus. Der Zweck heiligt die Mittel. Ein weiter erbärmlicher Versuch eine Überwachung des ganzen Volkes zu rechtfertigen.
20410
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Brauchst_Du_MiMiMi-Forte
10.04.2025 00:05registriert Juli 2024
Ganz egal, ob die Daten missbraucht werden oder nicht; Es geht die Behörden einen feuchten Dreck an, was ich schreibe und was nicht. Meine Unterschrift habt ihr
19118
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madu
10.04.2025 00:06registriert Juni 2020
Für Verbrecher gibt es das Darknet. Dort hat der Staat eh keinen Zugriff. Das internet kennt keine Landesgrenze. Für Server im Ausland kann das ÜPF keine Vorschriften machen. Zu Threma gibt es die Alternative Wire, mit Steuersitz in Zug und Server in Deutschland. Auch denen kann das ÜPF keien Vorschriften machen. Bei Wire muss man seine Identität nicht einmal über eine Handynummer verifizieren.

Wie kann das ÜPF die Kommunikation über NS Teams überwachen?

Leider sind schon viele Schweizer Tech-Start-ups ins Silcon Vally abgewandert. Wir sollten die verbliebenen nicht auch noch vergraulen.
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    Deal mit Trump: Die Bauern werden zum Stolperstein
    Der Bundesrat schürt Hoffnungen auf ein baldiges Zollabkommen mit der Trump-Regierung. Doch wie in früheren Fällen könnte die Landwirtschaft eine (zu) hohe Hürde sein.

    Die Reise scheint sich gelohnt zu haben. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin konnten letzte Woche in Washington Mitglieder der Trump-Regierung treffen. Danach hiess es, die Schweiz gehöre zu einer «privilegierten» Gruppe von 15 Ländern, mit denen die USA rasch einen Deal in der Zollfrage anstreben.

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