Oktober 2008. Die Welt ächzt im Würgegriff einer globalen Finanzkrise. Die Investment-Bank Lehmann Brothers geht pleite und Demonstrantinnen besetzen unter dem Motto «Occupy Wall Street» den Zuccotti-Park in Manhattan. Die US-Regierung muss eingreifen. Mit einem Rettungspaket von 700 Milliarden Dollar nimmt sie der Krise die gröbste Zerstörungskraft. Der Spuk ist damit noch nicht vorbei.
Im Januar 2009 muss der englische Finanzminister mit 50 Milliarden Pfund die in den Seilen hängenden Banken Lloyds und Royal Bank of Scotland (RBS) retten. «Der Finanzminister steht kurz vor einem zweiten Rettungspaket für Banken», titelte die Londoner Tageszeitung «The Times» am 3. Januar 2009.
«Der Finanzminister steht kurz vor einem zweiten Rettungspaket für Banken», steht seither auch für alle Zeiten im Code der ersten Transaktion des Bitcoin-Netzwerkes. Sie ereignete sich ebenfalls am 3. Januar 2009 und ist ein Reminder, weshalb die Mutter aller Kryptowährungen ins Leben gerufen wurde: aus der Überzeugung heraus, dass das vorherrschende Bankensystem dysfunktional sei – und ihm nicht vertraut werden könne. Wenige Tage später schreibt der Bitcoin Gründer Satoshi Nakamoto (oder die Gruppe, die sich so nannte) in ein Forum:
«Das Hauptproblem bei konventionellen Währungen ist das erforderliche Vertrauen, damit sie funktionieren. Man muss der Zentralbank vertrauen, dass sie die Währung nicht entwertet – die Geschichte der Fiat-Währungen ist aber voll von solchen Vertrauensbrüchen. Dann muss man den Banken vertrauen – dass sie unser Geld aufbewahren und elektronisch überweisen. Sie aber verleihen es in Wellen von Kreditblasen, mit nur einem Bruchteil davon als zurückgelegte Reserve …».
Bitcoin, so glaubt Satoshi, kann das Vertrauensproblem aufgrund seiner genialen Architektur lösen.
14 Jahre später erklingen Satoshis Unkenrufe lauter denn je. Nach einer Zinserhöhungs-Ralley der US-Notenbank gehen im März 2023 gleich drei mittelgrosse amerikanische Banken mit Getöse unter. In der Schweiz überlebt mit der CS ein scheinbar angesehenes und solventes Finanzinstitut nicht, weil ihm seine Kunden genau jenes Vertrauen (und damit Geld) entziehen, von dem Nakamoto schrieb.
Nicht nur hierzulande greifen Politik und Nationalbank ein – auch die britische, die japanische und die kanadische Nationalbank müssen aktiv werden.
In welche Richtung das Vertrauen abfliesst, kann nur schwer beurteilt werden. Bei den Geldströmen ist es etwas einfacher. Auffallend ist: Seit der Insolvenz der Silicon Valley Bank Mitte März hat Bitcoin 50 Prozent zugelegt und der Preis pro Einheit ist von 20’000 auf 30’000 Dollar (Stand 13.4.2023) gestiegen. Beobachter stellen daher fest: Nach einigen Jahren der Baisse findet das Bitcoin-Narrativ aufgrund der jüngsten Ereignisse wieder vermehrt Anklang. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass auch andere Risiko-Anlageprodukte in den vergangenen Monaten zugelegt haben. Anleger und Spekulanten werden aktuell wieder risikofreudiger eingestuft.
Neben der starken Kursentwicklung von Bitcoin hat sich auch die Sicherheit des Netzwerkes in den vergangenen Monaten stark erhöht. Diese hängt von der sogenannten Hash-Rate ab, die seit Jahresbeginn um rund 50 Prozent angestiegen ist. Bitcoin ist so sicher wie noch nie.
Fast parallel dazu hat der Energieverbrauch zugenommen. Auch der Stromverbrauch des Netzwerks ist auf Höchststand, dank optimierter Mining-Hardware aber nur knapp. Das wiederum giesst Öl ins Feuer der emotional geführten Energie-Debatte rund um Bitcoin.
Während man über den Nutzen von Bitcoin und dessen Energiekonsum geteilter Meinung sein kann, gibt es bezüglich Energiequellen hingegen wenig Verhandlungsspielraum.
Mit vielen Bitcoin-Minern in China, Kasachstan und Iran war es lange Zeit schwierig, zu eruieren, woher die benötigte Energie stammte. Dementsprechend gehen die beiden bekanntesten Schätzungen weit auseinander. Die Universität von Cambridge glaubt, dass nur 39 Prozent der Energiequellen erneuerbar sind, Digiconomist geht von 73 Prozent aus. Doch seit diesen Expertisen ist viel geschehen. Die USA haben die Vorreiterrolle bezüglich Bitcoin-Mining übernommen – und dies scheinbar ohne grosse Rücksicht auf Verluste, wie eine kürzlich veröffentlichte Recherche der Bitcoin-kritischen «New York Times» zeigt. 19 von 34 untersuchten grossen Mining-Anlagen in den USA werden zu 90 oder mehr Prozent mit Strom aus fossilen Brennstoffen versorgt. Nur gerade bei 2 der 34 kommt der Strom laut NYT zu 70 Prozent oder mehr aus erneuerbaren Energien.
Die Regierung von North Dakota zum Beispiel versucht, der maroden lokalen Kohleindustrie mit Hilfe von Bitcoin neues Leben einzuhauchen, und in Pennsylvania hat ein Bitcoin-Unternehmen für seine Miner eigens ein Abfallkohlekraftwerk gebaut. Abfallkohle erzeugt beim Verbrennen 36 Prozent mehr CO2 als normale Kohle.
Auf der PR-Ebene sind solche Nachrichten fatal. Dabei hätte das Bitcoin-Netzwerk, dessen Miner schnell ab- und wieder angeschaltet werden können, das Zeug dazu, für Stabilität im Stromnetzwerk zu sorgen. Was auch praktiziert wird – zum Beispiel in Texas: Als der Wintersturm «Uri» im Februar 2021 tobte, wurden die Miner während der Strom-Mangellage vom Netz genommen.
Doch einige Bitcoin-Mining-Unternehmen zeigen sich dabei von der raffgierigen Sorte. Mit lukrativen Verträgen mit Stromanbietern lassen sie sich ihre Ausfälle vergolden. Laut Ed Hirs, er lehrt Energie-Ökonomie an der Universität Houston, verkauften einige texanische Bitcoin-Miner während der Strommangellage «ihre» Stromkontingente zum Teil für das Hundertfache des Einkaufspreises weiter.
Damit unterscheiden sich die Bitcoin-Unternehmen zwar nicht von anderen Grossverbrauchern, die ähnlich vorgehen, doch eine Gutschrift im Karmakonto wird eine solche Praxis trotzdem nicht. Dass Publicity dieser Art im Kampf um die Etablierung von Bitcoin und im Kampf um die Vorherrschaft im Kryptospace zu einem Nachteil werden kann, scheint die betroffenen Protagonisten nicht zu stören.
Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass Bitcoin-Mining eine ähnliche Karriere wie Verbrennerautos durchleben wird. Erst ein Verbot von fossilem Mining wird die Praxis unterbinden. Bis ein solches in Staaten wie North Dakota oder Texas ausgesprochen wird, dürfte es noch ein Weilchen dauern.