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Ein überwunden geglaubtes Problem hat sich mit voller Wucht zurückgemeldet: Hooliganismus im Fussball. Vor und nach dem EM-Vorrundenspiel zwischen England und Russland am Samstag in Marseille kam es zu Ausschreitungen zwischen gewaltbereiten Fangruppen aus beiden Ländern. Ein 50-jähriger englischer Fan schwebt mit schweren Hirnverletzungen in Lebensgefahr, nachdem er von einem Hooligan mit einer Eisenstange traktiert wurde.
Die Vereinigung russischer Fussballfans (VOB) hat die Krawalle am Montag scharf verurteilt. Sie fürchtet negative Auswirkungen für die Heim-WM in zwei Jahren. Die Auseinandersetzungen «versetzen allen russischen Fans und Russland als Gastgeber der Weltmeisterschaft 2018 einen Schlag», teilte die VOB mit. Die Vereinigung rief die Fans auf, das Nationalteam so zu unterstützen, dass es ihm nicht schade, und sich von Provokationen fernzuhalten.
Der europäische Fussballverband UEFA hatte am Sonntag die Verbände Russlands und Englands wegen der Randale verwarnt und ihnen im Wiederholungsfall mit Sanktionen bis zum Ausschluss aus dem Turnier in Frankreich gedroht. Das Statement der VOB aber kommt nicht von ungefähr, denn die Gewalt war hauptsächlich von rund 150 russischen Hooligans ausgegangen, wie der zuständige Marseiller Staatsanwalt Brice Robin am Montag an einer Medienkonferenz ausführte.
Die Russen seien «extrem gut vorbereitet» gewesen für «ultraschnelles und ultrabrutales Vorgehen», betonte Robin. Kein einziger konnte aufgrund der Krawalle verhaftet werden. Festgenommen wurden zwei Russen, die nach dem Spiel den Rasen gestürmt hatten. Sie sollen des Landes verwiesen werden. Insgesamt seien bei den Ausschreitungen, die sich über drei Tage hingezogen hätten, 35 Personen verletzt worden, die meisten davon Engländer.
Im Vergleich mit den 12'000 russischen Fans, die nach Marseille gereist sind, sind die 150 Hooligans eine kleine Minderheit. Dennoch illustrieren die Vorfälle, dass der russische Fussball ein Problem mit Gewalt und Rassismus hat. Eine zwielichtige Rolle spielt dabei die Fanvereinigung VOB. Hooligans seien «mit kostenlosen Charterflügen» nach Frankreich gekommen, organisiert von der VOB, sagte Pawel Klymenko, der beim Netzwerk Football Against Racism in Europe (FARE) für Osteuropa zuständig ist, der NZZ. Er ist nicht überrascht, dass es zu Krawallen kam.
Alexander Schprygin, Gründer und Chef der VOB, war in den 1990er Jahren ein führender Kopf der russischen Neonazi-Szene. Noch heute findet man im Internet Fotos, die ihn mit Hitlergruss zeigen. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP erklärte Schprygin, er wolle mit den Bildern zeigen, dass sich der russische Fussball und die Fanszene geändert hätten. In der Öffentlichkeit ist der VOB-Chef wiederholt mit Präsident Wladimir Putin aufgetreten.
Nicht alle kaufen Schprygin den Wandel ab. Immer wieder tauchen rechtsextreme Symbole an Spielen mit russischen Mannschaften auf. Auch sollen rechtsradikale Fans im Ukraine-Konflikt gekämpft haben, vor allem auf Seiten der prorussischen Separatisten. Kenner der Fanszene warnten, dass sie mit entsprechender Kampferfahrung und Aggressivität zurückkehren würden – eine mögliche Erklärung für die Gewaltexzesse in Marseille.
Allerdings haben nicht nur russische Hooligans eine Verbindung zum rechtsradikalen Milieu. So versuchten englische Fans in Marseille mit Rufen wie «‹IS›, wo bist du?» die grosse muslimisch-arabische Gemeinschaft in der südfranzösischen Metropole zu provozieren. Deutsche Hooligans, die am Sonntag in Lille auf ukrainische Fans eindroschen, verkehren im Umfeld rechter Gruppierungen wie Pegida. Mit «Hooligans gegen Salafisten» (Hogesa) haben sie ein eigenes islamfeindliches Netzwerk gegründet.
Ist die unerwartete Renaissance des Hooliganismus also eine Bekräftigung des politischen Rechtsrutschs in Europa, wie die NZZ mutmasst? Eine andere Erklärung ist banaler: Das Turnier in Frankreich sei auf absehbare Zeit das letzte, bei dem man sich auf öffentlichen Plätzen und im Stadion prügeln könne, meinte ein deutscher Hooligan-Experte. In den letzten Jahren hätten die Schlägereien fast nur noch auf Feldern und in Wäldern stattfinden können.
Simple Prügelorgien oder politische Manifestationen? Möglicherweise handelt es sich um die beiden Seiten der gleichen Medaille. Sicher ist, dass sich Regierung und Fussballverband in Russland mit dem Phänomen schwertun. Dabei hat die Zahl der rassistischen Vorfälle in den Stadien in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen. Immer wieder werden dunkelhäutige Spieler mit Affenlauten beleidigt.
Der Ghanaer Emmanuel Frimpong, bei FK Ufa unter Vertrag, zeigte deshalb im Juli 2015 bei einem Auswärtsspiel gegen Spartak Moskau den gestreckten Mittelfinger Richtung Tribüne. Bestraft wurden nicht der Klub oder seine Fans, sondern der Spieler, er wurde für zwei Partien gesperrt. Ähnliches erlebte Yaya Touré, Captain von Manchester City, bei einem Champions-League-Match gegen ZSKA Moskau vor drei Jahren. Der Ivorer erwog darauf öffentlich einen Boykott der WM 2018 durch afrikanische Spieler.