Die UNO hat Post bekommen. Von prominenten Absendern. Und nicht nur bei den Vereinten Nationen, sondern auch beim Europäischen Rat und verschiedenen Staats- und Regierungschefs flatterte ein offener Brief herein.
Der Brief kommt von 15 Nobelpreisträger und -trägerinnen, die die Organisationen und Mächtigen der Welt auffordern, während der Klimakonferenz COP27 Druck auf das Gastgeberland Ägypten auszuüben. Denn dort werden wohl Zehntausende politische Gefangene an teilweise unbekannten Orten gefangen gehalten. Unzählige wurden im Vorfeld der Klimakonferenz verhaftet.
Einer dieser politischen Gefangenen ist der bekannte ägyptisch-britische Aktivist und Blogger Alaa Abd el-Fattah. Er hat während der letzten Monate bereits Schlagzeilen gemacht, als er in den Hungerstreik getreten war. Nun will er einen Schritt weitergehen.
Ein Spotlight auf eine Kehrseite der COP27:
Die 15 Preistragenden anerkennen in ihrem offenen Brief die Dringlichkeit bezüglich Verhandlungen rund um die Klimakrise. Sie bitten aber gleichzeitig darum, dass die Namen der Aktivisten und politischen Gefangenen, die im Gastgeberland Ägypten inhaftiert sind, bei jeder Gelegenheit auf der COP27 genannt werden und dass ihre Freiheit gefordert wird.
Sie schreiben:
Der Brief wurde von Abd el-Fattahs britischen Verlegern initiiert. Unterschrieben haben ihn 13 Literaturnobelpreisträgerinnen: Swetlana Alexijewitsch, JM Coetzee, Annie Ernaux, Louise Glück, Abdulrazak Gurnah, Kazuo Ishiguro, Elfriede Jelinek, Mario Vargas Llosa, Patrick Modiano, Herta Müller, Orhan Pamuk, Wole Soyinka und Olga Tokarczuk. Ebenfalls unterzeichnet haben George P. Smith, Nobelpreisträger für Chemie, und Roger Penrose, Nobelpreisträger für Physik.
Mit ihrer Forderung sind die Nobelpreisträger nicht allein. Seit Wochen fordern Aktivisten, dass die Konferenz ohne deutliche Verbesserungen bei den Menschenrechten in Ägypten nicht stattfinden dürfe.
Die von den Vereinten Nationen organisierte COP27 findet vom 6. bis 18. November in der ägyptischen Stadt Sharm el-Sheikh am Roten Meer statt. Während der Klimakonferenz sollen die Regierungen von 200 Ländern zusammengebracht werden, damit gemeinsam Strategien entwickelt werden können, um die weltweite Klimakrise einzudämmen.
Ägypten ist im Vorfeld der COP27 hart gegen Andersdenkende vorgegangen: In den vergangenen Tagen sind mindestens 67 Personen in Kairo und anderen Städten festgenommen und vor die Staatsanwaltschaft gestellt worden, gab die ägyptische NGO Ägyptische Kommission für Rechte und Freiheiten (ECRF) bekannt.
So hätten Sicherheitskräfte wahllos Menschen gezwungen, ihre Telefone für Inspektionen zur Verfügung zu stellen: Social-Media-Konten wurden verifiziert und persönliche Nachrichten und Fotos überprüft. Personen, die sich weigerten, ihr Telefon für die Sicherheitskontrolle auszuhändigen, seien festgenommen worden, so ECRF.
Gesucht haben die Sicherheitskräfte wohl Aufrufe zu Demonstrationen, die für den 11. November in Ägypten angekündigt wurden. Sowie Hinweise auf Verbindungen zu Aktivisten, die zu den Demonstrationen aufgerufen hatten.
Die Staatsanwaltschaft beschuldigte die Verhafteten des Beitritts zu einer terroristischen Vereinigung, der Verbreitung falscher Nachrichten, der Anstiftung zu terroristischen Straftaten und des Missbrauchs sozialer Medien. Deshalb sei unter Berufung auf die Terroristen-Paragrafen im ägyptischen Gesetzes beschlossen worden, die Festgenommenen für das Jahr 2022 festzuhalten, schreibt ECRF.
Im Zusammenhang mit diesen Razzien wurde am 30. Oktober der indische Aktivist Ajit Rajagopal festgenommen. Er wollte quer durch Ägypten marschieren und so auf Umweltprobleme aufmerksam machen. Auch sein Anwalt wurde inhaftiert, nachdem er sich auf der Polizeiwache nach ihm erkundigt hatte. Nach 24 Stunden wurden beide wieder freigelassen.
Egyptian police arrested an Indian activist for staging a peaceful solo climate march. Ajit Rajagopal was walking 162 miles to #COP27.
— AJ+ (@ajplus) November 2, 2022
Groups say Egypt, which effectively bans protests, has:
▪️ 60,000+ political prisoners
▪️ detained 65+ activists planning protests around COP27 pic.twitter.com/VhtDHGtpBF
Seit dem Arabischen Frühling 2011 sind viele ägyptische Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtler ausser Landes geflohen. Trotz dieses Exodus schätzt Human Rights Watch, dass in Ägypten mehr als 60'000 politische Gefangene hinter Gittern sitzen. Der ägyptische Präsident, Abd al-Fattah as-Sisi, sagt, die Sicherheitsannahmen seien notwendig, um Ägypten zu stabilisieren.
Einige dieser Menschen sitzen wohl im Gefängnis Badr 3 in der Nähe von Kairo. Dieses Gefängnis wurde erst vor wenigen Monaten eröffnet.
Amnesty International hat im Vorfeld der COP27 Beweise für die menschenunwürdigen Bedingungen gesammelt, die in Badr 3 praktiziert werden: Die Gefangenen frieren in kalten Zellen, in denen rund um die Uhr Neonlicht brennt. Der Zugang zu Nahrung, Kleidung oder Büchern ist ungenügend. Kontakt zu Familien oder Anwälten wird den Gefangenen verweigert. Genau wie in älteren Gefängnissen würde zudem die Haft wahllos verlängert.
Einer der bekanntesten und einflussreichsten ägyptischen Gefangenen hat während der letzte Tage für Schlagzeilen gesorgt: der 40-jährige ägyptisch-britische Autor und Blogger Alaa Abd el-Fattah. Er sitzt seit fast zehn Jahren im Gefängnis.
El-Fattah droht, ab Sonntag – dem Beginn der COP27 – nicht mehr zu trinken. So will er auf sein eigenes und das Schicksal von tausenden anderen politischen Gefangenen in Ägypten aufmerksam machen. Das komplette Verweigern von Flüssigkeit kommt einem sicheren Todesurteil nach wenigen Tagen gleich. Er schrieb seiner Mutter:
Alaa just drank his last cup of tea in prison. Starting today he's on zero calorie strike.
— Sanaa (@sana2) November 1, 2022
In 5 days, as #COP27 starts, he will cease consuming water as well.
Alaa is not bluffing, he's fueled by hope to be reunited with us & rage at the 9 years stolen from his life. #FreeAlaa pic.twitter.com/5j1f5r2nil
El-Fattah zählte seit der Revolution 2011 in Ägypten zu den Führungsfiguren im Protest gegen die Regierung. Der Aktivist organisierte damals Proteste gegen den Langzeitherrscher Husni Mubarak. 2013 wurde er beim Protest gegen ein verschärftes Demonstrationsgesetz festgenommen und 2014 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Kurz nach seiner Freilassung wurde er 2019 wieder festgenommen und im Dezember 2021 zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt. Ihm werden der Missbrauch sozialer Medien und der Beitritt zu einer «terroristischen Gruppe» vorgeworfen – eine Anspielung auf die verbotene Muslimbruderschaft.
Der Prozess wurde von mehreren Menschenrechtsorganisationen als «grob unfair» bezeichnet. Seit April nimmt el-Fattah nach Angaben seiner Familie aus Protest gegen seine Inhaftierung täglich nur noch 100 Kalorien zu sich. Sein Gesundheitszustand sei dementsprechend kritisch.
From in front of the Egyptian Embassy in London, Mona Saif sends a message to the Egyptian Foreign Ministry.@Monasosh #FreeAlaa pic.twitter.com/ELAAgukLhs
— Free Them (@FreeThemAll_) July 1, 2022
Seine ebenfalls politisch aktiven Schwestern Mona und Sanaa Saif haben letzten Monat vor dem britischen Aussenministerium in London ein Sit-in veranstaltet. Sanaa sagte damals gegenüber dem «Guardian», dass sie von der britischen Regierung erwarte, dass sie zusammen mit ihrem Bruder von der COP27 nach England zurückkehre.
Im Brief der Nobelpreisträger heisst es zum Fall El Fattah:
Macht die Konferenz im Stadtzentrum von Kairo unter freiem Himmel, ein paar Tage lang ungefiltert die Luft dieser verpesteten Stadt einzuatmen könnte motivierend wirken.