Bürgerlich sein heisst, sich zu benehmen und seine Gefühlsäusserungen so weit im Zaum zu halten, dass man seine Mitmenschen möglichst wenig belästigt. An all dem scheitert die AfD, die für sich selbst in Anspruch nimmt, eine bürgerliche Partei zu sein, regelmässig. 129 Ordnungsrufe haben die Sitzungsleiter im Bundestag in dieser Legislaturperiode bisher erteilt, 85 davon gegen Parlamentarier der AfD.
Nun diskutiert die Partei, ob sie sich mässigen soll. «Wir müssen nicht Ordnungsrufweltmeister sein», sagte ihr Chef Tino Chrupalla kürzlich und mahnte seine Kollegen, «das Prollige etwas abzulegen». Eine Sitzung des Parlaments sei schliesslich etwas anderes als eine Demonstration.
Abseits solcher Stilfragen ertönen aber auch Stimmen, die der AfD eine inhaltliche Mässigung empfehlen. Einer, der so redet, ist Maximilian Krah. Im Juni war er zu Gast im Video-Podcast von Götz Kubitschek, einem rechtsextremen Verleger und Aktivisten. Dabei erklärte Krah seinem sichtlich verwunderten Gastgeber, warum er einen ethnischen Volksbegriff und die Deportation von Migranten ablehne.
Krah ist womöglich der grösste Filou in der AfD: einer, der hinter seinen Konkurrenten in eine Drehtür hineingeht und vor ihnen herauskommt. Das mag ein Zeichen von Prinzipienlosigkeit sein, spricht aber auch für eine gewisse Schläue. Auf sozialen Netzwerken wie Tiktok hatte Krah Erfolg mit möglichst schrillen Positionen; nun, da es darum geht, auf der Karriereleiter weiter nach oben zu steigen, ändert er seine Strategie.
Dass die AfD als Ganze es ähnlich machen könnte, dafür gibt es zumindest zaghafte Anzeichen: Kurzfristig muss es der Partei darum gehen, ein Verbot abzuwenden; längerfristig dürften die geistig agileren AfD-Leute daran denken, wie ihre Partei regierungsfähig werden könnte. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni könnte dabei ein Vorbild sein: Während die AfD bisher immer weiter nach rechts marschierte, hat sich Melonis postfaschistische Partei mehr und mehr in die Mitte bewegt.
Dafür, dass die AfD einen ähnlichen Weg einschlagen könnte, spricht das sogenannte Positionspapier, das die Bundestagsfraktion der Partei letztes Wochenende verabschiedet hat: Anders als ursprünglich geplant, fehlt darin das Wort «Remigration». Und in Nordrhein-Westfalen beschloss die dortige Landessektion, den Abgeordneten Matthias Helferich auszuschliessen, der sich selbst einmal als «freundliches Gesicht des Nationalsozialismus» bezeichnet hatte.
Zwar kann Helferich noch Berufung gegen den Entscheid einlegen, doch scheint die Partei endlich willens zu sein, sich von Elementen zu trennen, die in positiver Weise auf die Nazizeit Bezug nehmen.
Ob dahinter Überzeugung steht oder lediglich Taktik, ist schwer zu sagen, doch dass sich die AfD in den letzten zwei Jahren verändert hat, ist klar: Seit September 2023 ist sie von 34’000 auf 64’000 Mitglieder gewachsen. Die meisten Neumitglieder stammen aus dem Westen Deutschlands.
So könnten die sehr weit rechts stehenden ostdeutschen Sektionen künftig an Einfluss verlieren. Auch das scheint Krah, der selbst aus dem Osten kommt, zu antizipieren: «Wie will man im Ruhrgebiet Wahlkreise gewinnen, wenn man die türkischen Stimmen nicht hat?», begründete er bei Kubitschek seine Abwendung von einem rassistischen Volksbegriff.
Vielleicht wird sich die AfD irgendwann spalten: in eine rechtsextreme, vor allem im Osten erfolgreiche Partei und eine rechtspopulistische, aber demokratische, die eher im Westen reüssiert. Die Christdemokraten von Kanzler Merz hätten dann eine Option jenseits der Sozialdemokraten, wenn es um die Bildung von Regierungen ginge. (aargauerzeitung.ch)