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Amnesty-Bericht: Afghanische Frauen beklagen «Tod in Zeitlupe»

Amnesty-Bericht: Afghanische Frauen beklagen «Tod in Zeitlupe»

Seit der Machtübernahme der Taliban ist die Lage von Frauen in Afghanistan desaströs. Doch auch Fehler der westlichen Mächte haben dazu beigetragen, wie ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» zeigt.
27.07.2022, 02:0127.07.2022, 06:01
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Geschlossene Mädchenschulen, Frauen, die aus Berufen verdrängt werden und mehr Zwangsheiraten. Ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» zeichnet ein desaströses Bild der Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban. Frauen in Afghanistan stürben einen «Tod in Zeitlupe», zitiert der Bericht eine afghanische Journalistin.

Ganz unbeteiligt sind westliche Länder an dieser Lage nicht, wie der Bericht aufzeigt: 2020 kam es zu einem Friedensvertrag zwischen den USA und den Taliban. Dort wurde der Rückzug der US- sowie der NATO-Truppen vereinbart. Was Amnesty jedoch anprangert: Die Wahrung von Frauenrechten war kein Teil des Vertrages. Die Taliban sollten lediglich der militant-islamistischen Gruppierung Al-Kaida keinen Rückzug in Afghanistan gewähren. Der Friedensvertrag sei grösstenteils unter Ausschluss von Frauenrechtlerinnen vereinbart worden, beklagt Amnesty.

Taliban fighters guard at the site of an explosion in Kabul, Afghanistan, Saturday, June 18, 2022. Several explosions and gunfire ripped through a Sikh temple in Afghanistan's capital. (AP Photo/ ...
Seit der Machtübernahme im vergangenen Herbst haben die Taliban in Afghanistan das Sagen.Bild: keystone

Den Preis zahlen jetzt Frauen und Mädchen in Afghanistan: Fehlende Bildungs- und Berufschancen hätten zu einer wachsenden Anzahl von Zwangsheiraten geführt, heisst es im Amnesty-Bericht. Aber auch die herrschende humanitäre Krise sei ein starker Treiber von Zwangsehen in dem Land. Dem Bericht zufolge hatten im April dieses Jahres 95 Prozent der Menschen in Afghanistan nicht genug zu essen, nachdem die afghanische Wirtschaft in den Monaten zuvor eingebrochen war.

Keine Schulen für Mädchen

Höhere Mädchenschulen schlossen die militanten Islamisten bei ihrer Machtergreifung im August 2021 – und das, obwohl afghanische Medien und Zivilgesellschaft wiederholt Schulöffnungen forderten. Nur einige privat organisierte Schulen sowie öffentliche Mädchenschulen in einigen Provinzen sind noch geöffnet. «Millionen von Mädchen warten auf Bildung», zitiert der Bericht eine junge Lehrerin. Viele Schülerinnen würden auf Online-Unterricht ausweichen oder an privat organisiertem Unterricht teilnehmen, viele andere hätten jedoch auch aufgrund mangelnder Perspektiven die Motivation zum Lernen verloren.

Auch ein Grossteil der Berufe bleibt Frauen mittlerweile versperrt - jedoch gibt es laut Bericht Unterschiede zwischen den verschiedenen Provinzen. Die Verdrängung von Frauen aus dem Berufsleben stelle vor allem ein Problem in Familien dar, in denen Frauen bisher die Alleinverdienerinnen waren.

Zunehmende Gewalt an Frauen

Ausserdem macht der Bericht auf die Misshandlung von Frauen aufmerksam, die sich gegen die Taliban-Massnahmen stellen. Amnesty berichtet von Inhaftierungen, Folter und sogar dem Verschwinden von Demonstrantinnen.

Für afghanische Frauen gestalte es sich ausserdem zunehmend schwierig, häuslicher Gewalt zu entfliehen, da viele Frauenhäuser mittlerweile geschlossen seien.

Auch die Bewegungsfreiheit von Frauen haben die Taliban eingeschränkt: Frauen dürfen weitere Reisen nur noch in Begleitung eines männlichen Angehörigen unternehmen. Viele afghanische Frauen fühlten sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, heisst es in dem Bericht. Ausserdem forderten die befragten Frauen und Mädchen, die Taliban-Regierung nicht anzuerkennen. (sda/dpa)

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Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
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Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
Am 15. August 2021 haben die Taliban ihr Ziel erreicht: Sie sind in der Hauptstadt Kabul einmarschiert und haben den Präsidentenpalast in ihrer Kontrolle.
quelle: keystone / zabi karimi
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«Vergesst Afghanistan nicht» – die Situation junger Frauen in Afghanistan
Video: watson
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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pummelfee
27.07.2022 07:31registriert Mai 2020
Und was hätte es genützt, die Frauenrechte in den Vertrag zu schreiben? Glaubt wirklich irgendjemand, die Situation der Frauen in Afghanistan wäre dann heute eine andere? Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Die Taliban haben bisher keine ihrer Zusagen gehalten!
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Fabi:)
27.07.2022 08:10registriert August 2021
Das war völlig klar. Damals schrieben unsere Schweizer Medien noch, die Taliban seien jetzt mild. Alle Afghanen in der Schweiz widersprachen. Auch hiess es, die Bevölkerung wolle die Taliban, alle Afghanen in der Schweiz widersprachen. Sie hatten recht. Der Abzug der Amis war ein totales Disaster. Und einige Europäer meinten im Ernst, man könne mit den Taliban verhandeln, sie führen einen Rechtsstaat und seien kulturell gut in Afghanistan integriert und akzeptiert. Das sind aber Terroristen.
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El Ninio
27.07.2022 06:54registriert Juni 2020
Auch wenn es so einen Vertrag gegeben hätte. Würden die Taliban sich nicht dran halten. Und dann müste der Westen auf geheiss von Amnesty International in Afghanistan einfallen um die rechte der Frauen zu schützen. Der Vertrag wurde nur abgeschlossen dammit man nicht mit komplett lehren Händen abzieht. Demokratie und Grundrechte muss ein Volk sich selbst erkämpfen. Das kann nicht von aussen Diktiert werden.
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