272. Das ist die Zahl der Zivilisten, die bei einem Massaker in der Demokratischen Republik Kongo laut Regierungsangaben vergangene Woche niedergemetzelt worden sein sollen.
Sie sind Opfer eines Konfliktes, der schon unzählige Leben gefordert und tausende Menschen zur Flucht gezwungen hat – doch am Mittwoch gab es eine Ankündigung, die vielleicht etwas verändern könnte.
Das passiert gerade in der Demokratischen Republik Kongo (DRK):
Bei einem Massaker um das Dorf Kisheshe im Osten des Landes seien mindestens 50 Zivilisten getötet worden, wurde am 29. November von der Regierung der DRK vermeldet.
Am vergangenen Montagabend wurde die Zahl seitens der Regierung dramatisch nach oben korrigiert: Fast 300 Zivilisten wurden niedergemetzelt.
Konkret sollen 272 Menschen getötet worden sein, wie der kongolesische Industrieminister Julien Paluku während der Pressekonferenz am Montag bekannt gab.
Eine vorläufige Untersuchung der Vereinten Nationen vom 7. Dezember bestätigte, dass Rebellen der Gruppierung M23 mindestens 131 Zivilisten, darunter 102 Männer, 17 Frauen und 12 Kinder, bei Vergeltungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung in Kisheshe getötet haben.
Paluku erklärte, dass in der Umgebung von Kisheshe alle Gemeinschaften melden sollten, wie viele Menschen ihrer Gruppe am 29. November massakriert wurden. Es gebe allerdings Schwierigkeiten, die Zahlen abzugleichen, denn das Gebiet sei von Rebellen besetzt. Der ebenfalls anwesende Politiker Patrick Muyaya Katembwe ergänzte:
Von den meisten Toten sei die Identität bekannt – und sie hätten alle nichts mit Rebellen zu tun, bekräftigte Paluku. Der anwesende Politiker erklärte: «Ich kann keine Einzelheiten über den Angriff nennen.» Doch die Generalstaatsanwaltschaft habe eine Untersuchung eingeleitet.
Das Massaker fand während einer Waffenruhe statt, die ab dem 25. November für fünf Tage hätte gelten sollen. Ein kongolesischer Armeeoffizier sagte gegenüber «africanews»: «Die Kämpfe sind brutal, wir verwenden schwere Artillerie gegen die M23.»
Die Armee beschuldigt denn auch die Rebellen der Gruppierung M23, für das Blutbad in Kisheshe verantwortlich zu sein. Die M23-Rebellen weisen den Vorwurf von sich.
Die UNO hat bereits Alarm geschlagen. Denn seit März gibt es in der DRK an der Grenze zu Ruanda wieder Kämpfe, zwischen der bereits besiegt geglaubten Rebellen-Gruppierung M23 sowie den Streitkräften der DRK und deren Verbündeten.
Die umkämpfte Region in der Provinz Nord-Kivu ist reich an Bodenschätzen wie Kobalt, Gold oder Diamanten. Doch trotz dieser gehört die DRK zu den ärmsten Ländern der Welt, da das Land zugleich zu den politisch instabilsten zählt.
Die Kämpfe hätten die ohnehin schon schlechte humanitäre Lage im Osten der DRK noch weiter destabilisiert, da Hilfe nicht mehr bis zu den Menschen vordringen könne, warnt die UNO. Zudem irren rund 200'000 Menschen seit März als Binnenflüchtlinge durch das Land, da ihre Häuser und Dörfer Schauplatz der Kämpfe sind. Fast noch einmal so viele suchen Schutz in den Nachbarländern. Mittlerweile sollen Choleraausbrüche die Vertriebenen in provisorischen Camps auf beiden Seiten der Grenze dahinraffen, schreibt «africanews».
Am 30. November dieses Jahres gab die UN-Sonderberaterin für die Verhütung von Völkermord, Alice Wairimu Nderitu, ein Statement heraus, das sie anlässlich ihres Besuches im betroffenen Gebiet verfasste. Sie schrieb:
Aus ihrem Statement geht hervor, dass verschiedenen Faktoren den Konflikt in der Region befeuern. Dazu gehöre auch die Politisierung von Identität.
Bereits entsandten die Nationen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), der auch die DRK angehört, Truppen in die DRK, um die Regierungstruppen zu unterstützen. Kenia spielt dabei eine führende Rolle.
Zurzeit bildet alleine der Südsudan 750 Soldaten für den Einsatz in der DRK aus, wie die Associated Press (AP) vom südsudanesischen Militärsprecher am 5. Dezember 2022 erfuhr. Der Militärsprecher konnte noch nicht sagen, ab wann die Soldaten einsatzbereit sein werden, bekräftigte aber die Absicht des Südsudans, einen Beitrag zur Sicherheit in der Region leisten zu wollen.
Doch wer sind diese M23-Rebellen, die von der kongolesischen Regierung für das Massaker in Kisheshe und für die Gewalt im Osten der DRK verantwortlich gemacht werden?
Die verschiedenen gewaltbereiten Gruppierungen im Osten der DRK gründen auch und vor allem in der Flüchtlingskrise, die durch den Genozid in Ruanda im Jahr 1994 ausgelöst wurde.
Nachdem 1994 bis zu einer Million Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Tutsis unter dem Kommando von vorwiegend Hutus ermordet wurden, kehrten sich die Machtverhältnisse in Ruanda um: Die Tutsi-geführte «Ruandische Patriotische Front» eroberte das Land. In der Folge flohen ethnische Hutus ausser Landes – einige von ihnen mitverantwortlich für den Genozid – und bildeten unter anderem in der heutigen DRK bewaffnete Gruppierungen wie die «Forces démocratiques de libération du Rwanda» (FDLR).
Als Reaktion auf die Präsenz dieser Rebellengruppierungen bildeten sich in der heutigen DRK wiederum neue bewaffnete Tutsi-Gruppen. Und eine dieser Tutsi-Gruppierungen ist die in der Provinz Nord-Kivu aktive «Bewegung 23. März» oder eben M23.
Die M23-Rebellen sind nach einem Friedensabkommen benannt, das am 23. März 2009 zwischen der kongolesischen Regierung und der militarisierten Gruppe «Nationaler Kongress zur Verteidigung des Volkes» (CNDP) geschlossen wurde. Die CNDP hatte sich auf die Fahne geschrieben, die Tutsis in Kongo schützen.
Viele CNDP-Kämpfer wurden nach dem Friedensabkommen in die kongolesische Armee integriert. Doch 2012 sagten sich einige der Rebellen wieder von der Regierungsarmee los und formierten sich in der «Bewegung 23. März». Im Verlaufe des Jahres 2012 eroberten die Rebellen grosse Gebiete an der Grenze zu Ruanda.
Zu Beginn des Jahres 2013 schwächte sich die M23 durch interne Machtstreitereien selbst, weshalb es den Regierungstruppen teilweise gelang, Boden zurückzuerobern. Nach immer wieder aufflammenden Kämpfen und einer stetigen Schwächung der M23 wurden die letzten Rebellen im November 2013 besiegt – scheinbar.
Doch kürzlich begannen M23-Anhänger erneut mit Angriffen auf zivile und militärische Strukturen im Osten der DRK. Ab März 2022 drohte die Situation dann zu eskalieren. Mittlerweile hat die M23 wieder grosse Gebiete in der Provinz Nord-Kivu unter ihrer Kontrolle und rückt auf die Stadt Goma zu, wie der Al-Jazeera-Korrespondent Malcolm Webb, der an der Frontlinie steht, zeigt.
Derweil haben auch die diplomatischen Spannungen zwischen der DRK und Ruanda wieder zugenommen. Denn die DRK unterstellt Ruanda, die M23 zu unterstützen. Die Vorwürfe sind nicht völlig aus der Luft gegriffen und auch Beamte der Vereinten Nationen sowie das Europäische Parlament haben in den vergangenen Monaten auf diese Möglichkeit hingewiesen und Ruanda Ende November aufgefordert, die M23-Rebellen nicht zu fördern.
Die kongolesische Regierung hat zuerst direkte Gespräche mit M23 abgelehnt und gesagt, sie müsse allein mit Ruanda verhandeln – die M23-Rebellen wollen bei Verhandlungen aber dabei sein. Ruanda bestreitet währenddessen beharrlich, die M23 zu unterstützen.
Doch am Mittwoch, 7. Dezember, kündigte die EAC an (die Nationen der Ostafrikanischen Gemeinschaft), dass die Regierung der DRK nun doch dazu bereit sei, Verhandlungen für einen langfristigen Frieden mit allen Gruppen und Gemeinschaften in der Region aufzunehmen. Der Grundstein dazu gelegt wurde während dem dritten «interkongolesischen Dialog» – ein Kongress, der vom 28. November bis 6. Dezember in Kenia stattfand.
Alle Seiten hätten ihm gegenüber in Gesprächen kund getan, dass ein 20 Jahre alter Krieg nicht an einem Tag gelöst werden könne. Aber es müsse jetzt ein Weg einschlagen werden, der dauerhaften Frieden bringe, erklärte der Hauptvermittler der Gespräche, der Kenianer Uhuru Kenyatta, der als Friedensbotschafter des Regionalblocks der EAC fungiert.
Die Rebellen der M23-Bewegung haben derweilen ihre Bereitschaft zum Rückzug aus eroberten Gebieten erklärt. Sie forderte aber ein Treffen, um die Modalitäten zu besprechen.
In der DRK gehen die Menschen nun auf die Strasse. Die Kongolesen rufen:
Und ein Vertriebener sagte gegenüber «africanews»: