Massengräber in einem abgelegenen Waldstück in Kenia. Darin liegen: dutzende leblose, abgemagerte Körper, viele davon von Kindern – zu Tode gehungert, um Jesus nahe zu sein. Zu verantworten hat das ein einziger Mann, der einen absurden Kult propagiert.
90 Leichen wurden bereits gefunden und es kommen täglich noch mehr zum Vorschein. 150 Menschen könnten dort begraben liegen, schätzen die Behörden.
Der Kenia-Hungerkult:
Gelbe Absperrbänder flattern im Wind zwischen dichtem Buschwerk und vereinzelten Bäumen. Blaue und weisse Leichensäcke liegen auf der Erde. Dazwischen hacken Männer in weissen Schutzanzügen und Masken in der Erde und befördern Leichen zutage, die in Baumwolltücher gewickelt sind. Andere tragen Warnwesten und Gummihandschuhe und schleppen die Leichensäcke zu Fahrzeugen oder in den Schatten von Bäumen. Männer in Militäranzügen drehen ihre Runden. Das sind die Bilder, die derzeit von kenianischen Fernsehstationen in die Welt verbreitet werden.
Das Ganze spielt sich inmitten des Shakahola-Waldes in der Nähe der Küstenstadt Malindi im Südosten Kenias auf einem 325 Hektar grossen Grundstück – das entspricht 464 Fussballfeldern – ab. Dort stehen hölzerne Kruzifixe auf Erdhaufen, die darauf warten, von Gerichtsmedizinern untersucht zu werden. In den flachen Gräbern liegen nämlich die Anhänger eines kenianischen Pastors.
Seit Freitag letzter Woche sind die Gerichtsmediziner an diesem Ort am Werk und haben seither mindestens 14 Massengräber ausgehoben. Ein «Massaker» habe hier stattgefunden, so der kenianische Innenminister Kithure Kindiki.
Seit Tag eins steht Hussein Khalid an der Seite der Gerichtsmediziner und dokumentiert ihre Arbeit für die Menschenrechtsorganisation Haki Africa. Die Organisation war es auch, die die Behörden zu den Grabstätten führte.
Khalid hat mit BBC gesprochen. Er sagt Dinge wie: «Nichts bereitet einen auf Massengräber mit Kindern vor» oder «der Gestank ist unerträglich». Immerhin gegen den Gestank kann aktiv etwas unternommen werden, so rollte am Mittwoch ein Kühllastwagen aufs Gelände, der als provisorisches Leichenschauhaus dienen soll, wie das kenianische Rote Kreuz auf Twitter mitteilte. Denn die staatlichen Leichenhallen in Kilifi sind mittlerweile überfüllt. Die Autopsien sollen am Donnerstag beginnen.
The high number of bodies from the #Shakahola incident continues to overwhelm facilities in Kilifi County.
— Kenya Red Cross (@KenyaRedCross) April 26, 2023
To support the county, with help from our partners @ICRC_Nairobi, a refrigerated container has just arrived and will be used as a makeshift morgue for the bodies recovered… pic.twitter.com/Eu3TFEFdZ0
Was sich auf diesem abgelegenen Stück Land ereignet hat, erschüttert ganz Kenia. Doch wer und was steckt hinter den Todesfällen?
Es ist ein Name, der im Zentrum der ganzen Tragödie steht: Paul Mackenzie Nthenge.
Mackenzie war einst Taxifahrer. 2003 gründete er zusammen mit seiner Frau Joyce Mwikamba in der Stadt Malindi die Kirche Good News International und predigte seine Auslegung der Bibel ab 2016 auf einem privaten Fernsehsender. 2017 wurde er aufgrund einer Predigt erstmals wegen «Radikalisierung» verhaftet, da er seinen Anhängern riet, ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken. Mackenzie, selbst Vater von sieben Kindern, schilderte diesen Vorfall vor wenigen Wochen so:
2019 löste er seine Gemeinde formal auf, da er bereits damals mit dem Tod von Kindern in Verbindung gebracht wurde. Er zog mit Sack und Pack in den Shakahola-Wald, wo er ein riesiges Grundstück erworben hatte. «Jesus hat mir gesagt, dass das Werk, das er mir gegeben hat, zu Ende ist. Ich bin kein Pfarrer mehr», begründete er seinen Entschluss, seine Karriere als Fernsehprediger hinter sich zu lassen und seine Kirche zu schliessen. Viele seiner Anhänger folgten ihm trotzdem.
Am neuen Ort propagierte er, dass ausschliesslich selbstauferlegtes Hungern der direkte Weg zu Gott und Jesus sei. Denn auch wenn er nicht mehr predige, habe er weiterhin eine prophetische Kraft, und Jesus erscheine ihm weiterhin und zeige ihm den richtigen Weg auf, wie er noch im März Reportern der kenianischen Zeitung Nation verriet.
Khalid von Haki Africa erklärte gegenüber AFP, die Sekte habe offenbar verlangt, dass zuerst die Kinder, dann die Frauen und zum Schluss die Männer verhungern sollen.
Erst im vergangenen Monat wurde der Pastor dann erneut verhaftet, nachdem zwei Kinder von Mitgliedern seiner Kirche mutmasslich verhungert waren. Er stritt die Vorwürfe ab und wurde gegen Kaution freigelassen. Am 2. Mai hätte er deswegen vor Gericht erscheinen sollen.
Doch nachdem am Freitag die ersten Leichen auf seinem Grundstück gefunden wurden, hat die Polizei ihn wieder in Gewahrsam genommen. Ironischerweise soll er deswegen in einen Hungerstreik getreten sein.
Der Innenminister liess verlautbaren:
Die Regierung hat damit gedroht, den Prediger wegen Terrorismus anzuklagen. Wie Reuters schreibt, sind weder Mackenzie noch sein Anwalt bereit, mit den Medien zu sprechen.
Zusammen mit Mackenzie wurden 14 seiner Anhänger verhaftet, die beim Ausheben von Gräbern oder Entsorgen von Leichen geholfen haben sollen.
Die Anhänger des charismatischen Mackenzie lebten auf dem Grundstück in Lehmhäusern mit Strohdächern aus Palmenwedeln, die zwischen Dornenbüschen und Büschen verstreut lagen, wie Fernsehaufnahmen zeigen. Viele von ihnen flohen vor den Rettungskräften. Doch einige waren dazu gar nicht mehr imstande.
So stiessen Khalids Mitarbeitende auf mehrere Überlebende, die aber Hilfe verweigert hätten. Ein Mann habe sogar noch versichert, dass er bei vollem Verstand sei und wisse, was er tue. Die Lebenden wurden alle in ein Spital gekarrt. Mittlerweile seien rund 35 Menschen so gerettet worden, erklärte der Innenminister. Er sagte über die Überlebenden:
One person found alive as police comb Chakama forest where ‘pastor’ Paul Mackenzie is suspected of leading a religious fasting cult pic.twitter.com/sPr2acC8kk
— NTV Kenya (@ntvkenya) April 19, 2023
Victor Kaudo vom Malindi Community Human Rights Centre erzählt der BBC, wie seine Organisation von einem Angehörigen informiert worden sei, mit der Bitte, dass man ihm bei der Rettung seiner drei Kinder helfen möge. Eines der Kinder habe man dann in einem Haus gefunden, «gefesselt mit einem Seil». Aber seine Schwester und sein Bruder waren bereits tot.
Khalid schätzt, dass 50 bis 60 Prozent aller sterblichen Überreste, die gefunden wurden und noch gefunden werden, Kindern zugeordnet werden müssen. Auch ein Behördensprecher gab gegenüber dem kenianischen Sender KTN News eine ähnliche Einschätzung ab. «Wir gehen sogar davon aus, dass eine Mehrheit der Opfer Kinder sind», fügt er stockend hinzu.
Mittlerweile kommen immer mehr Einheimische zum Ort der Tragödie, um vermisste Angehörige zu suchen. Das kenianische Rote Kreuz hat darum eine Such- und Beratungsstelle aufgebaut, wo Verdachtsfälle registriert werden können. 112 Menschen wurden so bis am Sonntag gemeldet. Ein Mann erzählt dort, dass seine drei Söhne von seinem Bruder mitgenommen worden waren, um der Kirche beizutreten. Er befürchtete, dass sie nun alle tot seien, berichtet Khalid.
We have set up tracing and counselling desks at the Malindi Sub-County Hospital for the Shakahola response.
— Kenya Red Cross (@KenyaRedCross) April 23, 2023
So far 112 people have been reported missing at the tracing desk. pic.twitter.com/0QTkHgg03e
Behörden gehen davon aus, dass bis zu 150 Leichen auf dem Grundstück vergraben sein könnten.
Kenia ist ein zutiefst religiöses Land, in dem sich 85 Prozent der Bevölkerung als Christen bezeichnen. Viele gehören kleinen, evangelikalen Kirchen an, die von charismatischen Priestern angeführt werden. Während der letzten Jahre sind solche kleinen Gemeinden wie Pilze aus dem Boden geschossen – gerade im ländlichen Kenia. Mittlerweile sollen über 4000 Kirchen existieren, wie die Behörden mitteilten.
Seit geraumer Zeit werden immer wieder Fälle bekannt, wie Mitglieder solcher Kirchen zu Tode kommen, weil ihre meist einflussreichen Anführer ihnen nicht nur das Geld aus der Tasche ziehen, sondern sie auch dahin gehend beeinflussen, sich zum Beispiel nicht in schulmedizinische Behandlung zu begeben – sondern auf Gott (oder die Heilkraft des Priesters) zu vertrauen. Die Behörden wirken dabei machtlos. Auch im Fall Mackenzie gingen in der Vergangenheit mehrfach Hinweise ein, dass sich Menschen unter seiner Führung zu Tode hungern. Passiert ist erst vor wenigen Wochen etwas.
Der kenianische Innenminister verurteilte die Taten im Shakahola-Wald während einer Pressekonferenz am Dienstag deutlich. Er sagte, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Er prangerte die Bedrohung durch religiösen Extremismus im Land an und schloss:
Einer der tödlichsten Europäischen Exportartikel.
Das hat wohl schon mehr Opfer gefordert als jedes andere Waffensystem.