Wer sind die grössten Feinde der Sekten? Die Antwort mag überraschen: Angehörige und Freunde der Sektenmitglieder. Denn ihre Eltern, Ehepartner und Geschwister gehören in der Regel zu den Ersten, die die Verhaltensauffälligkeiten der Novizen wahrnehmen. Dann schaltet die Alarmstufe auf Rot.
Sprechen sie die Betroffenen darauf an, drucksen die Ertappten herum. Diese Reaktion verstärkt den Verdacht auf eine sektenhafte Verstrickung. Die Angehörigen spüren, dass da ein dunkles Geheimnis im Spiel ist, über das der Sohn oder die Tochter nicht sprechen will. Oder nicht sprechen darf.
Diese Geheimniskrämerei hat meist zwei Gründe. Entweder spürt das Sektenmitglied, dass die neue Welt, in die es eingetaucht ist, für Aussenstehende eigenartig anmutet. Oder die Sekte hat ihm eingebläut, seine Mitgliedschaft vorläufig für sich zu behalten.
Die entsprechenden Argumente leuchten den meisten Novizen rasch ein. Ihnen wird nämlich weisgemacht, ihre Gruppe würde von den Medien zu Unrecht an den Pranger gestellt und als Sekte verschrien. Dies sei eine üble Diffamierung und dreiste Lüge. Deshalb der Rat, den Namen der Gruppe vorerst nicht preiszugeben. Sonst könnten die Angehörigen in Panik geraten und eine «Rettungsaktion» starten.
Dies wäre sowohl für das neue Mitglied und als auch die Gruppe verheerend, verkünden die Führungskräfte den Novizen. Sie würden innerlich zerrissen und in ihrer geistigen oder religiösen Entwicklung gestört. In dieser Situation könnten sie sich nicht mehr unvoreingenommen ein eigenes Bild von der Gruppe machen.
Was für neue Sektenmitglieder vernünftig klingt, entpuppt sich in Wirklichkeit als Stufe eins der Indoktrination. Die vermeintliche Entscheidungsfreiheit ist nämlich eine Illusion. Die versteckte Drohkulisse ist ein Druckmittel und eine Manipulation, die das neue Mitglied nicht erkennen kann. Dabei solidarisiert es sich mit der Gruppe, weil es die angeblich bösartige Stigmatisierung als Sekte als ungerecht empfindet. Schliesslich hat es in der Anfangszeit keine sektenhaften Aspekte erkennen können.
Tatsächlich fassen sektenhafte Gruppen neue Mitglieder mit Samthandschuhen an und überschütten sie mit Aufmerksamkeit und oft mit Komplimenten. Zum Lovebombing gehört auch die Verheissung, dass Gott oder ein höheres Wesen es zur Gruppe geführt habe, die ihm exklusiv den Weg ins Heil weisen könne. Mit dem Hinweis auf die göttliche Fügung können die Sektenführer ihre Verantwortung an eine angeblich unfehlbare Instanz abgeben und ihre Glaubwürdigkeit stärken. In der Einführungszeit erleben Novizen denn auch eine spirituelle oder religiöse Euphorie, die Glückshormone fliessen wie bei einer Verliebtheit. Dabei werten die «Auserwählten» ihre starken Gefühle als Ausdruck ihrer geistigen Entwicklung. Ein Teufelskreis.
Ein Beispiel einer solchen verhängnisvollen Dynamik liefert die Esoterikerin Christina von Dreien. Obwohl der Jungstar der Szene keine geschlossene Gruppe anführt, erinnert ihr Gebaren an eine Sektenführerin. Sie schwört ihre Zehntausende von Anhängern mit überzogenen und unrealistischen Versprechen auf ihr esoterisches Heilskonzept ein und warnt sie vor ihren Angehörigen und Freunden.
Diese Aussage mag überraschen, denn die 21 Jahre alte Frau wirkt bei ihren Auftritten in grossen Hallen und im Internet eher zerbrechlich und verschüchtert. Doch ihre apodiktischen esoterischen Botschaften haben es in sich, wie folgendes Beispiel aus einem Brief an ihre Anhänger zeigt. Darin warnt sie diese vor Angehörigen und Freunden, die spirituell «unterbelichtet» sind.
Zuerst schmeichelt das Medium den Leserinnen: «Du folgst mehr deinem Herzen und spürst deine Intuition besser. Deine DNA aktiviert sich mehr, dadurch können sich auch Hellsinne aktivieren. Du nimmst Energien und andere Dimensionen deutlicher wahr. Dadurch entstehen schöne Momente, doch gleichzeitig reagierst du auch empfindlicher auf die Energien von anderen Menschen und Orten.»
Dann folgen Aussagen, die einen Keil zwischen die Anhänger und ihren Familien treibt.
In einem anderen Newsletter nimmt Christina von Dreien den Ball wieder auf. «Eine Seele ist immer mit der Liebe verbunden, selbst wenn sie das, sobald sie auf der Erde ist, nicht immer fühlen kann und die Liebe manchmal unter dicken Schichten verdeckt ist. Es gibt aber auch andere Wesen. Solche, die keine Verbindung zur Liebe haben. Deshalb haben sie kein Mitgefühl, kein Verständnis und kein Gewissen.»
Doch nicht genug. Die junge Frau macht diese «bösen Wesen», zu denen angeblich auch viele Angehörige ihrer Anhängerinnen gehören, verantwortlich für das Elend auf der Welt:
Die Aussagen dokumentieren, dass das Esoteriksystem von Christa von Dreien im Innern von einer sektenhaften Dynamik zusammengehalten wird. Die versprochene spirituelle Entwicklung und Freiheit entpuppt sich als Falle.