Einsam sitzt ein Mann am Ufer, umgeben von Palmen. Mein kleines Taxiboot tuckert auf ihn zu.
Gerade eben war dieses noch voll mit Schulkindern auf dem Heimweg. Auch der kleine Frederic stieg bei der Anlegestelle beim Fischerdorf aus. Er sei der Sohn des Dorfchefs vom Ort direkt neben meiner Unterkunft. Er wolle mich dann besuchen kommen.
Etwas später gehe auch in an Land. Der Mann ist aufgestanden und stellt sich als Ali vor. Er sei mein «Gardien», der Wächter der Lodge Rive d’Or. Wir gehen das kurze Stück zu den drei Bungalows. Dahinter steht ein Haupthaus mit Küche, ein Swimmingpool und vorne, fast am Strand, ein überdachter Unterstand mit Liegestühlen. Dahinter Palmen, Sandstrand und das Meer. Ich glaube, so könnte das Paradies aussehen.
Beim Eingang der Lodge steht noch ein kleines Hüttchen. Drei Kinder spielen davor, Hühner gackern rum. «Da wohne ich», sagt Ali. Ich soll mich melden, falls ich etwas brauche.
Ich bin der einzige Gast an diesem schönen Fleck Erde auf der Landzunge bei Assinie-Mafia. Den Zusatz Mafia erhielt der Ort angeblich in den 1930er-Jahren, weil sich viele Anti-Kolonialisten hier versteckten, um der französischen Polizei zu entkommen.
Davon ist der Ort heute weit entfernt. In den 1960ern und 1970ern erhielt er den Spitznamen «Ibiza Westafrikas», weil hier viele Junge das Leben genossen. Die Partymeute ist weitergezogen, ein Urlaubsziel ist der Ort – knapp zwei Stunden von Abidjan entfernt – geblieben. Die meisten Lodges stehen auf der Landseite der rund 20 Kilometer langen Lagune und bieten dann Taxiboote, um zum Strand auf der rund 100 bis 500 Meter breiten Landzunge zu kommen. Einige Fischer leben noch hier und einige Lodges stehen auf der Landzunge, so wie meines.
Leider bin ich nicht nur für Ferien hier. Darum bin ich auf eine Internetverbindung angewiesen. Entgegen der Beschreibung fehlt allerdings das WLAN. Ali meint: «Ich schaue, was ich machen kann.» Fürs Erste gibt er mir seine SIM-Karte mit Flatrate, ich könne mir einen Hotspot machen. Zwei Stunden später kommt er mit einem Router vorbei. Ich könne den bei mir im Zimmer einstecken.
Ich weiss nicht genau, wie er das abends um 20 Uhr gemacht hat. Aber der Router funktioniert einwandfrei. Ich denke an die vielen Geschichten von Umzügen in der Schweiz und wie lange es da dauern kann, bis die Internetverbindung steht. Afrika kann manchmal so effizient sein. Oder vielleicht bin ich wirklich im Paradies angekommen.
Am nächsten Tag spaziere ich fünf Kilometer am einsamen Strand entlang. Ausser ein paar Fischern ist niemand da. Der ganze Strand gehört praktisch mir alleine. Dieser ist auch ziemlich sauber. Etwas Plastikabfall liegt zwar herum, aber im Vergleich zu anderen Orten im Land fällt dieser kaum auf. Ich sammle einige Sanddollar-Skelette, plaudere mit den Fischern und geniesse das Leben.
Warum nur bin ich hier gefühlt der einzige Tourist? Hinter den Palmen beim Strand erkenne ich diverse Lodges. Aber sie scheinen verlassen, nicht in Betrieb oder noch nicht fertig zu sein. Nur selten sieht es nach Leben aus in den Ferienanlagen.
Ali erklärt mir später, dass am Wochenende all die Städter aus Abidjan anreisen, dann wird es voll. Unter der Woche sei momentan nicht Hauptsaison. Er habe erst einen Tag nach meinem dreitägigen Aufenthalt wieder eine Buchung. Ich kann mein Glück kaum fassen und finde nach all den hektischen und lauten Tagen rund um den Afrika-Cup eine Ruhe, wie ich sie selten erlebt habe.
Wie sähe so ein Strand wohl aus, wenn er sich in Italien befinden würde. Oder sonst an einem Ort, an dem der Massentourismus längst Einzug gehalten halt. «Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet», schrieb Hans Magnus Enzensberger einst.
Gut möglich, dass der Tourismus auch hier bald eine Aufwertung erlebt. Vielleicht hatte ich mit meinem Aufenthalt einfach nur Glück. Hinter Assinie-Mafia in der Lagune kann man den National Park Iles Ehotile per Boot oder Kanu entdecken, einige Kilometer entfernt an der Küste tummeln sich Surfer und soeben wurde eine vierspurige Strasse von Grand-Bassam bis Assinie-Mafia fertiggestellt. Wer aus Europa anreist, kommt ziemlich problemlos und ohne durch den Stadtverkehr Abdijans zu müssen hier an. Vielleicht erhält Enzensberger hier auch bald recht.
Präsident Alassane Ouattara liess die Strasse bauen. Im nächsten Jahr stehen Wahlen an. Obwohl mir viele Leute versichern, dass der Machthaber seine Sache einigermassen gut mache, ist seine Wiederwahl nicht gesichert. Der ehemalige Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam will mit seiner PDCI-Partei zurück an die Macht.
Zwei Tage später miete ich einen Töff und erkunde auch noch die Strände rund um Grand-Bassam. Die erste Hauptstadt der Elfenbeinküste, deren alter Stadtteil seit 2012 zum UNESCO-Welterbe zählt, liegt 30 Minuten von Abidjan entfernt – wenn es der Stadtverkehr gut meint. Auf sandigen Strassen holpere ich dem Meer entlang. Hier geht der Strand nicht sanft ins Meer über, sondern es wird sehr schnell tief. Die Wellen sind entsprechend hoch und krachen heftig ans Ufer.
Ich finde das Maison de la Lagune. Eine Französin betreibt die kleine Hotelanlage. Zur Lagune hin verteilen sich die Häuschen, am Strand stand bis vor wenigen Jahren ein schöner Swimmingpool und ein Restaurant. Dann «frass» sich das Meer bei der Flut 2019 ins Land und Riss die Bauwerke weg. Als alles wieder aufgebaut war, kam das Hochwasser 2022 und der Rückfall auf Feld 1.
Ohne Swimmingpool, der dabei zerstört wurde, kommen noch weniger Gäste. Da nützt die traumhafte Lage wenig. Die Besitzerin sagt: «Ich baue alles nochmals auf, aber dann versuche ich, das Hotel zu verkaufen.» Vermutlich ist es hier doch nicht das Paradies. Aber immerhin für einen Urlaub nahe dran.