Die Mitarbeiter von Donald Trump verschicken wieder fleissig Bettelbriefe. Der Ex-Präsident selbst will einen Boxkampf kommentieren und bald eine Rally im Bundesstaat Iowa durchführen. Die Sommer-Golfsaison ist vorbei – und Trump widmet sich wieder voll und ganz der Politik.
«Ich bin fast sicher, dass er wieder antritt. Ja, ich wäre schockiert, wenn er es nicht täte», sagt Lindsey Graham, der republikanische Senator aus South Carolina und regelmässiger Golfpartner des Ex-Präsidenten, gegenüber der «Washington Post». «Ich halbe lange geglaubt, er würde zuerst die Zwischenwahlen abwarten, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich denke, Afghanistan hat viel damit zu tun.»
So zynisch dies auch sein mag, Trump will offenbar Afghanistan zu seinem Trumpf für einen Wiedereinzug ins Weisse Haus machen. Vergesst, dass er es war, der den miserablen Deal mit den Taliban abgeschlossen hat. Vergesst, dass Trump sich dabei gerühmt hat, diesen Deal so wasserfest gemacht zu haben, dass er nicht mehr rückgängig zu machen sei. Vergesst, dass er noch im Juni Präsident Biden gerügt hatte, weil er die US-Truppen nicht schon früher abgezogen habe.
Nun ruft Trump die Eltern der 13 beim Abzug gefallenen Soldatinnen und Soldaten an, in der Absicht, sie gegen Biden aufzuwiegeln. Unterstützt wird er dabei von Fox News, hauptsächlich von Sean Hannity. Trump und seine Handlanger sind im Begriff, eine neue Version einer Dolchstosslegende zu basteln. Demnach hätte ein kleiner Trupp amerikanischer Soldaten die Machtübernahme der Taliban und den chaotischen Rückzug verhindern können.
Mit einer Dolchstosslegende ist seinerzeit auch Hitler an die Macht gekommen. Er hatte behauptet, die tapferen deutschen Soldaten seien im Ersten Weltkrieg von feigen Politikern und Juden verraten worden.
Immer noch nicht überwunden hat Trump seine Niederlage im November. Nach wie vor hält er eisern an der Big Lie fest, der x-fach widerlegten These, Biden hätte nur dank Wahlmanipulation gewonnen. Ja, er giesst gar Öl ins Feuer. Neuerdings verbreitet er die lächerliche Lüge, wonach 15 Millionen Stimmen für ihn nicht gezählt worden seien.
In einem E-Mail schreibt Trump: «Es ist ein sehr trauriger Tag für 75 Millionen Amerikaner, die mich gewählt haben, und für die 15 Millionen Amerikaner, deren Stimme nicht gezählt wurde. Wir. Können. Nicht. Vertrauen. Briefstimmen.» (Sorry, er drückt sich nun mal so aus.)
Natürlich ist das eine völlig absurde Behauptung, die zu widerlegen es sich nicht lohnt. Doch die Big Lie beginnt, Schule zu machen, und Trump hat bereits Nachahmer. In Kalifornien können die Wählerinnen und Wähler nächste Woche darüber abstimmen, ob der amtierende Gouverneur Gavin Newsom aus dem Amt gejagt werden soll oder nicht. Bei einem Ja würde der Radio-Moderator Larry Elder, eine schwarze Version von Trump, Gouverneur werden.
Alles deutete lange auf ein äusserst knappes Rennen hin. Doch in den letzten Tagen scheint sich das Blatt zugunsten von Newson gewendet zu haben. Jüngste Umfragen deuten auf eine Mehrheit für den amtierenden Gouverneur hin. Und wie regiert der «schwarze Trump»: Sollte er nicht gewählt werden, dann sei einzig Wahlbetrug der Grund, posaunt er jetzt schon in die Welt hinaus.
Eine noch extremere Version der Big Lie kommt von Adam Laxalt. Er kandidiert in Nevada als Senator für die Wahlen im kommenden Jahr und wird von Trump unterstützt. Noch bevor die Vorwahlen über die Bühne gegangen sind, sagt er, seine Wahl könne einzig mit Manipulation verhindert werden.
Am 18. September will Matt Braynard, ein ehemaliger Wahlhelfer von Trump, zu einer Demonstration vor dem Kapitol in Washington aufrufen. Dabei soll für eine Freilassung der angeblichen «politischen Gefangenen» des 6. Januar protestiert werden. «Was damals geschah, war, dass ein paar schwarze Schafe die Ordnungskräfte angegriffen haben», sagt Braynard. «Das verurteilen wir. Aber die Mehrheit waren Personen, die von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machten.»
Wie man das angesichts der zahlreichen Videos vom Sturm auf das Kapitol behaupten kann, wird wohl für ewig Braynards Geheimnis bleiben. Doch seine Demonstration wird ernst genommen. Nancy Pelosi, die demokratische Mehrheitsführerin im Abgeordnetenhaus, lädt am kommenden Montag zu einer Krisensitzung der führenden Köpfe beider Parteien ein. Die Polizei wird an diesem Tag alle Mann an Deck haben. Möglicherweise wird gar der Zaun, der nach dem 6. Januar um das Kapitol errichtet wurde, wieder aufgebaut.
Warum kehrt in den USA keine Ruhe ein? Letztlich ist es die Tatsache, dass eine schwindende Mehrheit von Weissen keinen multiethnischen Staat akzeptieren will. Entweder einen weissen Staat, oder gar keinen, lautet ihre dogmatisch verteidigte Losung. Deswegen ist ihnen kein Mittel zu schmutzig und kein Trick zu dreckig, Menschen anderer Hautfarbe daran zu hindern, ihre von der Verfassung zugesicherten demokratischen Rechte auszuüben.
Die Konservativen sind bereit, für dieses Anliegen alles zu opfern – auch die Demokratie.