Putin droht bei Reise nach Genf trotz Haftbefehl keine Festnahme – warum das möglich ist
Nach dem Gipfeltreffen im Weissen Haus vom Montag scheint ein Treffen zwischen Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj näher zu rücken. So nahe, dass bereits über mögliche Austragungsorte für einen Russland-Ukraine-Gipfel gesprochen wird. Dabei sorgt in der Schweiz vor allem ein Satz von Emmanuel Macron für Aufsehen. So sagte der französische Präsident:
Der Satz sorgte in der Schweiz zum Teil für Erstaunen. So ist die Schweiz Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH), der sich rechtlich auf das Römer Statut beruft. Er hat im Frühling 2023 einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Trotzdem sagte Bundesrat Ignazio Cassis am Montag, eine Einreise Putins ohne Festnahme sei möglich. Wie kann das sein? Ein Blick auf die Fakten.
Wie sieht der Haftbefehl gegen Wladimir Putin genau aus?
Am 17. März 2023 hat der IStGH einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Die Begründung: Es gebe «vernünftige Gründe anzunehmen», dass der Kreml-Chef «die Verantwortung für das Kriegsverbrechen der widerrechtlichen Deportation» ukrainischer Kinder nach Russland trage. Gemeint ist die mutmasslich illegale Verschleppung der Kinder seit Februar 2022.
Der Haftbefehl ist für alle Mitgliedstaaten gültig. Er verpflichtet sie grundsätzlich, ihn zu vollstrecken, wenn Putin einreist.
Also kann Putin verhaftet werden?
Theoretisch schon, da auch die Schweiz Mitglied des IStGH ist. «Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, grundsätzlich uneingeschränkt mit dem IStGH zusammenzuarbeiten», heisst es auf der Website des Bundesamts für Justiz (BJ). «Grundsätzlich» würden Haftbefehle auch ausgeführt, wie es 2023 in einer Stellungnahme schrieb.
Oder wie es in einem Bericht zum IStGH heisst: «Mit dem Erlass des Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ZISG) hat die Schweiz die notwendige gesetzliche Grundlage geschaffen. Um eine optimale Zusammenarbeit zu gewährleisten, ist im BJ eine Zentralstelle mit weitreichenden Kompetenzen geschaffen worden. Die Zentralstelle nimmt die Ersuchen des Gerichtshofs entgegen und entscheidet über den Umfang sowie die Modalitäten der Zusammenarbeit.» Doch so einfach ist es eben nicht.
Die Hintertür
Das erste Mal in einen IStGH-Mitgliedsstaat reiste Putin vor knapp einem Jahr, als er in der Mongolei empfangen wurde. International wurde zur Vollstreckung des Haftbefehls aufgerufen, jedoch ohne Erfolg.
Das Problem: Der IStGH hat keine eigenen Polizeikräfte, die einen Haftbefehl durchsetzen könnten. Die Vollstreckung liegt bei den Mitgliedstaaten. Die Konsequenzen für ein Ignorieren des Haftbefehls sind demnach diplomatische Spannungen und internationale Kritik – aber keine juristischen Sanktionen.
Deshalb kann Putin trotzdem einreisen
Der Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin würde einer Reise des russischen Präsidenten zu Friedensgesprächen nicht im Wege stehen, wie der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis erklärte.
Der Bundesrat hat demnach bereits Verfahren definiert, um Putin vorübergehend Immunität zu gewähren. Cassis verwies auch auf die Teilnahme der Präsidentin des russischen Föderationsrates, Walentina Matwijenko, und weiterer Kreml-naher Politiker an einem Parlamentariertreffen in Genf Ende Juli.
Matwijenko steht eigentlich auf den Sanktionslisten der Schweiz und der EU, gegen sie gilt ein Einreiseverbot. Die Schweiz hatte dieses vorübergehend aufgehoben und sich dabei laut Cassis mit dem Strafgerichtshof und den Nachbarstaaten abgestimmt. (sda/dab/vro)