International
Analyse

5 Gründe, weshalb der Anschlag auf Paul Pelosi Angst macht

FILE - Speaker of the House Nancy Pelosi, D-Calif., and her husband, Paul Pelosi, arrive at the State Department for the Kennedy Center Honors State Department Dinner, on Dec. 7, 2019, in Washington.  ...
Nancy Pelosi und ihr Ehemann Paul.Bild: keystone
Analyse

Weshalb der Anschlag auf Paul Pelosi Angst macht – und was Elon Musk damit zu tun hat

Politische Gewalt, Rassismus und Antisemitismus sind in den USA auf dem Vormarsch. Und was führt Elon Musk im Schild?
31.10.2022, 13:4811.11.2022, 16:34
Mehr «International»

Politische Attentate haben in den USA eine lange Tradition, und ja, sie sind auf beiden Seiten des politischen Spektrums angesiedelt: John F. Kennedy wurde erschossen, Ronald Reagan beinahe. Rechtsradikale Milizen wollten Gretchen Whitmer, die demokratische Gouverneurin von Michigan, entführen. Ein linksradikaler Attentäter tötete beinahe den republikanischen Abgeordneten Steve Scalise.

So gesehen könnte man den Anschlag vom vergangenen Freitag auf Paul Pelosi, den Gatten von Nancy Pelosi, in diese unrühmliche Tradition einreihen, ihn bedauern – und zum Alltagsgeschäft übergehen. Man sollte es nicht tun. Und das sind die Gründe:

1. Das aufgeheizte politische Klima

Vier von fünf Demokraten sehen in den Republikanern nicht nur politische Gegner, sondern eine Gefahr für die Demokratie. Umgekehrt ist es genauso. So wie bei uns einst Katholiken keine Protestanten heiraten durften, verzweifeln heute amerikanische Eltern, wenn eines ihrer Kinder ein Mitglied der anderen Partei ehelichen will.

Far-right Proud Boys member Jeremy Joseph Bertino, second from left, joins other supporters of President Donald Trump who are wearing attire associated with the Proud Boys as they attend a rally at Fr ...
Gewaltbereit: die Proud Boys. Bild: keystone

Die Amerikaner sind politisch gespalten wie nie mehr seit dem Bürgerkrieg, und das ist weit mehr als eine Statistik. Rund die Hälfte der Republikaner glaubt nicht nur an einen bevorstehenden neuen Bürgerkrieg, sondern begrüsst diese Entwicklung sogar. Angesehene Politologen halten die Gefahr eines solchen Krieges für beträchtlich. Die Amerikaner sind denn auch bis auf die Zähne bewaffnet. Es gibt mittlerweile mehr Schusswaffen als Bewohner im Land.

2. Der Anschlag war kein Zufall

Susan Collins, eine gemässigte republikanische Senatorin aus dem Bundesstaat Maine, hat schon vor Wochen in der «New York Times» vor einem Anschlag auf Kongress-Mitglieder gewarnt. Dass Paul Pelosi das Opfer wurde, ist kein Zufall. Er ist der Gatte der Frau, die von den Rechten wie keine zweite gehasst wird. Der Attentäter, ein 42-jähriger Mann namens David DePape, schrie daher, als er ins Haus eingedrungen war: «Wo ist Nancy?»

A heart shaped sculpture and a light on are seen inside a window of the home of House Speaker Nancy Pelosi and her husband Paul Pelosi in San Francisco, Friday, Oct. 28, 2022. Paul Pelosi, was attacke ...
Das Haus der Pelosis in San Francisco.Bild: keystone

Nancy Pelosi verkörpert so ziemlich alles, was die Konservativen verabscheuen. Sie ist intelligent, wohlhabend und die wohl geschickteste Strategin der amerikanischen Politik. «Es ist das Geschlecht. Es ist die Klasse. Es ist die Vorstellung einer reichen linksliberalen Frau aus San Francisco. Alles ist da», sagt David Axelrod, ein ehemaliger Berater von Barack Obama, gegenüber der «New York Times».

Hass-Memes gegen Pelosi sind in rechtsradikalen Foren so häufig wie Sand am Meer. Donald Trump hat dabei noch Öl ins Feuer gegossen. Er bezeichnete Pelosi immer wieder als «verrückt» und warf ihr vor, sie sei hysterisch und neige zu unkontrollierten Nervenzusammenbrüchen. Die rechtsradikale Abgeordnete Marjorie Taylor Greene beschimpfte Pelosi gar als «Landesverräterin», ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft werden müsse.

3. Die Rechtsradikalen sind gefährlicher als die Linken

In den Polit-Talkshows am Sonntag gaben sich Vertreter der Grand Old Party alle Mühe, darauf hinzuweisen, dass die Gewalt auf beiden Seiten des politischen Spektrums zu finden sei. Sie verwiesen etwa auf einen kürzlich verhinderten Anschlag auf Brett Kavanaugh, einen konservativen Richter des Supreme Courts. Doch der Vergleich ist mehr als schief.

Seit Jahren bezeichnet das FBI den rechtsextremen Terrorismus als die grösste Gefahr für die Sicherheit des Landes, und das FBI ist nicht unbedingt als linksradikale Organisation bekannt.

FILE - Stewart Rhodes, founder of the Oath Keepers, speaks during a rally outside the White House in Washington, June 25, 2017. A member of the Oath Keepers who traveled to Washington before the Jan.  ...
Stewart Rhodes, der Anführer der Oath Keepers.Bild: keystone

Tatsächlich ist diese Aussage statistisch solid untermauert. Seit 2001 haben rechtsextreme Terroristen 122 Menschen in den USA getötet. Dagegen steht bloss ein Opfer eines Anschlags von Linksextremen. Eine Studie des Center for Strategic and International Studies, eines renommierten Thinktanks, hat letztes Jahr ergeben, dass Rechtsextreme in 267 geplante oder ausgeführte Anschläge involviert waren. Dem stehen 60 ähnliche Pläne von Linksextremen gegenüber.

Eine Studie der «Washington Post» und der University of Maryland schliesslich kam zum Befund, dass 40 Prozent der Republikaner angeben, Gewalt gegen die Regierung sei gerechtfertigt. Bloss 23 Prozent der Demokraten teilen diese Meinung.

4. Wachsender Rassismus und Antisemitismus

Der Rapper Kanye West, der neuerdings nur noch Ye genannt werden will, war eine kulturelle Ikone in den USA. Er gilt nicht nur als ein musikalisches Genie, sondern auch als ein begnadeter Modeschöpfer. Zusammen mit seiner inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau Kim Kardashian verkörperte West schwarzen Stolz und hemmungslose Konsumwut.

epa05674154 US musician Kanye West (R) pose for a picture with US President elect Donald Trump at Trump Tower in Manhattan, New York, USA, 13 December 2016. EPA/JOHN TAGGART / BLOOMBERG / POOL
Kanye West zusammen mit Donald Trump.Bild: EPA/BLOOMBERG POOL

Inzwischen ist West zum Symbol für Antisemitismus und – auf perverse Weise – Rassismus geworden. An der Pariser Modewoche trat er in einem T-Shirt mit der Aufschrift «White Lives Matter» auf. Kurz darauf veröffentlichte er einen Tweet, in der er drohte, er werde nun auf Alarmstufe drei gegen die Juden gehen.

Damit ist West offensichtlich zu weit gegangen. Sponsoren wie Adidas haben seine Verträge gekündigt. Selbst eine inzwischen nachgereichte Entschuldigung dürfte nicht mehr verhindern, dass der Rapper, dessen geistige Gesundheit umstritten ist, endgültig zum Paria geworden ist. Bedenklich ist jedoch die Tatsache, dass West damit eine Flut von antisemitischen Tweets ausgelöst hat. Womit wir bei der Frage angelangt sind:

5. Was ist mit Twitter los?

Elon Musk will mit seinem Kauf von Twitter die Plattform zu einer Arena formen, in der alle Stimmen gehört werden. Deshalb hat er noch am Tag der Übernahme die Mitglieder der Geschäftsleitung gefeuert und angekündigt, es werde künftig keine Zensur mehr geben. Worauf er sich da eingelassen hat, war ihm offensichtlich nur teilweise bewusst. Schon kurz darauf musste er in einer Mitteilung an die Werbekunden nachschieben, Twitter werde kein «Höllenloch» für Extremisten werden.

Genau dies bahnt sich an, und Musk selbst mischt dabei kräftig mit. Am Sonntag hat er einen Tweet an seine 112 Millionen Follower zum Attentat auf Paul Pelosi abgesondert, in dem es heisst: «Es gibt eine winzige Möglichkeit, dass an dieser Story mehr dran ist als auf den ersten Blick ersichtlich.» Was hat Musk damit gemeint?

Nancy Pelosi Elon Musk
Nancy Pelosi und Elon Musk.Bild: shutterstock

Der Tweet bezieht sich auf eine Story, welche im «Santa Monica Observer» erschienen war, einem Blatt, das für rechtsextreme Lügengeschichten notorisch bekannt ist. Ohne einen Hauch von Beweisen wird die Behauptung aufgestellt, dass es sich im Fall von Paul Pelosi nicht um einen politisch motivierten Anschlag, sondern um einen Streit unter Homosexuellen gehandelt habe.

Die rechtsextreme Szene hat diese Fake News sofort und dankbar aufgenommen. Der von Trump begnadigte rechtsextreme Filmer Dinesh D’Souza beispielsweise teilte seinen Twitter-Followern umgehend mit: «Die Linke läuft Amok, weil wir ihre durchgeknallte These vom Anschlag auf Paul Pelosi nicht glauben, ja weil wir darüber lachen, weil sie so lächerlich ist. Das bedeutet, dass wir ihren Fake News nicht mehr glauben. Die Kontrolle der Linken über uns ist endlich gebrochen.»

Elon Musk sagt von sich selbst, er leide unter einer milden Form des Asperger-Syndroms und neige daher zu unkontrollierten Ausbrüchen. Seinen Paul-Pelosi-Tweet hat er mittlerweile wieder gelöscht. Was bleibt, ist die Sorge, dass sich Twitter tatsächlich zu einem Höllenloch der Rechtsextremen entwickeln wird.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Kanye West trifft Donald Trump
1 / 8
Kanye West trifft Donald Trump
Hier kommt Kanye West zu seinem ersten grossen Treffen mit dem von ihm verehrten Donald Trump an.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Chaos in Washington
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
139 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Horobar
31.10.2022 14:46registriert November 2016
Als diagnostizierter Aspi:
Nein! Asperger ist keine Ausrede für fehlende Impulskontrolle.
22312
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schlaf
31.10.2022 14:05registriert Oktober 2019
Noch was zu den Proud Boys:
Amis, please don't go home!\nStarke Menschen, ich hab da noch was für dich:
20120
Melden
Zum Kommentar
avatar
René Obi
31.10.2022 13:59registriert Oktober 2015
Die grösste Gefahr neben dem Klima für unsere Zivilisation droht von Rechtsaussen.
20828
Melden
Zum Kommentar
139
Steuererleichterungen für Ausländer? Madrid plant «Mbappé-Gesetz»
Kylian Mbappé wird schon seit Ewigkeiten mit Real Madrid in Verbindung gebracht. Dort könnte er noch mehr verdienen als bislang angenommen.

Frankreichs Superstar wird Paris Saint-Germain im Sommer verlassen. Der Vertrag des 25-Jährigen läuft aus. Und schenkt man den seit Monaten, ja eigentlich schon seit Jahren grassierenden Gerüchten Glauben, dann gibt es für den Stürmer nur ein Transferziel: Real Madrid.

Zur Story