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Warum Putins Macht durch China an seine Grenzen stösst

Russian President Vladimir Putin, left, gestures while speaking to Chinese President Xi Jinping during the Shanghai Cooperation Organization (SCO) summit in Samarkand, Uzbekistan, Friday, Sept. 16, 20 ...
Russland ist von der Volksrepublik China abhängig.Bild: keystone
Analyse

Russland in der Bredouille: Warum Putins Macht durch China an ihre Grenzen stösst

15.11.2022, 19:0916.11.2022, 12:28
Anna Von Stefenelli / watson.de
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Russlands Machthaber Wladimir Putin hatte sich die Situation wohl anders vorgestellt. Der Einzug russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar hatte eine schnelle Übernahme des Landes zum Ziel. Doch es kam anders. Aktuell muss Putin über acht Monate nach Beginn des Krieges sogar eine grosse Niederlage einstecken. In der kürzlich annektierten Region Cherson wehen nun wieder ukrainische Fahnen.

Und: Russlands wichtigster Verbündeter, die Volksrepublik (VR) China, verurteilt die Atom-Drohungen des Kreml vor dem G20-Gipfel. Ausgerechnet gemeinsam mit den USA. US-Präsident Joe Biden und der chinesische Präsident Xi Jinping hielten im Vorfeld auf Bali ein etwa dreistündiges Treffen ab, bei dem sich die beiden Wirtschaftsmächte aufeinander zubewegten.

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US-Präsident Joe Biden und der chinesische Präsident Xi Jinping nähern sich an.Bild: keystone

Für Putin ein klares Signal. Die VR China zeigt damit die Grenzen der russisch-chinesischen Beziehungen auf. So deutet es der Politökonom und Russlandexperte Sebastian Hoppe. Der Wissenschaftler forscht an der Freien Universität Berlin unter anderem zu russisch-chinesischen Beziehungen.

Im Gespräch mit watson gibt Hoppe einen Einblick in die aktuelle Situation Russlands. Und erklärt, warum Russland sich mit dem Krieg in der Ukraine offenbar keinen Gefallen getan hat.

Das bedeutet Xi Jinpings Positionierung für Russland

Die Abhängigkeit Russlands von China wächst seit Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine. Durch die internationalen Sanktionen ist die VR China für Russland zum wichtigsten Handelspartner geworden. So ist Moskau zunehmend auf chinesische Produkte und Ersatzteile angewiesen, die das Land nun nicht mehr aus dem Westen beziehen kann.

Dieses Zusammenspiel zwischen den beiden Staaten laufe allerdings nicht so, wie Russland sich das gewünscht hätte, sagt der Politökonom Sebastian Hoppe: «Seit Kriegsbeginn zeigt sich, dass einige chinesische Unternehmen zurückhaltend sind.»

epa10262579 A man works on the construction site in Shanghai, China, 24 October 2022. China's Gross Domestic Product (GDP) rose to 3.9 percent year-on-year in the third quarter of 2022, the Natio ...
China gehört mittlerweile zu den grössten Wirtschaftsmächten der Welt.Bild: keystone

Geld geht vor: Die chinesisch-russischen Beziehungen haben Grenzen

Hoppe beschreibt die Russland-China-Partnerschaft vor dem Krieg als «defensiv». Beide Parteien hätten ihre Vorteile daraus gezogen.

So hätten die Länder «die Partnerschaft genutzt, um sich gegen die Einmischung fremder Mächte aus dem Westen und der NATO zu schützen». Sicherheitsinteressen sind also ein Bindeglied der Partnerschaft. Dafür akzeptierten auch beide Länder kleinere Konflikte. Aber: «Ein Full-Scale-Krieg in Europa liegt nicht im Interesse Chinas. Europa ist immer noch der grösste Markt für die Chinesen», sagt Hoppe.

Politisch gesehen habe die Verurteilung der russischen Atom-Drohungen vonseiten Xi Jinpings zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Partnerschaft. Dennoch sende China damit ein klares Signal: «Der Gipfel zeigt, dass China nicht bereit ist, die Beziehung zu den USA und westlichen Partnern abzubrechen», sagt Hoppe. Im Gegenteil. Die USA und die Volksrepublik bemühen sich, ihr zerrüttetes Verhältnis zu reparieren. Ein Schlag ins Gesicht Putins, der sich im Inland stets mit der Unterstützung der VR China im Kampf gegen den Westen brüstet.

Darum will China ein Ende des Ukraine-Krieges

Es entsteht zunehmend eine Diskrepanz in der Aussenpolitik der beiden Länder. Das zeigt sich auch beim G20-Gipfeltreffen auf Bali. «Xi Jinping ist da, Wladimir Putin nicht», sagt Hoppe.

Chinas Präsident nutzt internationale Foren und Beziehungen weiterhin und ist auf diese angewiesen.

Das ist auch der Grund dafür, dass sich die Volksrepublik rhetorisch nicht eindeutig auf Russlands Seite schlägt. «China hat seit Beginn des Krieges zwar eine deutliche Schlagseite in Richtung Russland gezeigt, allerdings formulierte das Land seine Positionen so schwammig, dass sie in beide Richtungen interpretiert werden können», erklärt Hoppe.

FILE - Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin shake hands during an awarding ceremony at the Great Hall of the People in Beijing, China, on June 8, 2018. Xi is keepi ...
Chinas und Russlands Wirtschaftsbeziehungen sind eng miteinander verflochten.Bild: keystone

Der Krieg Russlands in der Ukraine bringt der VR China mehr Nachteile

Die Volksrepublik will damit die eigene Wirtschaft schützen: «Was Russland mit dem Einzug in die Ukraine gemacht hat, ist offensiv und birgt alle möglichen Risiken für China. Auch der sich ändernde Diskurs im Westen ist nicht im chinesischen Interesse.»

Die chinesische Rhetorik bleibt in vielerlei Hinsicht ambivalent. Schliesslich hat der Ukraine-Krieg der Volksrepublik auch Vorteile gebracht – etwa einen grösseren Spielraum, Preise für Exporte aus Russland zu drücken und so beispielsweise günstig Erdgas zu beziehen. Im Grossen und Ganzen überwiegen aber die Nachteile. Gerade in Hinblick auf den europäischen Absatzmarkt. «China hat deshalb ein Interesse an einem schnellen Ende des Krieges», bestätigt Hoppe.

Darum hat sich Putin mit dem Krieg keinen Gefallen getan

Die Lage in der Ukraine könnte nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene zunehmend zum Problem für Russland werden. Das Land muss aktuell mehrere Rückschläge einstecken. Keine Lösung findet der Kreml momentan etwa für die Rückeroberung des russisch annektierten Gebiets Cherson. Dort wehen derzeit ukrainische Fahnen, obwohl Russland das Gebiet bereits in die eigene Verfassung aufgenommen hat. Besonders bitter: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte die aus Putins Sicht russische Region.

Da stellt sich die Frage, wie diese Botschaft im eigenen Land ankommt. Hoppe stellt klar: Eine Einschätzung zum Rückhalt der aktuellen Geschehnisse in der Bevölkerung ist schwierig, weil es keine verlässlichen Meinungsumfragen aus dem Land gibt. «Mein Eindruck ist aber, dass die Mehrheit der Menschen in Russland zwar nicht hinter dem Krieg steht, hinter Putin aber sehr wohl.»

Der Krieg ist in der russischen Bevölkerung angekommen

Das liege zum grossen Teil an der Kommunikation innerhalb des Landes. Hoppe sagt:

«Man sieht es daran, wie man von Anfang an versucht hat, den Krieg zu managen: Lange hat man es nicht ‚Krieg‘ genannt und das Leben lief für die meisten normal weiter. Man hat versucht, das Thema aus der Bevölkerung fernzuhalten.»

Ausserdem gebe es keine oppositionellen Netzwerke im Land. Es sei schwierig, andere Meinungen anzubringen.

epa10250345 A handout photo released by the press service of the State Emergency Service (SES) of Ukraine shows emergency services responding to a fire after shelling in Kyiv (Kiev), Ukraine, 18 Octob ...
Der Angriffskrieg in der Ukraine dauert seit fast neun Monaten an.Bild: keystone

Dennoch: Mittlerweile ist der Krieg in Russland angekommen.

Auch im russischen Staatsfernsehen ist die Lage in der Ukraine ein Thema. «Überraschend zu sehen war für mich, dass in den Staatsmedien durchaus auch über Rückschläge berichtet wurde. Niederlagen werden zur Kenntnis genommen und es wird nach Ursachen gefragt», sagt Hoppe. Die Information sickere also zur Bevölkerung durch. Etwa auch durch das Internet oder Soldaten, die ihren Familien und Freund:innen von den Geschehnissen an der Front berichten. Einen entscheidenden Wandel in der öffentlichen Meinung über Putin gebe es deshalb aber noch nicht.

Wirtschaftseliten können «System Putin» zerbrechen

Schwieriger sei das Verhältnis einiger Mitglieder der russischen Wirtschaftselite und Oligarchen zum Kreml-Machthaber und der Regierung. Denn laut Hoppe ist der Angriffskrieg in der Ukraine ein teures Abenteuer. Viele Russen haben unglaublich viel verloren.

Mitglieder der Wirtschaftselite dürften aus diesem Grund kein Interesse daran haben, dass der Krieg sich weiter in die Länge zieht. Nach Meinung des Experten könnten sie sich – besonders im Falle einer Häufung russischer Rückschläge in der Ukraine – Gedanken machen, ob Putin weiterhin die Figur sein kann, die die Dinge im Land koordiniert.

Wenn Putin stürzt, dann schnell

Aktuell gibt es laut dem Experten aber keine Anzeichen, dass es von dieser Seite aus grosse Bestrebungen gibt, Putin loszuwerden. Der Grund: In politischen Systemen, in denen die Macht so stark zentriert ist, gebe es viele Personen, deren Position und Status daran hängen. So seien die Anreize, die Regierung zu stürzen, relativ gering.

Das kann sich jedoch schnell ändern. «Herrschaftspyramiden, die so stark zentriert sind, können sehr schnell zusammenbrechen», meint Hoppe.

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Grobianismus
15.11.2022 20:43registriert Februar 2022
Hier sieht man wieder, wie sehr die Chinesische Wirtschaft vom Westen abhängig ist. Der Westen soll anfangen, einen grossteil der Produktion zurück in den Westen zu holen. Wird zwar teurer, ist aber qualitativer und umweltfreundlicher.
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D.Enk-Zettel
15.11.2022 20:21registriert Oktober 2021
Tja Wladi....jeder ist sich selbst der Nächste...das gilt insbesondere auch für Xi. Gerade er kann sich eben auch nicht alles erlauben und quasi auf "tutti" zu gehen. Zu gross wären die Risiken für China in gleiche wirtschaftliche Strudel zu geraten, wie Russland. Das was du als Wärme empfunden hast, war leider nur die Reibungswärme, als Xi dich begann über den Tisch zu ziehen. Kleiner Mann, was nun? Als nächstes werden dir deine Schreihälse in den Rücken fallen.
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Ali mini äntli
15.11.2022 20:17registriert September 2021
Ja es sind schon andere Diktatoren scheinbar sicher im Sattel gesessen. Und Schwups waren sie weg. Ob Gadaffi, Tschautschesko oder wie sie alle heissen.
Meine Prognose ist, dass Vladolf seinen nächsten Geburtstag nicht mehr im Kremel feiern kann.
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