Zuerst ein Vergleich: Jedermann hat das Recht, die Geldpolitik der Nationalbank zu kritisieren – und unzählige reale oder eingebildete Geldexperten tun dies auch. Niemand hat jedoch das Recht, deswegen eigene Banknoten zu drucken. Wer dies tut, begeht ein schweres Verbrechen.
Dieser Unterschied ist wichtig, wenn es darum geht, die Anklage Nummer drei gegen Donald Trump richtig einzuordnen. Der Ex-Präsident und seine Apologeten bei den Republikanern und in den konservativen Medien behaupten nämlich, die Anklage des Sonderermittlers Jack Smith sei nichts anderes als ein grober Verstoss gegen die Meinungsfreiheit.
In einer Mitteilung des Trump-Lagers heisst es gar: «Die Gesetzlosigkeit dieser Verfolgung von Präsident Trump und seinen Anhängern erinnert an die Zustände von Nazi-Deutschland, der ehemaligen Sowjetunion und anderen autoritären, diktatorischen Regimes.»
Dieser Vergleich ist nicht nur absurd, er zielt auch vollkommen an der Sache vorbei. So heisst es in der Anklageschrift des Sonderermittlers ausdrücklich, Trump «habe das Recht, wie jeder andere Amerikaner auch, sich öffentlich zu den Wahlen zu äussern und dabei fälschlicherweise zu behaupten, es habe Wahlmanipulationen gegeben und er habe gewonnen».
Mit anderen Worten: Trump darf lügen, dass sich die Balken biegen, ohne deswegen rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Doch Trump hat Falschgeld gedruckt, um den einleitenden Vergleich nochmals zu bemühen. Er hat nicht nur gelogen, er hat aktiv versucht, das Resultat der verlorenen Wahlen nachträglich zu seinen Gunsten zu verändern.
Zu diesem Zweck hat der Ex-Präsident verschiedene Verschwörungen angezettelt. Die bekannteste davon ist der Versuch, Listen von alternativen Elektorenstimmen in den entscheidenden Swing States (Michigan, Pennsylvania, Wisconsin, Nevada, New Mexiko, Arizona und Georgia) anfertigen zu lassen und den Vize-Präsidenten Mike Pence zu animieren, diese gefälschten Listen anstelle der zertifizierten bei der definitiven Abstimmung am 6. Januar 2021 zu verwenden.
In der Anklageschrift heisst es deshalb ausdrücklich: «Jede dieser Verschwörungen – sie basieren auf dem weit verbreiteten Misstrauen, das der Angeklagte mit allgegenwärtigen und destabilisierenden Lügen über Wahlbetrug erzeugt hat – hat das Ziel, die Regierung der Vereinigten Staaten in ihren Grundfesten zu erschüttern: dem Prozess des Einsammelns, Auszählens und Zertifizierens der Stimmen der Wahlen zum Präsidenten.»
Sonderermittler Smith verzichtet auf eine Anklage wegen «verschwörerischen Aufruhrs». Er stellt keine Verbindung zwischen Trump und den Proud Boys und den Oath Keepers her, deren Anführer deswegen bereits zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt sind. Trotzdem kann die Schwere der Anklage gar nicht übertrieben werden. So schreibt Peter Baker, der Korrespondent der «New York Times» im Weissen Haus, in seiner Analyse:
Zunächst jedoch noch ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Die amerikanische Demokratie ist durch zwei bedeutende Taten zweier Gründungsväter massgeblich beeinflusst worden: Zuerst hat George Washington, der erste Präsident der USA, nach zwei Amtszeiten auf eine dritte verzichtet, obwohl er dies jederzeit hätte beanspruchen können. Da der legendäre Anführer des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs keine eigenen Kinder hatte, verhinderte er so die Entstehung einer Dynastie. Danach gestand sein Nachfolger John Adams ohne Widerstand seine Niederlage nach nur einer Amtszeit gegen seinen Erzfeind Thomas Jefferson ein und ermöglichte so eine friedliche Machtübergabe.
Beides stellt Trump infrage. Anders als Adams hält er bis heute an seiner Big Lie fest, und würde er tatsächlich wieder ins Weisse Haus einziehen, wäre die Gefahr gross, dass er – anders als Washington – wohl versuchen würde, so lange wie möglich an der Macht festzuhalten. Nicht umsonst schwärmt er immer wieder von Putin, Xi und anderen Diktatoren.
Trump wird seine Verteidigung auf das Meinungsfreiheits-Argument ausrichten. So erklärt sein Anwalt John Lauro bereits: «Ich glaube nicht, dass es ihnen (Smith & Co.) gelingen wird, ohne den geringsten Zweifel zu beweisen, dass Trump den Beteuerungen verschiedener ihm nahe stehender Personen geglaubt habe, die Wahlen seien nicht gefälscht gewesen.»
Genau dies zu beweisen, wird wohl die grösste Hürde sein, die Jack Smith zu überspringen hat. Er scheint dabei guten Mutes zu sein. So heisst es in der Anklageschrift ausdrücklich: «Die Behauptungen (der Wahlmanipulationen) waren falsch, und der Angeklagte wusste, dass sie falsch waren.»
Der Prozess im Fall der klassifizierten Dokumente wird bekanntlich in Florida von einer Richterin geleitet, die von Trump gewählt wurde und die in der Vergangenheit ein mehr als fragwürdiges Dekret zu seinen Gunsten verhängt hat. In Fall Nummer drei kann der Ex-Präsident nicht auf einen solchen Glücksfall hoffen. Der Prozess wird in Washington D.C. stattfinden. In der amerikanischen Hauptstadt hat Trump bei den letzten Wahlen gerade mal fünf Prozent der Stimmen erhalten – und die ausgeloste Richterin ist bekannt als harte Kritikerin des Ex-Präsidenten.
"Konsequenzen" sind schon ein paar Jahre rückläufig und beziehen sich häufig primär auf moralisches Fehlverhalten, nicht aber auf fachliche Mängel.
Dass der Schritt irgendwann kommen musste - also Lügen als Mittel zum Zweck kaum mehr verhehlt werden - war mMn. absehbar.
Erschreckend ist nur, wie wenig die demokratischen Institutionen dem entgegensetzen können.