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Pseudo-Friedensgespräche in Istanbul – um was es den Parteien wirklich geht

epa12151141 Vladimir Medinsky (C), head of the Russian delegation, delivers a statement to press after the second meeting between Russian and Ukranian delegations for peace talks in Istanbul, Turkey,  ...
Wladimir Medinskij, der russische Delegationsleiter in Istanbul.Bild: keystone
Analyse

Pseudo-Friedensgespräche in Istanbul – um was es wirklich geht

Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul dienen nur einem Zweck: Donald Trump zu beruhigen. Echte Entscheidungen fallen gerade auf dem Schlachtfeld.
03.06.2025, 04:5803.06.2025, 06:26
Denis Trubetskoy / Zeit Online
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Ein Artikel von
Zeit Online

Es waren selbst für den russisch-ukrainischen Krieg unübliche Vorzeichen, unter denen an diesem Montag die zweite direkte Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland in der Türkei stand. Dabei hatte man oft das Gefühl, in diesen fast dreieinhalb Jahren des Krieges bereits alles gesehen zu haben. 

Noch in der Nacht auf den Sonntag feuerte die russische Armee fast 500 Drohnen auf die Ukraine ab – die bisherige Höchstzahl. Die ukrainische Hauptstadt Kyjiw erlebte einen der längsten Luftalarme in diesem Krieg, er dauerte fast zehn Stunden an. Darauf folgte die spektakuläre Aktion des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, der mit vergleichsweise einfachen Drohnen strategische Bomber der russischen Luftwaffe erfolgreich angriff, bis tief hinein nach Ostsibirien.

Die Ukraine traf damit jene Flugzeuge, die seit Jahren Bomben und Raketen auf ihr Staatsgebiet abfeuern. Nach Auswertung der Bilder konnten zumindest neun Flugzeuge auf zwei Flugfeldern getroffen werden. Eine Operation, die für die moderne Kriegsführung einzigartig zu sein scheint.

Es ist also unter diesen Umständen kaum überraschend, dass die Gesichter der russischen Vertreter vor Beginn der heutigen Gespräche nicht besonders fröhlich aussahen. Dass die neue Verhandlungsrunde wegen des Drohnenangriffs vielleicht gänzlich abgesagt werden könnte, war aber auch nicht zu erwarten. Schliesslich haben beide Seiten weiterhin grosses Interesse, dem US-Präsidenten Donald Trump ihre Friedensbereitschaft und Konstruktivität zu demonstrieren. 

Dritte Gesprächsrunde angekündigt

Nur ist auch bei diesem Treffen kein Durchbruch erzielt worden, etwa mit der Vereinbarung eines potenziellen Waffenstillstands an der Front. Wie hätte dies auch innerhalb von nur einer Stunde erreicht werden können? Das Treffen der beiden Delegationen war damit wohl noch kürzer als die erste Verhandlungsrunde. Während die Ukraine unverändert auf einen bedingungslosen Waffenstillstand besteht, weicht Russland Medienberichten zufolge nicht von seiner Forderung zurück, die Ukraine solle zunächst die nur teilweise besetzten Regionen freiwillig vollständig räumen, darunter auch Grossstädte wie Cherson und Saporischschja.

Vielmehr als die Imitation von Verhandlungen für einen Zuschauer in Washington, D. C. sind die Gespräche in Istanbul daher nicht, auch wenn eine dritte Verhandlungsrunde vage angekündigt wurde. Die ukrainische Seite schlägt dafür ein Datum zwischen dem 20. und dem 30. Juni vor. Zunächst haben die beiden Parteien eine Woche lang Zeit, um die gegenseitigen Vorschläge zu beraten, die an diesem Montag in Istanbul ausgetauscht wurden. Und abgesehen von der Show für Trump hat dies auch einen weiteren Sinn.

Laut Wladimir Medinskij, dem russischen Delegationsleiter, ist der grösste Gefangenenaustausch in diesem Krieg im Gespräch. Der bisher umfangreichste fand nach der vorigen Verhandlungsrunde statt. 1'000 Ukrainer und 1'000 Russen durften in ihre Heimatländer zurückkehren. Ein weiterer Schritt dieser Art wäre begrüssenswert.

Ein kleiner Fortschritt könnte auch ein grosser Austausch von gefallenen Soldaten sein, ein Leichenaustausch, für den theoretisch kurze Waffenstillstände an einigen Frontabschnitten vereinbart werden müssten. An der allgemeinen Ausgangslage im russisch-ukrainischen Krieg ändert dies aber wenig bis gar nichts – ebenfalls wie die vorigen Aktionen solcher Art.

Wie schwierig die Gespräche in Wirklichkeit verlaufen, zeigt ein angebliches Zitat Medinskijs, der den Ukrainern schon beim letzten Mal mit einem «ewigen Krieg» gedroht haben soll. Die ukrainische Seite hingegen hatte eine Liste mit den Namen von Hunderten nach Russland verschleppten Kinder übergeben.

«Macht keine Show für ältere europäische Damen mit blutenden Herzen, die keine eigenen Kinder haben», soll Medinskij hinter verschlossenen Türen gesagt haben, berichtet der Economist mit Verweis auf Quellen in der ukrainischen Delegation. Der russische Delegationsleiter, der formell als Berater des Kremlherrschers Wladimir Putin fungiert und faktisch eine Art Chefhistoriker für Russland ist, bestätigte dies indirekt gegenüber Journalisten. Die Ukraine mache eine «Show für die Presse» und es handele sich um eine «beschämende PR-Kampagne».

Harter russischer Verhandlungsstil

Tatsächlich ist das Thema der Rückführung der ukrainischen Kinder äusserst kompliziert – alleine schon deswegen, weil es sich um viele Einzelgeschichten handelt, die häufig ihre Besonderheiten haben. Es kann beispielsweise gut sein, dass die Eltern unterschiedlich auf die Perspektive der Rückkehr ihres Kindes in die Ukraine blicken – oder dass es schlicht keine Eltern mehr gibt.

Sich aber derart abwertend über ein schmerzhaftes und wichtiges Thema für die ukrainische Bevölkerung zu äussern, ist ein klares Zeichen des harten russischen Verhandlungsstils. Empathie wird lediglich für aussenpolitische Akteure wie Trump oder generell für das internationale Publikum vorgetäuscht. Am Verhandlungstisch redet man völlig anders.

Doch unabhängig davon, wie wichtig dieses Thema für die Ukraine ist – für die Beendigung des Krieges bleibt es zweitrangig. Es kommt weiterhin auf etwas anderes an: Schwer vorstellbar ist, dass Russland freiwillig auf seine Sommeroffensive verzichtet, die das Militär gerade begonnen hat.

Von der verspricht sich die Führung in Moskau grössere Erfolge als bisher, vor allem weil die US-Unterstützung für die Ukraine ins Wanken geraten ist. Laut dem ukrainischen Telegram-Kanal Deep State, welcher Frontbewegungen auswertet, konnten die Russen im Mai allein 449 Quadratkilometer neu besetzen. Seit Februar waren es nicht mehr als 200 Quadratkilometer gewesen.

Jetzt auf

Die Gespräche von Istanbul haben daher vor allem wieder eines vor Augen geführt: Die Perspektiven eines Waffenstillstands zu adäquaten Bedingungen und nicht zu russischen Maximalforderungen werden in den nächsten Monaten auf dem Schlachtfeld und nicht in der Türkei entschieden. Nur wenn das Vorhaben Russlands scheitert, gibt es kleine Hoffnung auf eine echte Waffenruhe. Ein Türchen lässt dafür die Ukraine offen. 

Im Vorschlag, den die ukrainische Seite an Russland übergeben hat, ist zwar die Rede davon, dass die Ukraine auf die Perspektive der Nato-Mitgliedschaft nicht freiwillig verzichten wird und dass besetzte Gebiete keinesfalls als russisch anerkannt werden dürfen – ein klares No-Go für Kyjiw.

Jedoch wird auch die Möglichkeit der Aufhebung von einigen Sanktionen gegen Russland erwähnt. Allerdings schrittweise und mit einem Mechanismus für ihre Erneuerung, falls dies erforderlich wird. Für die Ukraine wäre das deutlich mehr als ein kleines Zugeständnis.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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33 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Agramantula
03.06.2025 06:02registriert Februar 2022
Es gibt eine ganz einfache Methode, den Krieg zu beenden: der Angreifer Putin zieht sich zurück, punkt. Bisher sehe ich da noch keinen Ansatz. Putler und die Orange wollen die Kapitulation.
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Enzasa
03.06.2025 06:10registriert August 2016
Friedensverhandlungen bauen auf Kompromisse. Gibt es in den russischen Vorschlägen auch nur einen einzigen Hinweis auf einen Kompromiss, dennoch vielleicht übersehen habe. Für mich fühlt es sich an, als ob Putin der Ukraine ins Gesicht spuckt. Anstatt Empörung fühle ich Angst, dass Trump den Vorschlag gut findet. Dass im Moment nicht über Waffen
Lieferungen berichtet wird, lässt mich hoffen, dass sie endlich im Geheimen geschehen.
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