International
Analyse

Putin veröffentlicht neues aussenpolitsiches Konzept - das hat er vor

Analyse

Putin vergisst seinen Krieg

Im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine veröffentlicht der Kreml ein neues aussenpolitisches Konzept. Es zeigt vor allem eines: Wladimir Putin lebt in einer Traumwelt.
01.04.2023, 08:11
patrick dieckmann
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Wladimir Putin hat sich ein Traumschloss aus Papier gebaut. 42 Seiten ist das neue aussenpolitische Konzept lang, das die russische Führung am Freitag veröffentlichte. Es ist das Sinnbild russischer Grossmachtphantasien. Der Kremlchef sieht sich in einem grossen geopolitischen Kampf mit dem Westen, als Streiter für eine multipolare Welt und globalen Frieden. Aber das hat mit der Realität wenig zu tun.

epa10552363 Russian President Vladimir Putin chairs a Security Council meeting via video link in Moscow, Russia, 31 March 2023. EPA/GAVRIIL GRIGOROV / SPUTNIK / KREMLIN POOL / POOL MANDATORY CREDIT
Wladimir Putin: In einem neuen außenpolitischen Konzept skizziert der Kreml sein surreales Weltbild.Bild: keystone

Der russische Präsident hat seinen Angriffskrieg vergessen, zumindest scheint es so. Denn die Ukraine ist in dem neuen Konzept nur eine Randnotiz. Stattdessen zeichnet Putin die grossen aussenpolitischen Linien aus russischer Perspektive. Es sind die bekannten Narrative aus der Zeit des Kalten Krieges – nur eben mit Russland als Grossmacht.

Die selbst gesteckten Ziele, die in dem Konzept niedergeschrieben sind, wirken wie aus der Feder eines Gernegross. Putin könnte den Krieg in der Ukraine verlieren. Er hat Russland mit seiner Invasion machtpolitisch kleiner und komplett von China abhängig gemacht. Vor diesem Hintergrund wirkt das Konzept nun wie der Versuch, die eigene politische Schwäche zu kaschieren – mit den bekannten russischen Schuldzuweisungen gegenüber dem Westen. Der Hauptfeind eines russischen Reiches sind demnach vor allem die Vereinigten Staaten.

Kampf gegen «westliche Hegemonie»

In erster Linie ist der aktuelle Vorstoss des Kremls eine Reaktion darauf, dass viele westliche Staaten ihre staatlichen Sicherheitskonzepte anpassen oder – wie Deutschland – erstmalig ein Konzept entwerfen. In ihnen wird Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine als «Bedrohung» gesehen. Der Kreml revanchiert sich nun und bezeichnet die USA und die «westliche Hegemonie» als «existenzielle» Bedrohung für Russland und den Frieden.

Die USA seien dabei «Hauptanstifter, Organisator und Vollstrecker der aggressiven antirussischen Politik des kollektiven Westens», heisst es in dem Dokument. Die Amerikaner seien «Quelle der Hauptrisiken für die Sicherheit Russlands, des internationalen Friedens und einer ausgeglichenen, gerechten und nachhaltigen Entwicklung der Menschheit».

Dementsprechend werde Russland seine Politik ausrichten: Russland möchte die westliche Hegemonie global zurückdrängen und verhindern, dass die Truppen von «unfreundlichen Staaten» näher an die russischen Grenzen kommen. Der Kreml will die eigene Einflusssphäre schützen – also den ex-sowjetischen Raum. Moskau solle ein «Zentrum» einer neuen, multipolaren Welt werden.

Wie Putin diese Ziele erreichen möchte, erwähnt er nicht. Die USA unterstützen zwar die Ukraine mit Waffen und militärischem Gerät, aber Washington sieht sich in einem künftigen Ringen mit China, während Putin sich in einem langen Abnutzungskrieg selbst entmilitarisiert und immer schwächer wird. Klar: Russland wird als Atommacht und als grösstes Land der Erde international immer eine zentrale Rolle einnehmen. Doch Putin ist sicherheitspolitisch nicht auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten. Das ist seine erste Fehleinschätzung.

Viele «unfreundliche Staaten»

«Die Russische Föderation beabsichtigt, der Beseitigung (...) der Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer unfreundlicher Länder in der Weltpolitik Priorität einzuräumen», heisst es in dem Papier des Kremls weiter. «Unfreundliche Staaten» sind aus Sicht der russischen Führung 20 westliche Länder, darunter die USA, Deutschland, Grossbritannien und Polen. Es sind die Staaten, die Sanktionen gegen Russland erlassen haben und die Ukraine militärisch unterstützen.

Aber eben diesen Krieg erwähnt Putin nicht. Vielmehr erklärte der russische Aussenminister Sergej Lawrow am Freitag, dass die treibende Kraft hinter den «antirussischen Vorbehalten» in der Welt die USA seien. Washington und seine Verbündeten führten einen «hybriden Krieg» gegen Moskau.

Das ist das bekannte russische Narrativ: Die russische Armee kämpfe in der Ukraine gegen den kollektiven Westen. Es ist vor allem der Versuch, die anhaltenden militärischen Misserfolge in der Ukraine zu erklären. Denn sich als militärische Grossmacht zu inszenieren und gleichzeitig seit Herbst vergeblich zu versuchen, die Stadt Bachmut im Donbass einzunehmen – das ist nur schwer vermittelbar für den Kreml. Deshalb soll das Konzept auch ein Signal der Stärke senden, an die russische Bevölkerung und an internationale Verbündete wie China.

Beziehungen zu Indien und China

Putin setzt alles auf die Karte China, die Volksrepublik wird zusammen mit Indien als «strategischer Partner» in einem eigenen Kapitel aufgeführt. Aber auch das ist Wunschdenken des Kremls. Xi Jinping stützt Putin zwar, aber er handelt vor allem aus eigenen sicherheitspolitischen Interessen und nutzt die russische Schwäche aus.

epa10536292 Chinese President Xi Jinping and Russian President Vladimir Putin shake hands after jointly signing a Joint Statement of the People's Republic of China and the Russian Federation on & ...
Xi Jinping am 21. März mit Putin.Bild: keystone

Indien dagegen zeigt überhaupt kein Interesse daran, sich klar auf die Seite Moskaus zu stellen. Neu-Delhi möchte gar nicht Partei ergreifen und wirtschaftlich von Russlands internationaler Isolation profitieren. Sie sehen die Russische Föderation als billige Tankstelle.

Putins Umdeutung der jüngeren Geschichte

Viele Punkte in dem Papier sind als Ergebnis des strategischen Schulterschlusses zwischen Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu werten. Der Machtkampf mit den USA steht im Zentrum, aber «Russland betrachtet sich nicht als einen Feind des Westens und isoliert sich nicht vom Westen», heisst es weiter.

Auch damit liegt Putin falsch. Der Kremlchef hat sich durch seinen Angriffskrieg vom Westen isoliert. Aber es ist im russischen und chinesischem Interesse, vor allem die EU-Staaten und die westliche Gesellschaft zu spalten. Deshalb tut Russland so, als wäre es an guten Beziehungen zu Europa und an Frieden im eurasischen Raum interessiert. Im Konzept steht: Zur Lösung internationaler Konflikte seien «der Einsatz friedlicher Mittel, vor allem Diplomatie» die Grundlage.

Das ist eine Maskerade. Schliesslich schickt Putin keine Diplomaten, sondern Panzer und Raketen in die Ukraine. Seit zwei Jahrzehnten erleben die Länder im Baltikum, Georgien oder Moldau, wie Russland sie durch die Unterstützung kremlfreundlicher Gruppen destabilisiert.

Putin aber versucht, die Geschichte umzudeuten. Aus russischer Sicht trägt die Nato die Schuld für die gegenwärtige sicherheitspolitische Krise: Der Westen würde legitime russische Interessen nicht akzeptieren und laut dem Dokument aus einer Ideologie der «totalen Russophobie» handeln. Der Kreml hingegen verteidigt diesem Narrativ zufolge russischstämmige Menschen und russische Interessen im Ausland.

Das ist vor allem eines: Täter-Opfer-Umkehr. Denn das Militärbündnis hat sich nicht ausgeweitet, um Russland zu bedrohen. Viele ehemalige Ostblock-Staaten sind aus Angst vor Russland in die Nato geflohen. Sie wollten nicht erneut Opfer des russischen Kolonialismus werden. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine beweist, dass ihre Sorgen berechtigt sind. In dem Konzept heisst es, Russland wolle russischstämmige Gruppen unterstützen und sie in die Russische Föderation politisch «integrieren». Das ist eine klare Drohung gegenüber Moldau und Georgien.

Alte russische Positionen

Was bedeutet das neue russische Konzept zur Aussenpolitik nun für den Westen und die Welt? Zunächst einmal dient es nur als Positionspapier und gibt die bekannten russischen Narrative wieder. Und auch militärisch bietet das Konzept keine Neuerungen. Russland will zwar seine Einflusssphäre verteidigen, aber es führt keine konkreten Schritte an. Putin verzichtet auf neue Atomdrohungen und inszeniert sich in dem Dokument als Macht, das den Atomkrieg verhindern möchte – auch das ist ein Zugeständnis an Peking.

Letztlich steht hinter dem Positionspapier die Hoffnung, dass sich mehr Staaten der russischen Sicht auf die weltpolitische Lage anschliessen. Stellenweise biedert sich Putin bei China und Indien an und erinnert an mehreren Stellen an die Erben des westlichen Kolonialismus, um Staaten in Afrika oder Südamerika auf seine Seite zu ziehen. Auch diese Versuche sind nicht neu. Erfolgreich waren sie bisher aber nicht.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
140 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
maylander
01.04.2023 08:39registriert September 2018
Für die Atomdrohung hat er einfach Lukaschenko vorgeschickt.

China und Indien stehen schon lange im Konflikt miteinander. Also liefert sich Russland an China aus. Billig Rohstoffe an die Chinesen verkaufen und dafür bekommen sie billige Produkte aus China die der Weltmarkt nicht will.
Mittels Grössenwahn direkt in die Abhängigkeit.
1625
Melden
Zum Kommentar
avatar
AlfredoGermont
01.04.2023 08:31registriert März 2022
Das Wort phobie impliziert eine irrationale Komponente der Angst, doch bei der Russophobie, ein Wort das es notabene vor dem 24.2.22 in Westeuropa gar nicht gab, ist die Angst sehr wohl begründet.
Als russische Truppen Teile von Georgien, Moldau und der Ukraine besetzten war die Konfrontation jeweils so schnell vorbei, dass die WEltgemeinschaft achselzuckend die neue Realität akzeptierte, weil niemand es sich mit de vermeintlichen Grossmacht verscherzen wollte, und man insgeheim dachte, das sei ja alles weit weg und beträfe uns nicht.
Unterdessen sind viele aufgewacht.
1555
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pummelfee
01.04.2023 08:58registriert Mai 2020
Wen interessiert es, was sich dieser Id.. zusammenfantasiert. Derjenige, der den globalen Frieden stört und bedroht, ist er doch selbst! Dass er auf ein neues Zarenreich in der grösse der UDSSR hinarbeitet, war doch von Anfang an klar… natürlich mit himself als Zar….
1158
Melden
Zum Kommentar
140
Deshalb steckt Kult-Spielzeughersteller Playmobil in der Krise
Die Playmobil-Mutter leidet unter sinkenden Erlösen und baut Stellen ab. Nun gibt sie erstmals bekannt, wie stark die Umsätze eingebrochen sind.

Der deutsche Playmobil-Hersteller Horst Brandstätter Group hat erstmals bekannt gegeben, wie stark seine Umsätze in den vergangenen beiden Jahren abgesackt sind. «Im Geschäftsjahr 2023/2024 betrug der Umsatz rund 490 Millionen Euro», teilte das Unternehmen mit.

Zur Story