Zohran Mamdani, der Schrecken der Milliardäre
Die Upper East Side ist so etwas wie die Goldküste von New York. Dort wohnen die Reichen und die sehr Reichen. Sie alle haben derzeit bloss ein Thema. «Jedes Dinner-Gespräch, jede Konversation über den Mittag, jedes zufällige Gespräch zwischendurch – alles dreht sich nur um das eine Thema: Was machen wir, wenn er gewinnt», erklärt Eva Heyman, eine ehemalige Direktorin bei Bloomberg LP gegenüber der «New York Times». «Werden wir nach Miami ziehen? Oder in unser Ferienhaus in Bedford (ländliche Kleinstadt im Bundesstaat New York)? Oder werden wir gar nach Israel auswandern?»
Mit dem «er» ist Zohran Mamdani gemeint, der Mann, der mit grösster Wahrscheinlichkeit in ein paar Wochen die Wahlen zum Bürgermeister von New York gewinnen wird. In den jüngsten Umfragen hat er einen zweistelligen Vorsprung vor Andrew Cuomo, den ehemaligen Gouverneur des Bundesstaates New York, den er bereits in den Primärwahlen vernichtend geschlagen hat. Auch dem Republikaner Curtis Sliwa werden in der traditionell demokratischen Stadt kaum Chancen eingeräumt.
Die Sorgen der Superreichen sind also berechtigt. Wir sprechen bei Mamdani von einem demokratischen Sozialisten, der keinen Hehl daraus macht, wie er den Big Apple umgestalten will: Gratis-Busse, einen Mietdeckel für die Wohnungen, städtische Lebensmittelläden, die billige Nahrungsmittel anbieten und günstige Kitas.
Kurz: Mamdani verspricht, das Leben für den Mittelstand wieder bezahlbar zu machen, denn heute gilt, was ein Rapper wie folgt ausdrückt: «In New York you gotta be rich just to be poor.» («Es braucht viel Geld, um in New York arm zu sein.» Das könnte übrigens auch auf Zürich zutreffen.)
Dass Mamdani mit dieser Botschaft Angst und Schrecken an der Upper East Side verbreitet, liegt auf der Hand. Der Immobilienhändler Andrew Fine erklärt denn auch gegenüber der «Washington Post»: «In meiner Welt geht die Angst um. Moderate und Republikaner flippen aus, um ehrlich zu sein.»
Wer noch vor nicht allzu langer Zeit die Meinung geäussert hätte, ein 34-jähriger demokratischer Sozialist, ein in Uganda geborener Inder und Muslim, würde zum Bürgermeister in New York gewählt, dem hätte man dringend professionelle Hilfe empfohlen. Doch wir leben in verrückten Zeiten, und paradoxerweise profitiert Mamdani vom gleichen Polit-Tsunami, dessen Schockwellen auch Donald Trump zum zweiten Mal ins Weisse Haus gespült haben.
Dass Mamdani grösste Mühe haben wird, seine Wahlversprechen einzulösen, ist für viele kein Grund, ihn nicht zu wählen. «Ich wähle ihn, weil er die übliche Machtelite ausrasten lässt, und das Establishment der demokratischen Partei zur Verzweiflung bringt», schreibt etwa Michael Hirschhorn, Kolumnist in der «New York Times». «Denn viele Dinge sind in diesem Land gefährlich dumm gelaufen, und wie viele New Yorker bin ich bereit, das Haus einzureissen (allerdings nur metaphorisch gesprochen).»
Mit anderen Worten: Mamdani ist eine Art umgedrehter Trump, nur viel intelligenter und ohne die Lügen, den krankhaften Narzissmus, den unverhohlenen Sadismus – und viel jünger.
Dazu kommt, dass er ein politisches Talent ist wie seinerzeit Barack Obama. Er ist ein glänzender Redner und kann soziale Medien. Im «New Yorker» wird er dafür vom erfahrenen Polit-Strategen Al Sharpton gelobt: «Er ist wahrscheinlich der beste Polit-Neuling auf städtischer Ebene, den ich je erlebt habe.»
Ähnlich positiv äussert sich auch James Carville, der ehemalige Wahlkampf-Stratege von Bill Clinton und nach wie vor eine einflussreiche Stimme bei den Demokraten. Er sei beeindruckt, wie Mamdani es verstehe, sich nicht von seiner Kernbotschaft abbringen zu lassen, erklärte Carville kürzlich bei Ari Melber auf dem TV-Sender MSNBC.
Dass seine Gegner alle Hebel in Bewegung setzen, ihn zu diffamieren, ist nicht weiter erstaunlich. Seine in jüngeren Jahren geäusserte Bemerkung, der Polizei die Mittel zu entziehen, läuft bei Fox News in einer Endlos-Schleife. Vor allem wird versucht, ihn als Anti-Semit zu brandmarken und als Spinner zu verunglimpfen. «Er ist ein 100-prozentiger kommunistischer Verrückter», lästert beispielsweise Trump.
Den Anti-Semitismus-Vorwurf wehrt Mamdani locker ab, ohne dabei seine Überzeugungen zu widerrufen. Die Frage, ob er an das Existenzrecht Israels glaube, bejaht er eindeutig, allerdings mit dem Zusatz, der sich auf das Verhalten im Gaza-Streifen bezieht: «Aber auch Israel muss die Verantwortung übernehmen, das internationale Recht zu respektieren.»
Wem das nicht genügt, den erinnert Mamdani an ein legendäres Zitat von Ed Koch, einem ehemaligen Bürgermeister von New York, der einst erklärte: «Stimmst du mit neun von zwölf Themen mit mir überein, dann wähle mich. Stimmst du mit zwölf Themen mit mir überein, dann such einen Psychiater auf.»
Mamdani ist der richtige Mann zur richtigen Zeit, mit den richtigen Themen. Die Mär von den «höllischen Zuständen», die angeblichen in demokratisch regierten Städten herrschen würden, perlt an ihm ab, auch bei Wählersegmenten, die sich vor Jahresfrist noch für Trump entschieden haben. In Umfragen haben sich 85 Prozent der New Yorker Männer zwischen 18 und 34 für Mamdani ausgesprochen.
Zudem kann Mamdani auf die ebenfalls progressive Bürgermeisterin von Boston, Michell Wu, verweisen. Dieser ist es gelungen, die Hauptstadt von Massachusetts zur linksliberalen Vorzeigestadt der USA zu machen. Auch sie setzt alles daran, die Kriminalitätsrate zu senken und das Leben des Mittelstandes zu erleichtern.
Zweifellos wird Mamdani, einmal gewählt, in den Zwischenwahlen die bevorzugte Zielscheibe von Trump und der MAGA-Meute werden. Doch mit den «No Kings»-Demonstrationen ist am vergangenen Samstag in den USA der grösste Massenprotest seit Menschengedenken über die Bühne gegangen. Das erinnert stark an die Tea-Party-Proteste nach 2010, welche den Demokraten die Mehrheit im Abgeordnetenhaus kostete.
Die Demokraten versuchten damals, die Tea Party zu verzwergen und die Demonstranten als von Milliardären wie Charles Koch bezahlte Aktivisten darzustellen. Das ging in die Hosen. Auf ähnliche Weise versuchen die Republikaner nun, die No-Kings-Demonstranten als von George Soros bezahlte Agenten und Mamdani als deren diabolischen Verführer zu diffamieren.
Das könnte sich ebenfalls als Bumerang erweisen. Mamdani surft auf dem Zeitgeist, und er tut dies meisterhaft. Ein Trost bleibt den Republikanern: Präsident kann er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht werden. Er ist in Uganda auf die Welt gekommen.
