Harvard University ist die älteste und reichste Universität der Vereinigten Staaten. Sie wurde 1636 in Cambridge bei Boston gegründet, hat 52 Nobelpreis-Gewinner hervorgebracht und ist für Wissenschaftler das Grösste: Wer einen Abschluss von Harvard vorweisen kann, der kann sich fühlen wie ein Fussballer, der die Champions League gewonnen hat.
Seit Trump wieder im Weissen Haus sitzt, hat Harvard massiv Ärger am Hals. Der amerikanische Präsident wirft eine Bombe nach der anderen auf die altehrwürdige Universität: Zuerst hat er ihr Milliarden Dollar an Fördergeldern gestrichen, dann hat er verkündet, er wolle ihren privilegierten Status in Steuerfragen aufheben, und neuerdings will er ihr verbieten, ausländische Studenten aufzunehmen.
Harvard zählt derzeit rund 25’000 Studenten, ein Viertel davon stammt aus dem Ausland. Sie bilden nicht nur eine wichtige Einnahmequelle, sie sind auch ein entscheidender Bestandteil der Kultur der Universität. Jason Furman, ein ehemaliger Student und aktueller Ökonomieprofessor, stellt daher in der «Financial Times» fest:
Für Trump und die MAGA-Meute zählt dies nicht. Für sie steht Harvard für alles, was sie verachten. Sie beschimpfen sie als «nationale Schande», als «woke Koran-Schule», als «maoistisches Indoktrinations-Camp» und als «Jauchegrube für Extremisten». Trump bezeichnet Harvard gar als «Gefahr für die Demokratie», die praktisch nur «Woke, radikal Linke, Idioten und Spatzenhirne» beschäftige.
Die MAGA-Meute macht Elite-Universitäten wie Harvard dafür verantwortlich, dass die Klima-Lüge verbreitet und die Menschen während der Pandemie gezwungen wurden, sich impfen zu lassen. J.D. Vance brachte es deshalb an einer nationalen Konferenz für Konservative schon vor mehr als drei Jahren auf den Punkt: «Die Universitäten sind der Feind.»
Steven Pinker ist ein weltweit bekannter Psychologie-Professor. Seit nunmehr 22 Jahren lehrt er in Harvard und stellt nicht in Abrede, dass – was die Sozialwissenschaften betrifft – die Linksliberalen in der Mehrheit sind. Gemäss einer Umfrage unter den Mitgliedern des Lehrkörpers bezeichnen sich gerade mal drei Prozent als «konservativ» oder «sehr konservativ».
Trotzdem stellt Pinker in einem Gastkommentar in der «New York Times» fest:
In Anlehnung an das von Konservativen so bezeichnete «Trump Derangement Syndrome» – einer irrationalen Wut auf den Präsidenten –, spricht Pinker daher von einem «Harvard Derangement Syndrome».
Antisemitismus dient Trump und den Konservativen als Vorwand für ihren Feldzug gegen Harvard. Sie machen geltend, dass Juden bei den Demonstrationen für Palästina massiv bedroht geworden seien und dass die Leitung der Universität nichts für ihren Schutz unternommen habe.
Dazu muss man wissen: Harvard ist sehr gross. Nebst den bereits erwähnten 25’000 Studenten gibt es auch 2400 Mitglieder des Lehrkörpers, die sich auf 13 unterschiedliche Institute verteilen. «Es ist unausweichlich, dass es angesichts dieser Vielfalt auch ein paar Exzentriker und Störenfriede darunter hat», stellt Pinker fest.
Doch der Antisemitismus-Vorwurf steht auf sehr wackligen Beinen. Der aktuelle Präsident Alan Garber ist Jude und Harvard bietet nicht weniger als 60 Kurse mit jüdischen Themen an. «In meinen Jahrzehnten in Harvard habe ich keinen einzigen antisemitischen Vorfall erlebt», stellt Steven Pinker fest, «das gilt auch für alle anderen prominenten Mitglieder der Fakultät.»
Zu Recht stellt der renommierte Psychologe auch fest, dass die plötzliche Sorge um die Juden merkwürdig sei, «zumal Trumps Sympathien für Holocaust-Leugner und Hitler-Fans» bekannt ist. Schliesslich schreibt Pinker auch: «Mr. Trumps Würgegriff wird den Juden mehr Schaden zufügen als das, was alle anderen Präsidenten zeit meines Lebens getan haben. Viele praktizierende und angehende Wissenschaftler sind jüdisch, und sie betrachten sein Embargo der Staatsgelder mit Entsetzen. Denn sie werden entlassen, ihre Labore werden geschlossen, und ihre Lebensträume gehen in Rauch auf.»
Tatsächlich ist der Schaden, den Trumps Feldzug gegen Harvard und die anderen Elite-Universitäten führt, immens. Nicht nur materiell: Rund eine Million ausländische Studenten bringen jährlich rund 50 Milliarden Dollar nach Nordamerika.
Jetzt fliehen verunsicherte Wissenschaftler ins Ausland, und verunsicherte ausländische Studenten weichen an andere Hochschulen aus. «Der Ruf der USA als Land, das Talente willkommen heisst, wird nicht so schnell wieder repariert sein», stellt der «Economist» fest.
Das «Wall Street Journal» doppelt nach: «All dies wird Amerikas Möglichkeiten, junge Talente anzulocken, massiv beschädigen. Nicht-amerikanische Bürger haben 2022 für mehr als die Hälfte aller abgeschlossenen Doktor-Titel gesorgt. Viele von ihnen arbeiten heute bei Unternehmen wie Nvidia, oder haben ihre eigene Firma gegründet.»
Der kürzlich verstorbene Politologe Joseph Nye, ebenfalls ein Harvard-Professor, hat den Begriff «soft power» geprägt. Darunter versteht man die Möglichkeit, Einfluss auszuüben, ohne Gewalt anzuwenden. Harvard war bisher so etwas wie ein Flugzeug-Träger in Sachen Soft Power. Jetzt wollen ihn Trump und sein MAGA-Mob mutwillig und ohne Not zerstören.
Die lachenden Dritten sitzen einmal mehr in Peking. «Chinas Mitglieder des Politbüros müssen sich schütteln vor Lachen und können ihr Glück kaum fassen», stellt das «Wall Street Journal» fest. «Ihr grösster Gegner schiesst sich selbst ins Knie – zuerst mit den Zöllen, die seine Firmen weniger wettbewerbsfähig machen, und jetzt mit dem Angriff auf ausländische Talente.»
Rechstpopulisten rund um den Globus hassen höhere Bildung. Denn Ungebildete sind einfacher zu beherrschen.