Warum Trump das Vertrauen verliert
Von einem Tipping-Point spricht man, wenn ein scheinbar stabiles System plötzlich zusammenkracht. Beispielsweise, wenn sich ein scheinbar gesunder See über Nacht in eine Kloake verwandelt, weil verschiedene, scheinbar nicht miteinander verbundene Elemente zusammenfinden und die Katastrophe auslösen.
Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weshalb sich die Trump-Regierung einem solchen Tipping-Point nähert, und das, obwohl sie in den letzten Wochen durchaus auch Erfolge ausweisen konnte. So konnte der US-Präsident wegen seiner Rolle als Friedensstifter im Nahen Osten viel Lob auf der internationalen Bühne einheimsen, und der Shutdown der Regierung konnte beendet werden, ohne dass die Republikaner namhafte Zugeständnisse machen mussten.
Trotzdem hat Trump eine miserable, ja vielleicht seine schlechteste Woche überhaupt hinter sich. Mehr noch, er muss auch in den kommenden Tagen mit weiteren Unannehmlichkeiten rechnen. So ist es beispielsweise denkbar, dass der Supreme Court seine Zollpolitik als verfassungswidrig erklärt und damit den wichtigsten Pfeiler seiner Wirtschaftspolitik zum Einsturz bringt.
Vor allem jedoch wird Trump die Affäre Epstein nicht los, und dies, obwohl Mike Johnson, Speaker und treuer Lakai, die Vertreter des Abgeordnetenhauses ganze zwei Monate lang in die Zwangsferien geschickt hat, um zu verhindern, dass über eine Petition abgestimmt werden kann, welche die Herausgabe der Epstein-Files verlangt.
Es hat nicht geklappt. Weil auch die Abgeordneten über die Wiedereröffnung der Regierung nach dem Shutdown abstimmen mussten, hat sie Johnson wieder nach Washington beordert. Zwangsläufig musste er damit auch eine frisch gewählte demokratische Abgeordnete aus Arizona vereidigen. Deren Unterschrift genügte, um die Petition bindend zu machen. Das Repräsentantenhaus wird daher in den kommenden Tagen über ein Gesetz abstimmen, das die Herausgabe der Epstein-Files verlangt.
Wahrscheinlich wird es zustimmen, und zwar auch mit einer beträchtlichen Anzahl von Stimmen der Republikaner. Das wiederum erhöht den Druck auf den Senat, dieses Gesetz ebenfalls anzunehmen. Das wiederum wäre ein GAU für Trump, denn sollte er dann seine Unterschrift unter das Gesetz verweigern, stünde er als Beschützer einer pädophilen Elite da.
Darin liegt auch die Brisanz der Epstein-Affäre. Es geht um weit mehr als um einen besonders grusligen Sexualverbrecher. Für die MAGA-Bewegung ist diese Affäre der Beweis dafür, dass eine dekadente Elite die USA seit Jahren ins Elend reitet, sich dabei schamlos bereichert und sich keinen Deut um die Interessen des kleinen Manns, respektive der kleinen Frau, kümmert.
Im Wahlkampf hat Trump versprochen, diesen Sumpf trockenzulegen. Stattdessen versinkt er selbst immer tiefer darin. Dabei schlägt er wild um sich und verschont selbst die loyalsten MAGA-Vertreter nicht. Über das Wochenende hat er die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aufs Übelste beschimpft und will bei den nächsten Vorwahlen einen Gegenkandidaten unterstützen. Die beiden Abgeordneten Lauren Boebert und Nancy Mace versuchte er persönlich davon zu überzeugen, ihre Unterschrift aus der erwähnten Petition zurückzuziehen. Erfolglos.
Auch wenn Trump sich neuerdings und überraschend ebenfalls für eine Veröffentlichung der Epstein-Files ausspricht, haben diese das Potenzial, einen Tipping-Point für seine Regierung auszulösen. Inzwischen hat sich nämlich sehr viel Wut und Enttäuschung, nicht nur bei den unabhängigen Wählern, angestaut. Auch bei den Republikanern wächst der Frust. Das hat gute Gründe:
Wirtschaftspolitik
Von der versprochenen «goldigen Ära» ist bisher nichts zu verspüren. Obwohl Trump das Gegenteil behauptet, ist die Inflation nicht besiegt, und sie trifft den Mittelstand dort, wo es weh tut. Die Lebensmittelpreise steigen ungebrochen weiter. Innert Jahresfrist wurde der Kaffee um 40 Prozent, das Rindfleisch um 11,5 Prozent und Bananen um 8,6 Prozent teurer. Auch auf dem Hypothekenmarkt zeichnet sich keine Entspannung ab. Der Benzinpreis ist derweil nur unbedeutend gesunken, und dies, obwohl der Ölpreis seit Monaten um die Marke von rund 60 Dollar pro Fass dümpelt.
Die Löhne konnten nur knapp mit dieser Entwicklung mithalten, die Zukunft auf dem Arbeitsmarkt sieht düster aus. Wegen des Shutdowns und weil Trump die Chefin des Statistikbüros entlassen hat, fehlen zwar offizielle Zahlen. Inoffizielle weisen indes darauf hin, dass in der Privatwirtschaft mehr Stellen gestrichen als geschaffen wurden. Dass zehntausende von Staatsangestellten gefeuert wurden, macht das Ganze nicht wirklich besser.
Der Milliardenkredit an Argentinien – ob nun 20 oder 40 Milliarden Dollar – verstösst ebenfalls gegen alles, wofür MAGA steht. Dass Trump auch noch billiges Rindfleisch aus Argentinien importieren und so die eigenen Farmer schädigen will, löst allgemein Kopfschütteln aus.
Kurz: Trump, der mit grossmäuligen Versprechen bezüglich der Wirtschaft antrat, ist im Begriff, sie gegen die Wand zu fahren. Dessen wird sich allmählich auch Johnny Sixpack bewusst. Nur noch rund 30 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten.
Sozialpolitik
Die Demokraten haben zwar den Shutdown verloren, doch es ist ihnen gelungen, die Aufmerksamkeit auf das Gesundheitswesen zu lenken. Weil die Corona-Subventionen auslaufen, müssen Millionen von Amerikanern ab dem 1. Januar mit massiv gestiegenen Krankenkassenprämien rechnen, sofern sie sich überhaupt noch eine Krankenkasse leisten können. Fun Fact dabei: Sehr viele der Betroffenen sind Trump-Wähler – oder waren es zumindest.
Sehr viel Ärger hat sich Trump auch mit seinen Aussagen zu den sogenannten H-1B-Visa gemacht. Dabei handelt es sich um Aufenthaltsgenehmigungen für ausländische Fachkräfte. Um seine Tech-Industrie am Laufen zu halten, will Trump Hunderttausende dieser Visa genehmigen. Allein das hat ein Protestgeheul bei der MAGA-Bewegung ausgelöst. Mit seiner Begründung für diese Visa machte der Präsident eine schlechte Situation noch schlimmer. Es brauche sie, weil es zu wenig gut ausgebildete einheimische Fachkräfte gebe, so Trump. Damit stach er vollends in ein Wespennest. «Das ist das erste Mal, dass ich so viele Langzeit-Anhänger des Präsidenten so wütend gesehen habe», erklärt beispielsweise der konservative Radio-Moderator Erick Erickson in der «Washington Post».
Grössenwahn
Der Frust des amerikanischen Mittelstandes über seinen Präsidenten wird verstärkt wegen dessen Gebaren als moderner Sonnenkönig. Ohne eine Genehmigung einzuholen und entgegen früherer Versprechen, hat er einen Teil des Weissen Hauses, den Ostflügel, niederreissen lassen, um einem überdimensionierten Ballroom Platz zu machen. Dieser soll ein Monster aus Gold und Kronleuchtern werden und mindestens 300 Millionen Dollar verschlingen. Selbst wenn er von Oligarchen wie Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg finanziert wird, stösst dieser Ballroom auf wenig Begeisterung. Die Amerikaner lehnen ihn im Verhältnis von zwei zu eins ab.
Protz und Prunk begleiten Trump auf Schritt und Tritt. So hat er kürzlich einmal mehr die Wirtschaftselite im Weissen Haus zu einem Diner versammelt und dabei die Medien ausgeschlossen. Während des Shutdowns hat er den Ärmsten die «Food Stamps», die Unterstützung für Lebensmittel verweigert. Gleichzeitig feierte er in seiner Residenz eine dekadente «Great Gatsby»-Party und machte damit seine Verachtung für die Unterklasse mehr als deutlich.
Sein penetrantes Dringen auf einen Friedensnobelpreis stösst auf genauso wenig Verständnis wie seine immer schamloser werdende Korruption. Zusammen mit seiner Frau und seinen Söhnen soll Trump mit dubiosen Kryptowährung-Geschäften Milliarden von Dollar eingesackt haben. Geholfen hat ihm dabei ein gewisser Changpeng Zhao, der Begründer der Krypto-Börse Binance. Dieser sass eine langjährige Gefängnisstrafe ab, weil er dem organisierten Verbrechen und Terroristen beim Waschen von schmutzigem Geld geholfen hatte.
Die Umfragewerte für Trump sind so schlecht, dass selbst er sie nicht mehr länger ignorieren kann. Wie erwähnt, hat er überraschend die republikanischen Abgeordneten aufgefordert, für eine Herausgabe der Epstein-Files zu stimmen. Die Zölle für Lebensmittel will er wieder rückgängig machen. Um Häuser erschwinglich zu machen, will er Hypothekarkredite mit einer Laufzeit von 50 Jahren einführen. Selbst vor plumpem Stimmenkauf schreckt er nicht zurück. Mit einem 2000-Dollar-Scheck will er alle Amerikaner an den Zolleinnahmen teilhaben lassen.
Trump wirkt angeschlagen, auch gesundheitlich. Bei seinem jüngsten Gesundheits-Check wurde auch ein MRI gemacht, ein aussergewöhnliches Vorgehen, das einzelne Psychiater gar als Anzeichen einer Altersdemenz interpretieren. Nicht wenige sprechen bereits davon, dass Trump bereits jetzt in eine Lahme-Ente-Periode eintrete, eine Phase, in der er kaum noch Dinge bewirken kann.
Das mag Wunschdenken sein. Trump abzuschreiben, war bisher stets ein Fehler. Sein Comeback nach der Wahlniederlage gegen Joe Biden und dem misslungenen Putsch am 6. Januar 2021 hat alle überrascht. Durchaus denkbar also, dass er sich einmal mehr Houdini-mässig aus einer misslichen Lage befreien kann.
Wunschdenken ist es indes auch, wenn man – wie etwa Steve Bannon – davon faselt, Trump werde 2028 für eine dritte Amtszeit gewählt. Das wäre nicht nur verfassungswidrig. Angesichts des wachsenden Frusts über seine Politik und die Bedenken um seine Gesundheit dürfte Trump froh sein, die zweite Periode im Weissen Haus mehr oder weniger heil zu überstehen.
