Vom Elysée-Palast in den Knast: Sarkozys Sturz ins Bodenlose
Er kommt wie immer: Leicht wacklig auf seinen hohen Absätzen, schüttelt er im Gerichtsgebäude allen Polizisten die Hand, als wären sie weiterhin seine Wähler. An seiner Hand führt der ehemalige Staatschef seine Frau Carla Bruni mit, sie im schwarzen Mantel und mit Sonnenbrille. Lächelnd hält sie vor den Kameras den Daumen hoch, um klarzumachen: Alles kommt gut.
Die Urteilsverkündung beginnt hoffnungsvoll
Es kam alles schlecht für die Sarkozys. Sehr schlecht sogar. Allerdings nicht sofort: Gerichtspräsidentin Nathalie Gavarino beginnt die mehrstündige Urteilsverkündung mit dem Hinweis, es gebe «drei Freisprüche».
Die zwölf Angeklagten auf der Bank dürfen hoffen. Sie haben sich seit Januar gegen den Vorwurf verteidigt, sie hätten 2007 einen «Korruptionspakt» zwischen dem Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy und dem libyschen Diktator Muammar Gaddafi eingefädelt: Geld für Sarkozy, internationale Rehabilitierung für Gaddafi.
Ein monströser Vorwurf für den einstiegen Vorsteher einer grossen europäischen Demokratie. Als die Urteilsverlesung zu Sarkozy kommt, kann er aufatmen: In den zwei schwersten Tatbeständen, illegale Wahlkampf-Finanzierung und passive Korruption, wird er freigesprochen.
Verurteilt wird er nur wegen dem etwas vagen Delikt der «Bildung einer kriminellen Vereinigung» (association de malfaiteurs). Sarkozy habe «zugelassen», dass seine nächsten Mitarbeiter Brice Hortefeux und Claude Guéant – beides nachmalige Innenminister – während Sarkozys Präsidentschaft von 2007 bis 2012 in Libyen «um Finanzhilfen ersucht» hätten.
Keine Beweise
Im vollgepferchten Gerichtssaal wissen alle: Gaddafi war damals bekannt dafür, Regierungen namentlich in Afrika mit seinen Erdölmillionen zu beschenken. Die Ermittler hatten aber offenbar nicht mehr direkte Beweise gegen Sarkozy gefunden als das Online-Magazin Mediapart, das die ganze Affäre aufgebracht hatte – nämlich keine.
Umso länger dauert die Urteilsverlesung, die von den Pariser Medien live aus den Vorhallen übertragen wird. Würde Sarkozy erneut um einen Gefängnisaufenthalt kommen? Das glückte ihm 2023 und 2024 schon in zwei anderen Prozessen wegen Bestechung und Finanzvergehen im Wahlkampf. Nur eine elektronische Fussfessel musste er anfangs dieses Jahres während drei Monaten tragen.
Sarkozy muss nicht sofort ins Gefängnis
Doch dann lässt die Gerichtspräsidentin die Bombe hochgehen: Fünf Jahre Haft für Sarkozy! Es seien «Delikte von besonderer Schwere», begründet das Gericht. Ein Präsident müsse sich exemplarisch verhalten, er müsse wissen, was seine Mitarbeiter selbst in Libyen trieben. Auch wenn es die Geldgeschäfte mit Libyen nie bis nach Paris schafften.
Nicolas Sarkozy erhält fünf Jahre ohne Bewährung und dazu die «provisorische», das heisst sofortige Ausführung – selbst wenn der Ex-Präsident Berufung einlegen sollte. Einzige Nachsicht der Richterin: Sarkozy wird nicht sofort in eine Haftzelle gebracht; in weniger als dreissig Tagen wird er sich aber mit seiner Haftnummer im berüchtigten Pariser Gefängnis Santé melden müssen.
Als das Urteil verlesen ist, Sarkozy, Hortefeux und Guéant verurteilt sind, wartet draussen ein Wald aus Kameras auf den Hauptverurteilten.
Bleich, mit tief liegenden Augen setzt Sarkozy zu einer Brandrede gegen die Justiz an, die ihn ohne jeden Beweis für fünf Jahre hinter Schloss und Riegel bringe. «Der Hass kennt also keine Grenzen. Diese Ungerechtigkeit ist ein Skandal, gegen die ich natürlich Berufung einlegen werde.» Noch einmal meldet sich der brillante Redner in ihm, als er ausruft: «Sie wollten mich demütigen, aber sie demütigen Frankreich. Wenn jemand Frankreich verraten hat, dann nicht ich!»
Politischer Prozess?
Der 70-Jährige kündigt an, er werde «bis zum letzten Atemzug» kämpfen und «im Gefängnis erhobenen Hauptes schlafen». Dann dreht er die Absätze und geht, gefolgt von Carla Bruni, die noch mit bösem Lächeln das Mikrophon des Magazins Mediapart zur Seite schiebt.
Die kleine Geste ist ein letzter Protest gegen das «Kesseltreiben», das der Konservative den linken Medien seit Jahren unterstellt. Die drei Söhne Sarkozys, im Alter von 28 bis 40 Jahren, verziehen sich ohne ein Wort.
Mit dem Abgang der Sarkozys beginnt in Frankreich die Debatte: War es ein «politischer Prozess», wie die Rechte argwöhnt? Auch die Präsidentschaftskandidatin der Rechtspopulisten, Marine Le Pen, hat 2024 eine Haftstrafe und fünf Jahre Unwählbarkeit erhalten, sie wegen der Veruntreuung von Parlaments-Salären der EU.
Das sagen die Linken
Die Linke kontert, vor der Justiz würden alle Bürger gleichbehandelt. «Selbst wenn sie einmal im Elysée geherrscht haben oder dorthin wollen», lautete ein Kommentar in den sozialen Medien.
Sarkozy ist auf jeden Fall politisch erledigt. Die Franzosen wissen bis heute nicht recht, was sie von ihrem tragikomischen Präsidenten halten sollen: Ist er ein Politiker mit einem unfreiwilligen Hang zur Posse – oder ein moralloser «Pate» der bürgerlichen Rechten? Kurz: Ein Berlusconi im Kleinformat?
Jetzt bringen die Pariser TV-Kanäle noch einmal Episoden aus der Amtszeit Sarkozys: Wie er bei einem G7-Gipfel wie groggy aus einem Treffen mit Wladimir Putin stolpert. Oder wie Gaddafi beim Staatsbesuch in Paris sein Beduinenzelt gleich neben dem Pariser Elysée aufspannt. Viele fragten damals, warum das Sarkozy zulasse. Jetzt, nach dem vernichtenden Urteil, wissen alle, warum. (aargauerzeitung.ch)